Kapitel 1

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„Wer Schmetterlinge lachen hört, weiß wie Wolken schmecken."
— unbekannt.


Das kleine Dorf Keld liegt am Fuße einer Bergkette, deren düstere, schroffe Gipfel hoch über dem Tal ragen. Hinter der Stadt schlängelt sich ein Fußweg sanft in die Höhe. Das Gras an den unteren Hängen ist arm, aber die Luft duftet nach Bergblumen aus dem reichen Weideland weiter oben.

Wenn man dem Weg folgt, so findet man sich vor einer einfachen Hütte mit einer damit verbundenen Scheune wieder. Es versteckt sich hinter einem riesigen Ahornbaum, der hoch und stolz steht und mit wachsamem Auge über das Dorf im Tal wacht. Denn dort unten regte sich etwas.

An diesem einen sonnigen Frühlingsmorgen rattert eine robuste Kutsche in die Mitte des kleinen Dorfes und stört das friedliche Leben auf dem Land. Die Leute blieben stehen, um zu sehen was sich dort in ihre Mitte begab, als sie sich wunderten wer sich hinter den Vorhängen versteckt hielt. Der Fahrer zog an den Zügeln und ließ die Pferde mit einem Schnauben zum Stillstand kommen.

Er sprang mit einem einzigen Satz von der Kutsche und griff nach der Wagentür. Das Flüstern verstummte sofort, als das gesamte Dorf den Atem anhielt und beobachtete wie die Tür langsam, Stück für Stück, erst einen weiß gehäkelten Handschuh aus dem inneren offenbarte und dann die elegante Dame zu der er gehörte.

Die Frau musste so um die vierzig sein. Vereinzelte graue Strähnen hatten sich bereits durch ihre hochgestickte Haarpracht geschlichen, doch ihre Augen waren wie Rasiermesser als sie ihre Umgebung in Augenschein nahm. Das alter schien ihr kaum anzumerken.

Ihr Kopf schwang zur Seite als sie die Ansammlung bemerkte und stielte diese mit einem fixen Blick. Sie drehte ihre Hüfte und mit dem heben ihres Kleides zeigten sich ihre fein gearbeiteten Schuhe als sie mit einem einzigen Schritt aus der Kutsche stieg.

Man konnte deutlich hören wie sie die Luft anhielt und wie fest gefroren stehen blieb, als ihr Schuh direkt auf die stacheligen Blätter einer Distel trat.

„Fahrer!" bellte sie zu dem Mann, welcher sich um den Wagen herum geschlichen hatte, „Hatte ich nicht deutlich gesagt das du mich nach Keld bringen sollst und nicht zu den unzivilisierten Wayward Wildnis!"

Der Fahrer wagte einen schnellen Blick hinter der Kutsche zu seinem Fahrgast. „Dies ist Keld, Lady Charton." Er hielt kurz inne bevor er hinzufügte: „Und Wayward ist ein Urwald."

Sie winkte sein Kommentar mit einer einzigen Handbewegung ab, bevor sie sich ihrem Schicksal hingab. Das Kleid wurde leicht angehoben und nicht bevor noch einmal gründlich die Ferse über der nichtsahnenden Pflanze gedreht wurde, trat sie von der Kutsche. Die Stacheln der Distel, hatten keine Chance.

„Dies ist unzumutbar." Sie raffte ihr Kleid wieder ordentlich nieder, „Mein Sohn sei besser dankbar für die Qualen die ich für ihn auf mich nehme. Diese Schuhe sind mehr Wert als das gesamte Dorf."

Der Fahrer erschien wieder mit zwei großen Gepäckstücken unter den Armen und schwankte von einer Seite zur anderen, leicht überfordert von dessen Gewicht.

„Vorsicht!" bellte die Frau sofort und ließ den Fahrer beinahe erschrocken alles los zu lassen. „Wage es nicht diese fallen zu lassen. Es ist das einzige was diesen Aufenthalt hier erträglicher machen wird. Gewiss werde ich mich nicht diesen erniedrigenden Lebensbedingungen ohne sie stellen, lieber Kutscher. Dafür bin ich nicht Lady Charton geworden."

Der Fahrer konnte nur nicken, als das Gewicht der Koffer ihm seinen gesamten Atem raubte.

„Seit nicht so zimperlich." Kommentierte die Frau, als sie mit stolzen Schritten auf ein kleines Häuschen nahe der Straße zu lief. Es war ein einfaches Haus, mit Strohdach und teils Holzwänden, während der untere Teil weißer Kalkmörtel war. Es war genau das gleiche wie jedes andere Haus in dem Dorf und doch stachen die aufgepinselten Worte mit weißer Kursiver Schrift ‚Zimmer zu Vermieten' sehr deutlich hervor.

Die Tür hang halbwegs offen und doch stoppte die Dame und hob ihre weißen Knöchel zur Holztür und klopfte. Sie wartete, doch es kam keine Antwort von drinnen.

Alleinig die Geräusche des Fahrers als er sich abmühte um die Koffer herüberzubringen, welche er schließlich mit einem Seufzer vor der Tür auf den Boden fallen ließ.

„Ich hatte gesagt Vorsicht, Tollpatsch."

Doch der Fahrer schnappte bloß nach Luft, ehe er sich einfach abwandte und zu seiner Kutsche zurück schlurfte.

„Hey, was gedenkt ihr da zu tun?!" Rief die Dame ihm nach, als sie sofort ihren Rock in die Hand nahm um ihm zu folgen. „Ich bin noch nicht fertig mit euch. Wie soll ich die Koffer auf das Zimmer bekommen?"

Der Fahrer zuckte nur mit den Schultern, als er sich wieder auf den Sitz der Kutsche schwang. „Nicht mehr mein Problem."

Und just, schwang er die Zügel der Pferde, welche sofort schnaubend ansetzten und mit einer weiten Runde kehrt machten.

„Unerhört." Schnaufte die Dame, als sie die Arme in die Seite stemmte und den schnellem Abgang ihres Fahrers nach sah. Die Kutsche ratterte in hohem Tempo den erdigen Pfad wieder zurück Richtung Westen und schon bald war er nicht mehr zu sehen.

Das Gemurmel erhob sich sofort wieder aus den aufmerksamen Mengen welche alles aus der Ferne beobachtet hatten. Mit einem Schwung ihres Kopfes, richtete die Dame sich wieder auf, ehe sie alleine zu ihren Koffern zurück kehrte.

„Wer braucht schon entbehrliche Kutscher."

Sie ging in die Knie, griff nach ihren beiden Koffern und unter größter Anstrengung schaffte sie es tatsächlich irgendwie in das Haus. Doch nicht ohne ein weiteres Mal ihr Leid zu beklagen.

Nur langsam löste sich die Ansammlung in dem Dorf auf. Doch es würde nicht das letzte Mal gewesen sein das man über die mysteriöse Reiche Dame erzählte welche in die entlegenste Ecke von En-Ar reiste mit zwei vollen Koffern, die sie über Monate versorgen könnten.

Denn wenn adelige begannen in das Dorf zu ziehen, so war es mit dem Frieden des einfachen Bauernvolkes von Keld schon bald vorbei. Und das wussten sie.

Sprache der BlumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt