Prolog

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Drei Jahre zuvor

»Railey Young«, werde ich namentlich aufgerufen.

Ich atme einmal tief durch, um meine zitternden Hände und mein klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen.

Aufgeregt trete ich an den anderen Teilnehmern vorbei und stelle mich vor die drei in schwarze Jogginghosen und T-Shirts gekleideten Kampfrichter, die mir freundlich zunicken.

Einer von ihnen ist Steven, mein Kickbox-Trainer. Er hält eine Urkunde in der einen Hand und einen Pokal in der anderen. »Herzlichen Glückwunsch.«

Strahlend nehme ich die Urkunde und den glänzenden Pokal entgegen. Auf diesen Moment habe ich seit Wochen hingefiebert: Ich habe bei meinem ersten Turnier im Kickboxen teilgenommen und den Titel für die Regionalmeisterschaft in meiner Gewichtsklasse gewonnen!

Überglücklich stelle ich mich zurück in die Reihe, als der nächste Gewinner einer anderen Gewichtsklasse seine Urkunde erhält. Ich schiele heimlich nach links zu Miles, einem Schüler aus meinem Verein, und werde knallrot, weil er mich ansieht. Seine blonden Haare hängen ihm wirr in sein breites Gesicht und seine himmelblauen Augen funkeln mich an. Ein angenehmes Flattern breitet sich in meinem Magen aus.

Als er mir zuzwinkert, werde ich rot. Miles hat meinen Kampf mitverfolgt, weshalb ich mehr als stolz bin, ihn gewonnen zu haben. Doch dann wendet er sich wieder seinem Kumpel neben ihm zu und die beiden tuscheln miteinander.

Nachdem jeder Teilnehmer seine Urkunde erhalten hat, renne ich aufgeregt zu meiner Familie, die wie alle anderen Angehörigen und Freunde auf der anderen Seite der Turnhalle gewartet und sich von dort aus die Kämpfe angesehen hat.

»Du hast es geschafft!«, jubelt mein Zwillingsbruder Dean. Er strahlt über das ganze Gesicht und umarmt mich stürmisch.

»Ja«, gebe ich fröhlich zurück, als wir uns voneinander lösen, werde dann jedoch traurig. »Schade nur, dass du nicht mitmachen konntest.«

Dean, der sich vor ein paar Wochen beim Training das Kreuzband gezerrt hat und deshalb nicht am Turnier teilnehmen konnte, zuckt mit den Schultern.

»Das nächste Mal bin ich wieder mit dabei, Schwesterchen«, meint er und lächelt mich zuversichtlich an.

Dann tritt unser großer Bruder Reece an ihm vorbei. Stolz zeichnet sich in seiner Miene ab, als er mich feierlich in seine Arme zieht. Glücklich schmiege ich mich an ihn. Er ist nicht nur mein großer Bruder. Er ist mehr als das. Er ist mein bester Freund.

Reece löst sich wieder von mir und legt wie Steven zuvor seine Hand auf meine Schulter. »Das hast du toll gemacht, Railey. Ich wusste, du wirst es schaffen.«

Obwohl nur Dean und ich Zwillinge sind, sehen wir uns alle ziemlich ähnlich. Wir haben dieselben dunkelbraunen, fast schwarzen Haare, stechend blaue Augen und ein herzförmiges Gesicht. Manchmal denken die Leute, wir wären Drillinge. Wobei Reece ein wenig größer ist als Dean und ich.

Unser Dad steht neben unserer Mom und hat ebenfalls ein glückliches Strahlen im Gesicht. Dad kam erst letzte Woche von seinem Einsatz zurück und hat jetzt für ein paar Wochen frei. Er arbeitet in der Army im Iran an der Grenze zu Afghanistan, wo er Soldaten ausbildet.

In der Zeit seiner Abwesenheit ist Reece für uns da, so wie er immer für uns da ist. Reece ist etwa drei Jahre älter als Dean und ich und fängt jetzt sein letztes Jahr an der Highschool an. Seine Kumpels unternehmen heute zum Abschluss der Sommerferien einen Trip nach Kalifornien ans Meer. Aber er ist hiergeblieben, damit er mir bei meinem ersten Wettkampf zuschauen konnte.

»Lasst uns zur Feier des Tages Essen gehen«, schlägt Mom vor.

»Du willst dich bestimmt noch schnell von deinen Freunden verabschieden, oder? Wir gehen schon mal vor und warten am Auto auf dich«, meint mein Vater und zwinkert mir verschwörerisch zu, sodass ich mich mit glühenden Wangen abwende. Meine ganze Familie weiß, dass ich in Miles verknallt bin.

Nachdem sie gegangen sind, schlendere ich mit klopfendem Herzen zu Miles und seinem Kumpel. Beide sind zwei Jahre älter als ich, haben aber denselben Gürtel, das heißt denselben Ausbildungsgrad wie ich. Wir haben etwa zur gleichen Zeit mit dem Kickboxen angefangen und sind seitdem so etwas wie Freunde. Wobei ich die ganze Zeit über hoffe, dass Miles in mir mehr als nur irgendeine Freundin sieht.

Miles hat mir den Rücken zugewandt und sieht mich deshalb nicht auf ihn zugehen. Trotzdem höre ich, was er sagt. »Krass, dass sie sich den Meistertitel in ihrer Gewichtsklasse geholt hat. Auch wenn es nur die Regionalmeisterschaften sind. So lange ist sie ja noch nicht dabei und es war ihr erstes Turnier. Railey ist für ein Mädchen echt gut«, meint er zu seinem Freund. Vor Aufregung und Stolz macht mein Herz einen Satz.

»Klingt, als ob sie dir gefällt?«, erwidert sein Freund und stößt ihn mit der Schulter an.

»Sie ist ja ganz nett und niedlich«, entgegnet Miles. »Aber sie ist überhaupt nicht mein Typ. Sieh sie dir an, wie winzig sie ist. Ich stehe auf richtige Frauen. Nicht auf kleine Mädchen, die aussehen wie aus der Elementary School. Die wird wahrscheinlich für immer so kindlich bleiben. So eine will doch niemand daten.« Er lacht über seinen eigenen Witz und sein Freund stimmt lauthals mit ein.

Mein Herz, das gerade eben noch sehr schnell geschlagen hat, bleibt stehen und zerbricht in Millionen von Scherben. Das Atmen fällt mir schwer. Tränen schießen mir in die Augen.

Bevor sie mich bemerken können, drehe ich mich um und laufe davon. Am Ausgang der Turnhalle wartet Reece auf mich. Er lehnt lässig an der Wand, die Hände in seine Hosentaschen geschoben.

Als er die Tränen in meinen Augen bemerkt, verändert sich seine Miene. Er stößt sich von der Mauer ab, kommt auf mich zu und schließt mich in seine Arme.

»Was ist denn los, Railey?«, will er wissen und streicht mir zärtlich durch die Haare.

»Er ... er ... er hat gesagt, dass er mich nicht attraktiv findet, weil ich so klein bin wie ein Kind«, jammere ich und schäme mich im nächsten Moment, weil ich nicht nur aussehe wie ein kleines Kind, sondern mich gerade auch so verhalte. Aber Miles' Worte haben mir wehgetan.

Reece legt seine Hände auf meine Schultern und sieht mich eindringlich an. »Sag so etwas nicht. Du bist zwar kleiner als andere Mädchen in deinem Alter, aber das ist doch nicht schlimm. Außerdem bist du noch viel zu jung für einen Freund. Du hast genügend Zeit, einen zu finden. Du bist sehr hübsch, Railey. Und schlau. Außerdem zählen die inneren Werte mehr als die Äußeren. Wenn er dich so, wie du bist, nicht mag und so oberflächlich ist, dann hat er dich nicht verdient. Irgendwann wirst du schon den Richtigen finden. Genau dann, wenn du es am wenigsten erwartest.«

Kicking Your Love (Railey & Austin) [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt