Leise gleiten meine Füße um die Ecke. Es ist wie ein Tanz, jede Bewegung präzise und mit Grazie, sodass man die Kraft dahinter nicht einschätzen kann. Ich bringe meinen Arm in einem fließenden Stoß vor - und verfehle das zu treffende Holzbrett um zwei Zentimeter.
Frustriert gebe ich der Luft freien Lauf, die ich für wenige Sekunden angehalten habe. Alle Anspannung weicht aus meinem Körper, und ich lasse das Schwert, das ich eben noch in der Hand hielt, klirrend zu Boden fallen.
Es ist frustrierend. Wenn ich doch wenigstens nicht immer alles abdunkeln müsste, um das Kämpfen zu trainieren. Wenn ich doch nicht wenigstens einmal echte Gegner hätte, nicht immer nur Attrappen oder Zielscheiben, dann würde das alles anders laufen. Ich könnte kämpfen. Ich wäre herausragend. Ich wäre die Beste.
Prinzessinnen sind nicht zum Kämpfen geboren. Es gibt einen Grund, weshalb sie nicht als Junge auf die Welt gekommen sind. Die Stimme meines Vaters schallt in jeder Ecke meines Kopfes. Wütend stemme ich die Hände in die Hüfte und puste mir eine braune Strähne aus dem Gesicht, die wohl aus meinem Zopf herausgefallen sein muss. Es ist nicht fair. Es ist einfach nicht fair.
»Vielleicht sollten Sie, Eure Hoheit, ein paar weitere Kerzen aufstellen. Dann treffen sie beim nächsten Mal ganz sicher.«, kommt es leise aus der anderen Ecke der Scheune. Aethels leise, zerbrechliche Stimme hatte für mich schon immer einen sanften Beigeschmack gehabt. Schon als sie mir als Kind vorsang, hatte sie etwas an sich, das mich beruhigte. Mehr als einmal hatte ich so dafür gesorgt, dass Aethel nicht als überschüssiges Personal geköpft wurde - ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein. Nicht, dass sie nicht auch ernst oder laut werden könnte, aber normalerweise ist ihre angenehme Stimme ein sanfter Begleiter durch den Tag.
Schon immer sah sie so aus, wie sie heute aussieht. Vermutlich liegt das daran, dass ich mich erst ab einem Alter von vier oder fünf Jahren an sie erinnere; damals war sie ungefähr zwanzig. Seitdem hat sie ihre besorgten Gesichtszüge, ihre schmale und kleine Figur und ihr dunkelblondes Haar beibehalten. Den einzige Unterschied machen ihre Falten aus, die von Jahr zu Jahr tiefer zu werden scheinen. Vermutlich würde ich sie als eine Frau eines Ladenbesitzers, vielleicht ein Schuhladenbesitzer, einordnen, wenn ich sie auf der Straße sehen und nicht kennen würde. Allerdings hat sie es weniger gut getroffen. Seit nun siebzehn Jahren ist sie nämlich mein persönliches Dienstmädchen.
Die Arme sinken lassend, drehe ich mich langsam zu ihr um. Man müsste meinen, es sei mir peinlich, jemandem vollgeschwitzt gegenüber zu stehen. Das gehört sich nicht für ein Mädchen vom Hof. Mir hat das allerdings noch nie wirklich etwas ausgemacht. »Das hätte zwei mögliche, nicht wirklich empfehlenswerte Enden. Entweder, man sieht uns direkt durch das neue Lichtverhältnis, oder ich setze versehentlich alles in Flammen, und dann sorgen die Lichtverhältnisse dafür, dass man uns entdeckt.«, erkläre ich, als ich ihren höflichen, dennoch mütterlichen Blick auffange. Ich bücke mich und hebe das einfache Schwert auf, das ich eben fallen ließ. »Du weißt ja, wie er ist.«
Plötzlich gibt etwas außerhalb der Scheune ein lautes Knacken von sich. Vielleicht ist es doch keine allzu gute Idee gewesen, unseren neuen Trainingsort in den königlichen Hühnerstall zu verlegen. Aber groß genug ist er allemal, und da die Hühner nachts eingesperrt werden, schien es mir keine schlechte Idee, das drittweitentfernteste Gebäude vom Palast in eine Trainingshalle umzufunktionieren.
Aethels und mein Blick schießen zeitgleich zur großen, dunkelroten Doppeltür, die durch das Kerzenlicht noch roter hervorsticht. Als sich eine der Holztüren knarrend nachgibt, verliere ich keine Sekunde und springe hinter den größten Stall, den wir zu bieten haben - er ist fünfstöckig, und da jeder Stock ungefähr fünfzig Zentimeter misst, ist es ein Leichtes, mich dahinter zu verbergen.
Mein Dienstmädchen hingegen war nicht schnell genug gewesen. Ich höre, wie sie von einer Kiste auf das Stroh herab springt, vermutlich eilig darin, sich zu verbeugen. Den Rhythmus der Schritte würde ich überall erkennen. »Guten Abend, Eure Hoheit.«, ertönt ihre Stimme zittrig, und ich fühle seinen Blick umher schweifen.
Das ist das Problem mit meinem Bruder. Er nimmt alles immer ein bisschen zu genau für meinen Geschmack.
»Hast du meine Schwester gesehen? Sie weiß, dass wir heute Besuch von den Ardens erwarten. Sie kommen schon in einer Stunde, und wie ich sie kenne, treibt sie gerade sicher irgendeinen Unfug. Ganz sicher kann ich mir da sein, schließlich ist ihr Dienstmädchen des Abends allein in unserem Hühnerstall bei Kerzenschein.«, entgegnet er genervt, und ich kann ihn verstehen. Ich bin nicht gerade das, was man eine Vorzeigeschwester nennen würde. Prinzessinnen sind nicht zum Kämpfen geboren. Zwar kann ich den Thronerben von Mortana nicht sehen, doch sicherlich sind die Spitzen seiner Ohren vor Wut so dunkelrot wie seine Haare. Er hat die Farbe von Mutter geerbt, während ich das langweilige etwas hellere Braun meines Vaters in Kombination mit den wellenden Locken meiner Mutter abbekommen habe, die momentan durch Schweiß getränkt eher unköniglich wirken.
»Nein, habe ich nicht. Ich erholte mich auch gerade nur von meiner Suche nach ihr, Eure Hoheit.« Wie ich durch den flackernden Schatten an der Scheunenwand zu meiner Linken wahrnehmen kann, nickt mein Bruder lediglich. Vermutlich verkneift er sich, ganz der Kavalier, zu dem er erzogen wurde, einen Kommentar bezüglich des zertretenen Strohs auf dem Boden und der vielen Zielscheiben, die an den Wänden hängen. Schließlich kann auch ein Dienstmädchen ihre Interessen haben, und wenn sich eine Angestellte des Palastes zur Wehr setzen und die Prinzessin mit Leib und Leben beschützen kann, ist das auch nichts Verwerfliches.
Dass er dieses Mal keine Bediensteten nach mir schickt, wundert mich nicht. Arin Learte, mein charmanter Bruder, ist nämlich gerade auf einer geheimen Mission unterwegs: Brautschau. Zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag solle er jemanden an seiner Seite haben, der zu angemessen und fähig ist - so sagt es zumindest der König selbst, und sein Wort ist Gesetz. Keine Überraschung also, dass er vorher auf die moralische Unterstützung seiner kleinen Schwester hofft, die ihm bei der Kandidatinnenauswahl helfen könnte. Ungünstig ist nur, dass ich selbst keinerlei Erfahrung in so etwas habe und mich getrost darauf ausruhe, dass es noch ein paar Jährchen sind, bis ich überhaupt mal meine Fühler nach einem Bräutigam ausstrecken müsste. Theoretisch. Ich habe es nicht ganz so eilig wie Arin, schließlich könnte eine Hochzeit meinerseits höchstens eine gute Allianz beisteuern.
Ich habe mir schon mit zehn Jahren bewusst gemacht, als ich einen schnöseligen Jungen einer Adelsfamilie vorgestellt bekam, dessen Name ich schon lange wieder vergessen habe, dass ich aus nichts anderem als Liebe heiraten werde. Schon als ich seine Hand berührt hatte, kaltschweißig und dadurch so glitschig, dass ich fast aufgeschrien hätte vor Überraschung darüber, dass meine Hand beinahe weggerutscht wäre, wusste ich, dass ich nicht nach Schleimern Ausschau hielt.
Ich bewundere ein Mädchen aus einer Novelle dafür, dass sie denn Mumm hatte, sich selbst umzubringen, anstatt jemanden zu heiraten, ihre Unschuld herzugeben, den sie nicht als richtig für sich empfand. Naja, eigentlich war es ihr Vater, der sie umbrachte, um ihre Unschuld auf Ewig sicherzustellen, aber da ich auf so etwas garantiert nicht hoffen kann, ziehe ich eher in Erwägung, mich selbst umzubringen, als irgendeinen Idioten zu heiraten, der es auf meinen Status und nicht auf mich abgesehen hat.
Solche Geschichtchen habe ich mir schon immer gern vorlesen lassen - weniger brutale als Kind, doch der Kampf hatte mich schon immer sehr fasziniert. Das Klirren aufeinander schlagender Schwerter, die tänzerischen Vollführungen der Kämpfer, das Talent und das Adrenalin - es berauschte mich, Erzählungen wie erste eigene Erfahrungen. Es ist wie eine Droge für mich geworden, der Nervenkitzel, der Wettbewerb, der Preis - und kaum hatte ich mein erstes Messer in der Hand; ich glaube, ich war sechs, wurde es mir auch schon entrissen. Prinzessinnen sind nicht zum Kämpfen geboren. Geh rein und verfeinere deine Tischmanieren, so kann ich dich doch niemals mit uns speisen lassen.
»Natürlich werde ich meine Suche umgehend fortsetzen.«, ergänzt Aethel, ihre Schritte werden auf dem trockenen Stroh hörbar und kurz darauf ebenso die sich Entfernenden meines Bruders.
Als er sicher außer Hörweite ist, läuft mein Dienstmädchen zu mir hinter die Wand aus Hühnern. »Also wirklich, ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, uns nicht anzuschwindeln. So etwas ziert sich nicht. Weder für eine Dame, noch für jemanden, der sein Leben nur allzu gerne opfern würde.« Ihre leise Stimme wird beim Sprechen etwas lauter, damit mir die Enttäuschung nicht entgeht. Sie weiß nämlich ganz genau, dass ich keine Person bin, die viel von Worten hält. Reden kann jeder.
»Du weißt doch, wie liebend gern ich solche Abende verpasse.« Ich komme aus dem Versteck hervor und warte vor der Tür, bis sie alle Kerzen ausgepustet und mit herausgenommen hat. Dafür wird das silberne Tablett verwendet, das schon zum Hereinbringen gedient hat und ihre Moralpredigt darüber aushalten musste, wie unverantwortlich es sei, in einem Gebäude aus Holz und Stroh ein Feuer anzumachen. Ich verkneife mir einen Kommentar zu dem positiven Ausgang, den der Abend genommen hat. Zumindest in dieser Hinsicht. Bis jetzt. Ich kann mir gut vorstellen, dass mir nachher danach sein wird, irgendetwas in Brand zu stecken.
Aethel seufzt, und ich muss wieder daran denken, wie sie überhaupt im Palast gelandet ist. Sie stammt aus bäuerlichen Verhältnissen, wenn ich mich recht entsinne. Ihre Eltern hatten sie stets penibel und streng erzogen, weil sie sich für sie einen Mann wünschten, der ihr mehr bieten konnte. Sie investierten viel Zeit und Geld in ihre Tochter, bis ein paar Soldaten unseres Nachbarlands danach sinnten, dem Bauernhof einen Besuch abzustatten und ihn anschließend abzubrennen. Aethel überlebte schwer verwundet, ihre Beine sind mit Brandnarben überzogen. Ich hoffe, diesen Schmerz niemals selbst erleben zu müssen. Allerdings, neben dem Leid, das ihr sowieso zugefügt wurde, verringerte das ihre Chance auf einen Mann auf so gut wie Null. Ihre Tüchtigkeit und ihr Ehrgeiz brachte sie dann - auf Umwegen - zum Schloss.
So wie Aethels Familie ergeht es sehr vielen von ihnen, die an der Grenze zum Feind wohnen; der König von Vermentro ist ungefähr so unbarmherzig wie der König von Mortana, und so kommt es nicht selten zu Unruhen. Vor etwa zwanzig Jahren kam es dann zum Krieg, weitere Unruhen, Tumulte, kleinere Aufstände halten bis heute an, wurden aber in letzter Zeit weniger. Ich glaube, seit zwei Jahren gab es keinen größeren Widerstand oder Kriegsverbrechen mehr. Wegen was genau, kann ich nicht sagen, denn ich bin zu jung und es ist auch nicht meine Aufgabe, mich mit Kriegsverbrechen en detail auseinander zu setzen. Grob ging es wohl um ein Juwel, jedes Land wollte den Mann für sich und beanspruchte ihn, Menschenmassen kamen ihm auf die Schliche. Man wusste nicht mal, welches er war, aber allein die Tatsache, dass er ein Juwel war, machte ihn ungeheuer begehrt.
Es war das letzte Mal, dass man ein Juwel in der Öffentlichkeit gesehen hatte. Seitdem verstecken sie sich alle. Keiner ward gesehen, gehört. Abgesehen von den Zauberern und Magiern gibt es niemanden mehr, der sich traut, publik zu machen, wer er wirklich ist.
Aus gutem Grund.
Mein Blick fällt auf das Wappen meines Elternhauses auf dem Silbertablett. Es sticht heraus wie eine Flamme in der Nacht. Der Kopf eines Löwen auf einer goldenen Sonne. Das Königshaus von Mortana - unbezwingbar, unberechenbar, unbesiegbar. »Dann wollen wir Sie mal waschen und für das Abendessen fertig machen.«Ich bin unglaublich froh, wenn der Abend vorüber ist. Schon bevor Aesthel mir das Korsett zuschnürt, fühle ich mich eingeschlossen. Die hohen Wände meines Zimmers sind zu weit entfernt, zu weit auseinander. Jedes Mal, wenn ich hier rein komme, fühle ich mich viel zu klein für den Raum und frage mich, wie man ihn hätte anders nutzen können, oder zumindest aufteilen können.
Wenn die mit Gold abgesetzten Türen aufschwingen, starrt man, nach mehreren Metern des Nichts, auf eine Fensterfront. Vor ihr steht eine Couch, die ich dort zum Lesen habe platzieren lassen. Ihre cremige Farbe passt sich dabei dem Hintergrund meiner bis zur Decke bemalten Rosen an. Es sind zu viele Rosen, zu viele potenzielle Gefahren. Eine falsche Bewegung, und man blutet.
Sieht man nach oben, sieht man das Wappen meiner Familie. Eine goldene Sonne und einen Löwenkopf. Nicht gerade das, unter dem die meisten kleinen Mädchen gerne einschlafen.
Rechts an der Wand steht mein Himmelbett, ebenfalls mit Gold verkleidet, und weiße, transparente Vorhänge umrunden es. Links führt eine Tür in mein Ankleidezimmer, in dem mir gerade die Luft zum Atmen geraubt wird.
»Falls uns irgendwann doch noch das Glück erreicht, dass Sie einen Mann finden, oder sich zumindest dafür interessieren, müssen Sie mehr essen und weniger trainieren. Dann mache ich das nicht mehr mit. Schützen kann ich sie dann wirklich nicht mehr, Eure Hoheit, so leid mir das tut.« Aesthel zieht nochmal fest und bindet das Korsett mit gekonnten, flinken Griffen zu. Ich japse nicht mal mehr nach Luft.
»Entweder nimmt er mich, wie ich bin, oder ich bleibe auf Ewig allein. So komme ich schließlich bisher auch gut zurecht.«
»Für das, was Sie vorhaben, wäre es besser, Ihren Reichtum irgendwo zu verwahren.«
Jetzt entweicht mir doch ein überraschtes Aufstoßen. Ich drehe mich zu Aesthel um, meine mittlerweile getrockneten Haare müssen ihr dabei über das Gesicht fliegen. Entrüstet starre ich sie aus meinen grauen, farblosen Augen an. Den Blick bin ich gewohnt, von meinem Vater. Wann auch immer ich etwas getan habe, das sich nicht gehörte, starrten mich diese hellgrauen Augen entrüstet und enttäuscht an.
Enttäuscht war ich allerdings nicht. Wenigstens wusste es nur Aesthel; ihr konnte ich trauen. Aber woher? Und wie viel wusste sie? Ich hatte niemandem davon erzählt, von diesem Teil in mir.
»Prinzessin Amaya, Sie erwarten doch nicht wirklich von mir, dass ich Ihnen abkaufe, Ihre jahrelangen Trainingseinheiten fänden ihre Begründung in reinem Energieausschütten und in Ihrer Natur. Ich weiß nicht, was sie vorhaben oder in welche Richtung es gehen wird, aber dass sie etwas vorhaben, das weiß ich ganz gewiss.« Sie lächelt mir warm entgegen, untermalt damit den ironisch-sanften Ton, den sie angeschlagen hat. »Keine Sorge, ich habe mich niemandem anvertraut. Ich bin Ihnen loyal, wie Sie wissen.«
Und wie ich das weiß.
Andernfalls wäre ich wahrscheinlich schon lange tot.
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Ancestral - Sapphire's Song
FantasyZehn Edelsteine. Zehn Fähigkeiten. Eine immerwährende Jagd nach buntem Blut. Eine Prinzessin, die irgendwie das Ende der tyrannischen Herrschaft ihrer Familie herbeiführen möchte. Amaya Learte, die Prinzessin von Mortana, scheint die Einzige zu...