Es war kein schöner Tag zum Sterben.
Nicht einmal die dunklen Wolken, die so verhängnisvoll über den Boden zogen, tief, als wollten sie ihn verschlingen, hatten sich sehen lassen. Nein, es war ein wunderschöner Frühsommermorgen im fünften Monat des Jahres, an dem der Tod beschloss, meiner Familie einen Besuch zu erstatten.Wie so oft bin ich schon vor meinen Eltern und meiner kleinen Schwester wach gewesen. Die Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster fielen, kitzelten meine Wange, bis sich das Hin- und Herdrehen als hoffnungslosen Umstand auswies. Ich stand auf, schmiss mir eine Hose und ein Shirt über die dünnen Arme und Beine, und lief so leise wie möglich nach draußen. Zu oft schon hatte ich meine Eltern gestört, und es schien sie von Mal zu Mal wütender zu machen, wenn ich sie so früh weckte.
Wir wohnten auf dem Land mit einem großen Obst- und Gemüsegarten, aus dem ich jeden Morgen im Sommer irgendetwas mit hereinbrachte.
Seit diesem Morgen esse ich keine Birnen mehr.
Ich war wohl wieder zu lange damit beschäftigt gewesen, die Vögel von den Beeten und Bäumen zu jagen, denn ich hatte nicht mitbekommen, wie sich im Hausinneren etwas regte.
Unser Haus ist nicht groß gewesen, weswegen das Abbrennen wahrscheinlich weniger lang gedauert hat, als es der Kleiderschrank des Prinzen tun würde. Er war gerade Mal elf Jahre alt, und damit ein Jahr älter als ich. Er konnte wahrscheinlich alleine in der Anzahl seiner Socken baden, ganz zu schweigen von den restlichen Kleidungsstücken, die er besitzen musste.
»Luzian! Genug herumgerast, bring bitte ein paar Früchte zum Frühstück mit rein!«, rief meine Mutter, die für eine Frau und besonders für ihre zierliche, aber große Figur, eine ziemlich tiefe Stimme hatte. Sie war Mitte dreißig, und mir selbst graute es schon vor dem Alter, weil sie ihre ersten grauen Haare bekam. Mein Vater, ein noch größerer, muskulöser und robuster Mann, hatte schon immer sehr helle Haare gehabt, in denen ein Grau dieser Nuance unterging. Ich wusste also nicht, wann es bei ihm angefangen hatte.Ich machte auf dem Absatz kehrt, nahm mir, was ich greifen konnte, und lief eiligen Schrittes zum Haus zurück. Die Hintertür sprang auf, und ein kleines Mädchen, noch dünner als ich es gewesen bin, rannte mir entgegen. Calice, meine vier Jahre jüngere Schwester, fiel mir dabei fast vor die Füße.
Man sah ihr schon mit ihren zarten sieben Jahren an, dass sie einmal eine Schönheit werden würde. Sie hatte dieselbe Haarfarbe wie ich, irgendetwas zwischen Schwarz und Dunkelbraun, doch hatte sie die grünen Augen meines Vaters geerbt. Im Sommer bekam sie, anders als ich, viele kleine Sommersprossen, und schon jetzt hatte ich das Gefühl, sie vor der Welt beschützen zu müssen. Jemand wie sie, jemand so Zerbrechliches und von Herzen Gutes, war für die Welt wie Aas für die Geier: wenn man nicht aufpasst, wird sie schneller verschlungen, als man blinzeln konnte. Hinzu kam, dass sie die nervige Angewohnheit hatte, immer alles wissen zu wollen und somit auch nicht Halt vor vernagelten Türen macht, die ihr nach dem Eintreten beinahe den Anfall eines tollwütigen Hund bescherte.
Kopfschüttelnd fing ich sie mit meinem freien Arm auf. »Wenn du nicht aufpasst, fällst du hin und tust dir weh.«, murmele ich ihr entgegen und helfe ihr beim Aufrichten. Als sie nach dem Korb mit den Früchten, größtenteils Birnen, greift, ziehe ich ihn weg und laufe rein. Ich konnte ihn immerhin auch alleine tragen und ich habe mir nicht die Mühe des Pflückens gemacht, nur damit sie vor mir etwas daraus aß.
»Wenn ich hinfalle, ist das Schlimmste, das passiert, dass ich so aussehe wie du. Immer mit Dreck besudelt.« Ihr Lachen über ihren eigenen Witz habe ich heute noch in den Ohren, und nicht selten ist es das einzige Licht am Ende des langen, kalten Tunnels meiner Gedanken.Gerade, als wir alle gemeinsam – meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich – Platz genommen und jeweils das erste Stück des Butterbrots in den Mund geschoben hatten, klopfte es wütend an der Vordertür. Mein Kopf schoss von dem zerrupften Stück gebackenen Teigs zwischen meinen Fingern hoch; ich war es nicht gewohnt, dass jemand mit einer Inbrunst an die Haustür schlug, als wolle er sie mit jedem Schlag aus den Fugen jagen.
Vater schenkte Mutter einen kurzen Seitenblick. Ich konnte ihn nicht deuten; er hatte etwas Alarmierendes in sich, etwas so Tiefgründiges, dass es mir bis heute ein Rätsel zu sein scheint, obwohl ich die Hintergründe nun zu identifizieren vermag.
Mit einem Mal stand meine Mutter, ihr Stuhl fiel hinter ihr zu Boden. Hastig lief sie um den Tisch, und deutete mir und meiner Schwester, aufzustehen und keinen Mucks von uns zu geben. Selbstverständlich hielt ich mich nicht daran. »Vater, kommen sie wegen deiner zweiten Arbeit?« Ich wusste, dass er etwas Zeitaufwendiges nebenher betrieb, dass er bis tief in die Nacht auf Karten und Briefe starrte und dass meine Mutter manchmal weinte, weil er nicht ins Bett zu ihr zum Schlafen kam. Ich konnte ihr Schluchzen, ihr Flehen darum, dass er aufhörte, manchmal durch die Wand hören, wenn ich ganz leise war und den Atem anhielt. Ich fragte mich, weswegen Vater nicht einfach ins Bett kam und warum meine Mutter es so schlimm fand, dass er lange wach war. Erwachsene waren doch meistens lange wach und meine Mutter veräppelte mich doch nicht, wenn sie mir sagte, dass sie keine Angst vor der Dunkelheit hatte, oder?
Der Blick, den mein Vater mir darauf schenkte, zeigte drei Gefühle zugleich: Wut, vermutlich über meinen Ungehorsam, Panik, und Liebe. Irgendeine Art von großer Besorgnis, die mit einer Leidenschaft und einer Wichtigkeit unterlegt war, die nur Eltern ihren Kindern gegenüber haben konnten.
Ich verstummte unter dem Blick. Den Geruch von Feuer nahm ich noch vor dem Knistern war, mit dem es sich durch alles fraß, das ihm im Weg war. Mutter zog Calice und mich aus der Hintertür in unseren Garten und weiter, wir waren kaum in der Lage, mit ihr Schritt zu halten.
Kontrolliert starrte ich Voraus. Panik regte sich nun auch in mir, und ich traute mich nicht, den Blick zu unserem Haus oder zu meiner Mutter zu richten. Zwar hatte ich sie oft Weinen hören, doch gesehen habe ich es nie. Die Angst vor dem Gefühl, das in mir aufkommen würde, täte ich es, besiegte den Instinkt, nach dem Rechten zu sehen. Es war sicher nicht alles Recht.
Ein Schuss holte mich aus meiner Trance, in der wir bestimmt eine Strecke von fünfzig Metern ins Feld hinein hinter uns gebracht hatten. Ich riss den Kopf herum und grub die Fersen in die trockene Erde.
Das Bild vor mir ließ alle anderen Sinne verstummen. Dort, wo unser Haus eben noch gestanden hatte, wo ich eben noch am Tisch gesessen hatte, stiegen rote Zungen wie aus des Teufels Hand empor. Hohe, rote Flammen, als wollten sie den strahlend blauen Himmel lecken und necken, mit ihrem Rauch seine Schönheit vernichten. Meinen Vater sah ich nicht. Was ich sah, waren vier Soldaten, Soldaten des Königshauses Learte, in ihrer blutroten Uniform und Gewehren, die länger als ihr Oberkörper waren. Ihre Köpfe schreckten umher, wandernd, als suchten sie nach etwas Bestimmten. Sie kamen bei uns zum Stehen.
In dem Moment setzte meine Hörfähigkeit langsam wieder ein. Bedeckt von einem Nebelfilter hörte ich die Schreie und Befehle meiner Mutter, nahm wieder wahr, dass sie mich weiter zerren wollte, weiter auf das freie Feld hinaus, das sich hinter unserem Garten erstreckte. Ich drehte mich zu ihr, wollte ihr sagen, dass wir doch umso bessere Ziele auf dem Feld seien, dass wir besser gen Westen Richtung Wald liefen.
Allerdings sah ich nur noch, wie sie ihre Augen aufriss. Ihr Mund formte sich zu einem großen "O". Keine Tränen flossen mehr ihre Wangen hinab. Ich habe den Schuss vermutlich überhört, der sie in den Rücken auf Herzenshöhe traf. Der Nebel in meinen Ohren hatte sich wohl nicht gänzlich gelegt. Sie fiel, ließ die Hände ihrer Kinder los, Kopf voraus in die Erde, welche sich langsam rote unter ihrem Körper färbte.
Unbeweglich stand ich da, meine Füße in den Boden verwurzelt. Es war, als wären meine Füße mit Zement gefüllt und meine Glieder wehrten sich gegen jegliche Aufforderungen. Calice schien es genauso zu ergehen, denn ihr tränenüberströmtes Gesicht verfing sich in einer Schockstarre.In dem Moment, in dem beschlossen wurde, Calice und mich zu trennen, starrten vier rote Augen in vier schwarze Gewehre.
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Ancestral - Sapphire's Song
FantasyZehn Edelsteine. Zehn Fähigkeiten. Eine immerwährende Jagd nach buntem Blut. Eine Prinzessin, die irgendwie das Ende der tyrannischen Herrschaft ihrer Familie herbeiführen möchte. Amaya Learte, die Prinzessin von Mortana, scheint die Einzige zu...