Es war ein normaler Tag für den Blonden. Normal um 17 Uhr verließ er das Bürogebäude und trat auf den großen Vorplatz, der immer mit reichlich Leuten übersäht war. Es war ein Durcheinander, normal für Freitagabend. Alle arbeitenden Menschen wollten nach Hause und das Wochenende mit der Familie verbringen.
Doch nur der Blonde hatte es nicht eilig, in seine vier Wände zu kommen. Er war ein selbständiger Mann, der keine Familie bräuchte, sie auch gar nicht besaß. Viel lieber hatte er seine Freiheit und lebte einfach von Tag zu Tag. So war sein Leben. So war Erwins Leben.Und wie jeden Tag, wenn er aus dem Gebäude lief, sah er diesen Mann. In einem Park, gar nicht mal so weit von Erwins Arbeitsstelle entfernt, saß er da und las. Tag ein, Tag aus. Der Blonde fragte sich schon länger, ob der mysteriöse Mann auch was anderes tat, außer auf der dortigen Bank zu sitzen und zu lesen. Dabei las er nicht mal guten Kram - Erwins Meinung nach. Er war nicht so der Typ, sich in Buchstabenansammlungen zu vertiefen. Da schaute der 32- Jährige lieber einen Film mit einer Bierflasche in der Hand, ließ es sich gut gehen. So wie jeden Freitagabend. Doch irgendwie hatte er heute das Gefühl, er würde dieses Vorhaben heute mal verschieben.
Schon seit Längerem fragte Erwin sich, ob er nicht doch mal den Typen auf der Bank ansprechen sollte. Er hatte bis jetzt noch niemanden gesehen, der auch nur ein Wort mit dem Typen sprach. Konnte aber auch daran liegen, dass Erwin ihn nur einmal täglich sah und deshalb eventuelle Personen, die mit dem Mann sprachen, nicht gesehen hatte. Doch diese Theorie ließ er außenvor. Er wollte endlich wissen, was dieser Mann für ein Typ Mensch war. Er sah äußerlich nicht besonders kontaktfreudig aus. Seine gesamte Ausstrahlung sagte förmlich: „Sprich mich nicht an", doch diese ignorierte der Blonde gewissenhaft. Dies wäre für ihn nicht von Belang. Da Erwin schon immer eine recht extrovertierte Person war, scherte er sich nicht, auch mal auf Fremde zuzugehen. Immerhin war dies Teil seines Jobs.
Erwin war immer die Art Mensch gewesen, die vor anderen stets ein Lächeln trug, es jedoch, wenn er allein war, gerne auch mal fallen ließ. Im Endeffekt war es nur eine Methode, den wirren Alltag eines Menschen zu durchschreiten, um am Ende des Tages sich einfach müde auf die Couch fallen zu lassen.Doch nicht heute. Heute würde Erwin auf den Typen zugehen und ihn ansprechen. Es wurmte ihn nämlich schon gute drei Wochen, was dieser Mann zu verbergen hatte. Doch Erwin war so darauf ausgelegt, dieses Geheimnis zu lüften, dass er all seine Hintergedanken sacken ließ und mit einem selbstbewussten Gesicht an die besetzte Bank herantrat.
Sein Ziel schien so in die Literatur vertieft zu sein, dass er gar nicht merkte, wie der blonde Riese sich neben ihn auf die Bank setzte. Erst als Erwin sich räusperte, schaute er kurz zu Seite, doch beachtete den Mann neben sich nicht weiter. Dies schien Erwin zu stören.
„Und? Ist das Buch gut?", fing der Blonde an, „Scheint ja sehr interessant zu sein." Doch als Antwort erntete er nur einen Blick von dem Schwarzhaarigen, der seine Nase wieder in das Buch steckte. Erwin verzog die Lippen. Er hatte recht, der Typ schien nicht sonderlich an einem Gespräch interessiert zu sein. Dies würde er gleich ändern.
„Worum geht es da?", fragte er weiter und zog eine Augenbraue in die Höhe. Er hörte ein leises Seufzen von seinem Nebenmann. Der Schwarzhaarige senkte etwas das Buch und schaute kurz zu dem Blonden, doch wandte ihn gleich wieder ab. „Darum, wie ein wild Fremder einen im Park lesenden Mann mit Fragen nervt", erwiderte er schließlich. Erwin musste kurz belustigt schnauben. Der Typ konnte doch reden. Und Erwin musste zugeben, seine Stimme war tiefer, als er gedacht hatte. Aber na gut, Überraschungen sind auch mal was Schönes.
„Klingt sehr interessant. Was sind das denn für Fragen?", kam es erneut von dem Blonden. Wenn er Glück hätte, würde es nach seinen Wünschen verlaufen. Das käme ihm dann Zugunsten. Der Blonde besaß gute Menschenkenntnisse, was in seinem Berufsleben auch deutlich von Vorteil war - Kunden zu lesen.
„Ich weiß nicht. Scheinen schlechte Anmachversuche zu sein", sagte der unbekannte Mann. Erwin setzte ein wissendes Gesicht auf. Er hatte sich schon gedacht, dass der Mann das verstehen würde. Immerhin hatte er es nicht sonderlich versucht, zu verstecken. Der Schwarzhaarige sollte ruhig merken, was der Blonde vorhatte. Vielleicht würde der Abend doch noch nach Erwins Plänen verlaufen. Wenn auch nicht in dieselbe Richtung, aber es gefiel ihm dennoch. Zugegeben, der Mann war sichtlich nicht von schlechten Eltern und sah sehr gut aus. Eigentlich genau in Erwins Beuteschema. Perfekt.
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Every Day [Eruri/OS]✔
FanfictionJeden Tag sitzt er da. Auf der Bank mit einem Buch in der Hand, fleißig und still am lesen. Er wirkt wie der Schatten einer Person. Er ist da, doch niemand bemerkt ihn. Doch dann taucht ein blonder Mann auf, der ganz was anderes im Sinne hat, als n...