Prolog

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Ich fühle mich stärker in die Vergangenheit zurückversetzt denn je. Stelle mir vor was wäre, wenn ich eines Tages, in einem anderen Zeitalter, meine sonderbare Geschichte erzählen müsste. Ich wüsste nicht recht, wo ich beginnen sollte. Vielleicht würde ich meinem alten Lehrer die Schuld für meine Lage geben. Sicher nur aus Spaß, dennoch: Wäre damals nicht passiert, was eben passiert ist, wäre ich mit Gewissheit nicht dort, wo ich jetzt bin. Hätte keine Bekanntschaft mit meinen sonderbaren Freunden gemacht, hätte nie erfahren wie wenig ich von unserer diktatorischen Regierung abhängig bin. Ich bin froh, aus meinem alten Leben entkommen zu sein, froh, Präsident Caro nicht als Anführer sehen zu müssen. Ich bin mein eigener Anführer, mit Lucky als Partner.

Wer hätte gedacht, dass ein Staat, seit zweihundert Jahren existent, so leicht zu übertrumpfen ist? Gut, vielleicht nicht gerade übertrumpft, die Menschen nehmen ja an, ich sei schon längst gestorben. Bin ich aber nicht. Ich habe dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung gemacht und sollte er das jemals erfahren, bitte. Soll er kommen und versuchen mich zu finden. Ich habe Pfeil und Bogen. Was hast du? Eine Leibgarde die mit schweren Pistolen wild in der Gegend herumschießt, wenn ihnen etwas nicht passt? Nur, dass sie nicht einfach auf mich schießen können. Sie würden mich suchen und nicht finden, würden müde werden und sich in einem ungemütlichen Zeltlager schlafen legen, ich würde kommen und mich ohne jeglichen Laut heranpirschen, in die Zelte schleichen und Präsident Caro vernichten, ohne dass es jemand bemerkt. Die Natur ist mein zu Hause geworden. Ich kenne sie wie meine Jackentasche, die aus selbst genähtem Leder, die wiederum aus selbst erlegten Tieren.

Ich bin eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke, ein eher unnormaler Mensch. Ich liege hier in einem Schlafsack eingewickelt auf einem mir wohlbekannten Baum, sehe nach unten und beobachte, wie mein mit Feuersteinen entfachtes Feuer zu Asche wird. Wie viele Menschen können sagen: „Ja, so ist das auch immer bei mir!" Wie viele Menschen würden mich nicht für geisteskrank halten, wenn ich ihnen von diesem Leben berichten würde? Nur sehr, sehr wenige.

Nichtsdestotrotz, ich liebe es. So ist es bei mir und so wird es vermutlich auch bleiben. Jeder hat seine Geschichte und das ist nun mal meine.

Und darum bin ich jetzt hier.

Allein.

Das Leben der AliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt