Kapitel 1 - Story

484 22 31
                                    

 "Das wird einfach der Sommer unseres Lebens, okay?!", jubelt meine beste Freundin Lina in einem Ton, der nichts anderes zulässt und legt vertraulich ihren Arm um meine Schulter um mich so zu schütteln und ganz dicht an sich zu ziehen. Es ist viel zu warm für diese Körpernähe in dem völlig aufgeheizten Auto. Der Alte Opel Astra von Anna verfügt nämlich über keine Klimaanlage, tatsächlich nicht mal über eine Zentralverriegelung. Aber ich will mich nicht beschweren, schließlich war das der einzige fahrbare Untersatz, den wir ergattern konnten für unseren spontanen Urlaub.

"Jaahaa!", erwidere ich gedehnt und kichernd, versuche mich aus der Umklammerung der Blonden zu befreien, was nicht so einfach auf der Rückbank in dem kleinen Astra zu bewerkstelligen ist. Nichts weniger als genau das, was sie gesagt hat, habe ich mir vorgenommen: Den Sommer unseres Lebens zu machen, ihn in vollen Zügen zu genießen. Endlich, nach der ganzen Büffelei und der raren Freizeit in unserem Mediendesign-Studium, haben wir uns diese Auszeit kurz vor unserer Bachelorprüfung wirklich verdient. Der spontante Campingurlaub auf der Halbinsel Pag ist da genau das Richtige.

"Party hard! Wer auch nur einen Tag von euch nüchtern ist, der muss draußen schlafen!", droht Anna und wirft uns einen strengen, aber amüsierten Blick über die Schulter zu, bevor sie ihre Augen wieder auf die Straße richtet.

"Das ist mal ein Wort!", lacht Lina und klopft Anna lobend von hinten auf die Schulter. Ich verdrehe die Augen, bin mir einfach noch nicht so sicher, ob ich wirklich die nächsten zwei Wochen im Vollrausch verbringen will. Allerdings habe ich auch diese Pause dringend nötig, genauso wie meine Freundinnen. Ich will einfach die letzten drei Jahre voller harter Arbeit vergessen, den Stress über die bevorstehende Prüfung endlich abschütteln und meine Freundinnen haben Recht, das geht am besten mit einem Cocktail und guter Musik am Strand. Ein aufgeregtes Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus, die Vorfreude auf diesen verspäteten Sommer beschleunigt meinen Herzschlag. Ich brauche das und ich will das, nach all dem, was nun hinter mir liegt.

"Anna, kannst du nicht mal schneller fahren? Ich will da endlich hin!", lasse ich mich mitreißen von der ausgelassenen Stimmung meiner Freundinnen und halte meine Hand durch das weit geöffnete Fenster in den heißen trockenen Fahrtwind, der auch an meinen langen braunen Haaren zerrt. Zur Antwort tritt die Brünette am Steuer lachend etwas stärker auf das Gaspedal. Die Partymusik, die aus den schlechten Boxen des Astras schallt übertönt das laute Motorgeräusch, als Anna sie noch ein wenig lauter dreht. Es ist so laut, dass wir uns nur schreiend unterhalten können. Ich schaue raus auf die vorbeifliegende Landschaft und bin unwillkürlich froh, endlich raus zu kommen. In diesem Moment vibriert mein IPhone und ich zucke fast erschrocken zusammen. Wie einem Zwang folgend entsperre ich es sofort und als ich sehe, was los ist, pocht mein Herz wild. Sascha hat eine neue Story gepostet.

"Oh no! Siehst du diesen Blick, Anna? Wir haben Lyn wieder an ihre Parallelwelt verloren", dringt wie von weit weg Linas Stimme zu mir vor. Ertappt lasse ich mein Handy in meinen Schoß fallen wie eine heiße Kartoffel, bevor ich überhaupt die Story ansehen kann und sehe peinlich berührt zu meiner Freundin hinüber, die über mich und meine Reaktion einfach lacht. Auch Anna sieht mich amüsiert durch den Rückspiegel an und zwinkert mir zu.

"Ey, gar nicht!", lüge ich und merke, wie meine Wangen rot werden. Leider haben sie mich erwischt und ich habe mich absolut verraten.

"Guck dir ruhig seine Story an, nachher verpasst du noch was. Wie er sich Salat macht oder sein Auto tankt oder sowas", witzelt Lina auf meine Kosten und deutet auf mein Handy, das erwartungsvoll auf meinem Oberschenkel liegt. Es kostet schon einige Selbstbeherrschung es jetzt nicht in die Hand zu nehmen und dem Drang nachzugeben, mir anzusehen, was Sascha gerade seinen Followern mitteilen will. Standhaft schüttle ich den Kopf, als würde es mich nicht jucken und blicke wieder aus dem Fenster.

Das Ende des Sommers (Sascha Hellinger FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt