Kapitel 16

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♠Bernard♠

"Sorgsam beschriebene Blätter warten zusammengeknüllt darauf, verbrannt zu werden. Vorsichtig darauf bedacht die Linien nicht zu zerstören begibt er sich zu der provisorischen Opferschale um die eingekauften Kräuter und Hölzer darüber zu schichten und alles mit einem Ofenstreichholz anzuzünden. Als das Feuer freundlich lodert und die Kräuter beginnen, ihren Duft zu verbreiten, lässt er noch ein Stück Stoff in die Flammen fallen, bevor er sich wieder außerhalb des Pentagramms begibt.

„Ich beschwöre dich, mein Liebster, komm zu mir zurück!", beginnt er zu murmeln."

"Oh Gott, er hat seinen Mann verloren? Das ist ja traurig. Durch diese Beschwörung versucht er ihn zurück zu bekommen oder?", fragt Thomas mich ganz aufgeregt.

Thomas ließ es sich nicht nehmen mir laut vorzulesen. Und was soll ich sagen? Seine Stimme ist so beruhigend und die Begeisterung, mit der er die Geschichte verfolgt, so lebhaft, dass ich ihm nur zu gerne zuhöre und mein Buch daher auf ganz neue Weise erlebe. Dabei beobachte ich ihn die ganze Zeit, wie seine Lippen sich bewegen, seine Wangen einen rosa Ton annehmen und seine Augen beginnen zu leuchten. Sogar wenn er vorliest verschwindet er in diesem Buch.

So hinreißend. Genauso wie seine Füße.

Zwei Monate ist das Angebot, welches ich ihm unterbreitet habe, jetzt her und seitdem sitzen wir fast jeden zweiten Abend zusammen und brüten gemeinsam über seinen Zeichnungen, oder er liest mir vor während ich seine schmerzenden Füße massiere. Ich mag seine Füße wirklich. Sie sind so süß, so klein und so schön. Ich könnte mir vorstellen dass es ihm stehen würde, wenn er Nagellack tragen würde.

Ich weiche vom Thema ab.

Am Tag nach meinem Angebot kündigte er sofort diesen Nachtjob und setzte sich mit Heya und Phedoka in Verbindung. Er erzählte ihnen in meinem Beisein - er wollte mich unbedingt dabei haben – wie gerne er eine Ausbildung zum Koch anfangen würde, doch eben nicht wüsste wo oder wie er das finanzieren soll.

Heya und Phedoka versprachen sofort, sich mal schlau darüber zu machen welche Möglichkeiten das Resort hätte, selbst auszubilden und vielleicht sogar mit einer Art Stipendium unter die Arme zu greifen. „Du bist ein guter Mitarbeiter und wärst ein wertvoller Auszubildender weil du schon so viel kannst", erklärte Heya und Phedoka klatschte in die Hände, sprang auf und wollte direkt loslaufen um den Chefkoch danach zu fragen.

Thomas war ihnen so dankbar dass er ebenfalls aufsprang und gleich beiden um den Hals fiel. In den wundervollen, warmen, braunen Augen glitzerten sogar ein paar Freudentränchen. Dieser Anblick hat mich wirklich sehr berührt und glücklich gemacht.

"Bernard?"

Thomas stupst mich leicht mit dem Fuß an um meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

"Entschuldige. Hm, wenn ich dir verraten würde was jetzt passiert und wie es weitergeht, dann wäre doch die Spannung raus", necke ich ihn und immer wenn ich das tu zieht er so einen süßen Schmollmund der unweigerlich meine Blicke auf sich zieht.

Er hebt das Buch wieder an und straft meine Neckerei, indem er nun leise weiter liest.

Lächelnd widme ich mich wieder seinen Füßen und massiere sie weiter.

Seit ich mich von Theodore getrennt habe, hat er sich bei mir nicht mehr gemeldet. Ich ließ ihm die Scheidungspapiere über meinen Anwalt zukommen, den ich telefonisch beauftragte und erfuhr, dass er diese überraschenderweise direkt unterschrieben hatte. Dennoch haben wir noch das Trennungsjahr vor uns, bevor wir tatsächlich geschieden werden.

Für mich fühlt sich die Trennung aber schon jetzt endgültig an. Keine ständigen Anrufe, keine Vorhaltungen und keine Verbote, ich fühle mich frei.

Zuletzt war ich mit Thomas in der Stadt ein Eis essen. Natürlich gibt es auf dem hiesigen Gelände auch Eis, nicht zu vergessen Enricos Café welches wirklich bezaubernde Kuchen und Kaffee sowie Teesorten hat. Aber Thomas und ich wollten ein wenig bummeln gehen. Er ist hier im Gegensatz zu mir aufgewachsen und wollte es sich nicht nehmen lassen mir die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten zu zeigen.

Der Kellner der uns bediente schien auf den ersten Blick fröhlich und sorgenfrei zu sein, doch bei näherem Hinsehen konnte man Ringe unter seinen Augen erkennen. Er wirkte blass und etwas unterernährt. Ich gab ihm einen Fünfziger als Trinkgeld, was mehr war, als die eigentliche Rechnung für unser Eis. Thomas lächelte erst den überraschten Jungen aufmunternd an und dann mich. Mehr nicht. Kein Kommentar, kein giftiges Gesicht und er unterhielt sich ganz normal mit mir weiter als wäre nichts geschehen.

Genau so ein Verhalten habe ich mir all die Jahre von Theodore gewünscht.

In den letzten zwei Monaten hat sich Thomas immer weiter in mein Herz geschlichen und irgendwie möchte ich ihn dort auch nicht mehr missen. Er ist wie mein innerer Sonnenschein.

"Du bist heute wirklich oft abwesend. Ist irgendwas? Geht es dir nicht gut?", fragt Thomas mich plötzlich besorgt und betrachtet mich aufmerksam.

Nachdenklich sehe ich ihn an und zucke mit den Schultern.

"Ich hab über die vergangenen zwei Monate und die Scheidung nachgedacht. Und ich vermisse die Kinder. Naja, vor allem Lizzy, denn Cam und ich telefonieren ja fast täglich, aber Lizzy geht nicht ans Handy und antwortet mir auch nicht auf meine Nachrichten."

Ich seufze und merke, wie weh mir das tut.

„Ich kann es nicht verstehen, weißt du? Sie ist 24 und lässt sich von Theodore so um den kleinen Finger wickeln. Wieso? Ich meine, klar, ich kann verstehen dass Kinder leiden wenn ihre Eltern sich trennen und sie und Theodore standen sich immer besonders nah, aber muss sie deshalb genauso egoistisch und voller Vorurteile sein? Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass sie mich nicht einmal zu Wort kommen und meine Sicht der Dinge erklären lässt, das setzt mir mehr zu als ich dachte und tut wirklich sehr weh", erkläre ich ihm niedergeschlagen. Mitfühlend sieht er mich an, nimmt meine Hand die, ohne das ich es merkte, auf sein Knie gerutscht ist, in seine und streichelt sie.

"Ich kann dir da leider auch keine einfache Lösung geben. Vor allem wenn sie dich so meidet. Wie wäre es wenn du sie vielleicht in der Uni besuchst? Da kann sie ja schlecht abhauen oder dich rausschmeißen, oder nicht? Vielleicht könntest du ihr auch einen gemeinsamen Urlaub vorschlagen, nur ihr zwei für ein paar Tage."

Er zuckt unsicher mit den Schultern und denkt vermutlich, er hätte keine Ahnung, aber ich finde seine Idee gar nicht mal so schlecht. Wahrscheinlich wäre das die einzige Möglichkeit an sie ran zu kommen.

"Du hast Recht. Ich denke, ich werde genau das versuchen. Nächste Woche werde ich das mal in Angriff nehmen. Danke dir Cheri, was würde ich nur ohne dich machen", erkläre ich, was Thomas mal wieder rot anlaufen lässt.

"Habe ich gerne gemacht", antwortet er und legt grinsend seinen Kopf wieder an die Sofalehne.

Ich widme mich erneut seinen Füßen die mittlerweile vermutlich nicht mehr wirklich schmerzen, doch mache ich es ja nicht allein deswegen. Er scheint es sehr zu mögen und genießt es und mir geht es ebenso.

Nach einer halben Stunde, die wir ruhig verbracht haben, hebt Thomas seinen Kopf und sieht mich traurig an.

"Ich sollte dann mal gehen, morgen ist ein langer Tag", sagt er und ich nicke und entlasse seine Beine. Er zieht sie so unter sich, dass er neben mir auf der Couch kniet. Lächelnd sieht er mich an.

"Es war mal wieder ein sehr schöner Abend. Die Massage habe ich sehr genossen. Deine Hände verbringen wahre Wunder", meint er, beugt sich etwas vor und sieht mir direkt in die Augen. Meine Atmung beschleunigt sich, mein Puls rast, während Thomas immer näher kommt und sich über die rosa Lippen leckt.

Was hat er vor?

Ich schlucke den Kloß der in meinem Hals steckt herunter, lasse Thomas jedoch nicht aus den Augen, bis seine Lippen auf meinen liegen. Warm und weich, nur ein sanfter, liebevoller Kuss, doch in meinem Inneren explodiert alles.

Überrascht und völlig unerwartet stelle ich fest, dass ich mehr will, so viel mehr. Inniger, fester, seine Zunge spüren, doch er löst sich von mir und steht grinsend auf.

"Bis morgen Abend schöner Mann", sagt er keck, zieht seine Schuhe an und verlässt die Suite.

Alles was ich noch zustande bringe, ist ihm hinterher zu sehen, während meine Fingerspitzen meine Lippen berühren. 

Resort de la Pheya 2 - BernardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt