1. Kapitel

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Erst waren es Briefe, welche in meinem Briefkasten lagen. Briefe, ohne eine Briefmarke.

Dann kamen die Blumen dazu, welche vor meiner Haustür auf mich warteten. Vor der Tür im Dachgeschoss des Mehrfamilienhauses. Jemand hatte sich Zutritt zu dem gesamten Haus verschafft und wusste, wo genau ich wohnte.

Das alles hat mich mit jedem verstreichenden Tag mehr verunsichert. Aber heute bleibt mein Herz stehen, als ich meine Wohnungstür aufschließe.

Mein Blick fällt auf den kleinen Tisch, welcher in meiner Küche steht und mir stockt der Atem. Dort steht eine Blumenvase mit einem Strauß frischer roter Rosen. Mit schnell klopfendem Herzen schließe ich die Tür und lehne mich mit dem Rücken dagegen.

Die Erkenntnis kriecht durch meinen Körper und versetzt ihn in eine eisige Kälte. Es ist ganz offensichtlich. Jemand war in meiner Wohnung.

Ängstlich ziehe ich meine Jacke enger um mich und sehe mich vorsichtig um. Vielleicht ist dieser Irre ja noch immer hier. Hart schluckend konzentriere ich mich darauf, meine Atmung zu verlangsamen. Mein eigener Puls pocht mir in den Ohren, was in dieser Situation sehr unpraktisch ist, da ich so nicht genau hören kann, ob ein unbekanntes Geräusch aus einem der angrenzenden Zimmer dringt. 

Tief atme ich durch und schließe meine Augen, um mich zu beruhigen. Ich hätte viel früher zur Polizei gehen müssen. Bereits mit dem ersten Brief und nicht erst, als es mit den Blumen anfing. Aber die Polizei kann nichts tun. Sie ermittelt gegen Unbekannt. Niemand weiß, wer mein Stalker ist. Und niemand weiß, wie ich ihn auf mich aufmerksam gemacht habe. 

Ich habe einen durchgeknallten Ex-Freund, aber zu so etwas wäre er nicht imstande, er ist viel zu sehr mit seinen Drogen beschäftigt und wie er schnell an den nächsten Schuss kommt. Er würde niemals so viel Mühe investieren, um mir Angst einzujagen. 

Denn das gelingt diesem Unbekannten sehr gut. Mittlerweile habe ich Panik, sobald ich mich meinem Zuhause nähere. Er ist mit jeder Woche weiter in meine Privatsphäre eingedrungen. Und heute hat er das erobert, was mir immer so wichtig war. Meine Wohnung, meinen einzigen Rückzugsort. Den Ort, in dem ich mich immer sicher gefühlt habe, in dem mir niemand etwas antun konnte. Die Räume, in denen ich so sein konnte, wie ich bin. In denen ich keine Rolle spielen musste, weil ich irgendwelchen anderen Menschen gefallen musste. Hier war ich immer sicher. Bis zu diesem Augenblick. 

Langsam hat sich mein Puls etwas beruhigt, sodass ich es wage, meine Augen erneut zu öffnen. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe die drei Schritte durch meinen Flur, bis ich an der Tür zu meinem Schlafzimmer ankomme. Wie in Zeitlupe strecke ich meine Hand nach der Türklinke aus. Fest schließen sich meine Finger um das kalte Material. Ich halte die Luft an und öffne die Tür schwungvoll. Hektisch wandern meine Augen durch das Innere des Raumes und ich atme erleichtert auf, als ich niemanden dort stehen sehe.

Auch meine Inspektion durch die restlichen Zimmer bleibt erfolglos. Mein Stalker hat mir anscheinend die Blumen auf den Tisch gestellt und ist wieder verschwunden, ohne eine weitere Spur zu hinterlassen. 

Meine Gedanken überschlagen sich, während ich mich dem Blumenstrauß nähere. Die Farbe der Rosen erinnert mich sehr an meinen Lippenstift, welchen ich so gerne auftrage. Langsam fahre ich mit meinen Fingern zu meinen Lippen. Auch heute trage ich ihn wieder. Ich verlasse meine Wohnung nie, ohne ihn vorher aufgetragen zu haben. Er gehört zu mir, ohne fühle ich mich wie nicht richtig angezogen. Als würde ich ohne Hose nach draußen gehen. 

Deswegen fühlt es sich wie ein Stich tief in mein Herz an, dass diese Blumen genau die gleiche Farbe haben. Sie sind ganz gewiss für mich bestimmt. Dieser Wahnsinnige spielt mir mir, mit meinen Vorlieben und Ängsten. Er macht mich langsam krank. 

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