Schöne Augen

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Am nächsten Morgen war es zum Glück nicht mehr so unerträglich heiß. Im Spanischunterricht verzweifelte ich leicht an Punkt und Komma, als sich Esteban umdrehte und mir einen Zettel auf den Tisch legte. Auf das zusammengefaltete Stück kariertes Papier war in krakeligen, verwischten Buchstaben mein Name geschrieben. Irritiert legte ich meinen Stift zur Seite und faltete ihn auf. Toni, die vor mir neben Esteban saß, drehte sich interessiert um und auch Noa neben mir, versuchte mitzulesen.

Trif dich heute Abend mit mir am Seh.

Ignacio

Nur das stand da. Mehr nicht. Mein Spanisch war zwar auf Papier miserabel, doch selbst ich war mir sicher, dass man See anders schrieb. Aber ungewollt fing mein Herz an schneller zu schlagen. Mein Blick wanderte zu Ignacio, der ein paar Reihen vor mir saß und mich anlächelte. Oh, dieses Lächeln. Ja, ich wusste genau, dass er schon mit der Hälfte unserer Klasse rumgeknutscht hatte. Und das auch nicht nur mit Mädchen, aber sein Blick hatte Charme. Es stand auch nicht zur Diskussion, dass er einfach nur unfassbar gut aussah.

Ich konnte meinen Rücken kribbeln spüren. An der Stelle, an der meine Flügel wuchsen, wie immer, wenn ich aufgeregt war. Schnell senkte ich den Blick wieder und versuchte mit aller Kraft zu verhindern, dass ich mich teilverwandelte. Obwohl ich nur ein dünnes T-Shirt anhatte, könnten meine dünnen Flügel davon kaputt gehen.

Señorita Moravia riss mich aus meinen Gedanken. Beziehungsweise Noa, die mir gegen das Schienbein trat.

„Miri! Hörst du mir bitte zu! Wo kommt in diesem Satz das Komma hin?" Sie tippte mit der Kreide auf die Tafel, an der ein Satz stand.

„Ich... ähm", antwortete ich unfassbar geistreich.

„Jetzt sag mir nicht, dass der auch noch versucht dich anzubaggern", knurrte Toni, während sie sich beim Mittagessen Salat in den Magen schaufelte.

Ignacio saß nicht weit von uns und schaute nicht gerade selten zu unserem Tisch. Ich musste lächeln.

„Und wenn?", fragte ich.

„Dann bist du bescheuert", schoss sie zurück.

Ich seufzte und wandte meinen Blick ihr zu. „Und wieso bitte?"

„Weil er dir das Herz brechen wird, wie jeder anderen auch!"

„Und was wenn nicht?" Ich drehte meine Schüssel auf dem Tisch. „Einen Versuch ist es doch wert".

Toni schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Aber dann komm ja nicht heulend zu mir gerannt. Und in die Hütte kommt der mir auch nicht. Das hat ja schon gereicht, als er versucht hat, Noa ins Bett zu bekommen!"

„Deal"

Der Abend kam. Das Licht der untergehenden Sonne leuchtete durch die Bäume und warf ihre Schatten in das ruhige Seewasser. Bis vor ein paar Stunden hatten sich hier noch viele Schüler getummelt, die versucht hatten, sich wenigstens etwas abzukühlen.

Auf meinen dürren sechs Libellenbeinen saß ich auf einem Stein am Seeufer. Vor mir hing ein Spinnennetz. Mit diesem Vieh hatte ich ohnehin noch einen Tukan zu rupfen. Dieses achtbeinige Stück hätte letztens beinahe Toni gefressen. Mit meinen Facettenaugen schätzte ich ihre Größe ab. Eigentlich passte sie genau in mein Beuteschema. Aber kurz vor meinem Beutefang hielt ich inne. Vielleicht machte es keinen guten Eindruck gegenüber von Ignacio, wenn ich einfach so eine seiner Artgenossen fressen würde.

Schnell sah ich mich um, ob ich ihn irgendwo entdeckte, dann konzentrierte ich mich auf meine andere Gestalt. Das war zugegeben als Mensch meist einfacher, da ich so einfach meine Augen zu machen konnte, aber so musste es eben auch funktionieren. Das vertraute Kribbeln floss meinen Rücken entlang und in meine Arme und Beine. Wenige Sekunden später stand ich als splitternacktes Mädchen im Wald und streifte mir schnell meine Klamotten über.

Nicht mit mir! || Woodwalkers FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt