Kapitel 7 - Mission

280 13 35
                                    


Entgegen meiner Erwartung überlebe ich die nächste Stunde ohne vor Scham nachträglich doch noch zu sterben. Nachdem ich duschen war und Zähne geputzt, also bis auf die tiefen Augenringe alle Spuren der Nacht auf mir beseitigt habe, geht es mir schon um einiges besser. Ich fühle mich nicht mehr ganz so grässlich. Saschas Schuhe ereilt jedoch ein anderes Schicksal, denn die sind nicht mehr zu retten, wie bereits abzusehen war. Trotzdem stehe ich an den Außenwaschbecken des Sanitärgebäudes, die eigentlich zum Spülen von Geschirr gedacht sind und rubble mit den wenigen Mitteln, die ich besitze, auf dem Segeltuchstoff herum. Es ist super heiß, selbst im Schatten unter dem Dach und die Hände in heißes Seifenwasser zu tunken, dient nicht gerade der Abkühlung. Doch ich will nicht aufgeben, will meinen Fehler ungeschehen machen. Es interessiert mich nicht mal, das ich Toby und Julius nicht verabschieden kann, obwohl Lina mir kurz schreibt, als sie aufbrechen um zurück  zu ihren Urlaubsbungalows direkt am Zycre Beach zurückkehren. Die Blamage sitzt sowieso noch zu tief, dass ich mich in keinem Fall traue, ihnen so schnell wieder unter die Augen zu treten. Ich bin wirklich kein extrovertierter Mensch und habe mich im Hintergrund immer wohler gefühlt, wo niemand mich überhaupt bemerkt. Die paar Minuten unfreiwilligen Ruhm brennen noch immer ein Loch aus Scham in meinen Magen und darüber muss ich erstmal hinwegkommen.

Während ich weiterhin wie wild den rechten Turnschuh von Sascha mit meinen Händen bearbeite, driften meine Gedanken ab, dorthin, wo ich sie eigentlich nicht haben will. Ich beobachte still ein paar Gruppen, die gerade abreisen und mit ihren vollbepackten Autos und Wohnmobilen über den trockenen Weg direkt am Waschhaus und somit an mir vorbei rollen. Ein paar davon sind immer noch am feiern auf den Rückbänken und prosten mir mit Bierdosen in den Händen zu, was mich fast zum Schmunzeln bringt. Es ist bereits Ende August, die meisten brechen auf nach Hause, weil ihr Urlaub endet. Wir hingegen sind erst angekommen, unserem Studium geschuldet. Vorgestern haben wir noch die letzten Prüfungen geschrieben, Prüfungen, von denen ich nicht mal weiß, ob ich sie bestanden habe. Ich seufze schwer und drücke die großen Turnschuhe wieder unter Wasser.

Ich habe wirklich Angst davor, dass ich das Semester noch einmal wiederholen muss, davor, dass ich es nicht geschafft habe, mich für die Bachelorprüfung qualifiziert zu haben. Tränen treten mir in die Augen, denn die letzten drei Jahre waren so hart für mich, mehr als für die anderen. Lina und Anna haben auch unheimlich viel gearbeitet, aber irgendwie fiel ihnen alles einfacher als mir. Für mich war es immer ein fast unmöglicher Kraftaufwand die Abgaben zu schaffen, die Präsentationen vorzubereiten, die Designs zu entwickeln. Tagelang habe ich daran gesessen. Das einzige was mich in diesen endlosen Nächten am Leben gehalten hat waren unendlich viele Dosen Energydrinks und Saschas Streams, so albern das auch klingen mag. Ich habe mich weniger alleine gefühlt in meiner winzigen Wohnung, vor allem, nachdem Maik gegangen ist. Eine einzelne Träne rollt mir über die Wange und tropft in das Waschbecken, verschwindet dort im heißen Wasser, als hätte es sie nie gegeben. Nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann einmal in Kroatien stehen und die Vans von den Typen waschen würde, der mir unbewusst aus meinem Loch geholfen hat.

Wie so oft frage ich mich, ob ich überhaupt das richtige studiert habe mit Mediendesign, ob ich nicht drei Jahre Kraft fehl investiert habe mit etwas, das mir gar nicht liegt. Vielleicht habe ich nicht das Zeug dazu. Und dabei habe ich dafür alles riskiert, alles aufgegeben, alles verloren, sogar Maik.

"Sorry, wenn ich das so sage, aber das sieht nicht viel besser aus", spricht mich jemand an und ich zucke zusammen. Hektisch wische ich mir meine Tränen mit meiner Schulter weg, weil meine Hände ja noch im Wasser hängen und blicke auf. Natürlich ist es Anna, die nach mir gucken kommt. Sie schenkt mir ein wohlwollendes Lächeln.

"Ja, ich weiß!", stoße ich verzweifelt aus und schüttle wild den Kopf. "Ich hab keine Chance oder?", frage ich sie dann und drehe einen der vollgekotzen Schuhe im Licht, der nun komplett eine gelbliche Farbe angenommen hat. Die Große schüttelt mitleidig, aber auch etwas schmunzelnd den Kopf.

Das Ende des Sommers (Sascha Hellinger FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt