Noch halb verschlafen streifte ich mir meine Alltagskleidung über, ein schlichtes, beigefarbenes Kleid. Es betonte keinerlei Kurven, es hing runter, wie ein Sack. Obwohl es fade war, gefiel es mir. Jeder Karov trug es, bis er ausgewachsen war, also bis zu seinem 26. Lebensjahr, ich war 19 Jahre alt. An den Füßen trugen wir nichts, das brauchten wir nicht. Unsere Haut war so dick, dass wir den ganzen Tag auf Stein und allmöglichem Untergrund gehen konnten, wir hatten nie auch nur eine Schramme. Zwischen den Zehen besaßen wir Schwimmhäute und auf dem Kopf trugen wir gewaltige Hörner mit uns. Ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah nicht sehr viele Leute um den Fruchtbarkeitssee herum. Es musste kurz vor drei Uhr sein, wie ich mir bereits gedacht hatte, mein Zeitgefühl war außergewöhnlich gut. Ich hatte also noch ein bisschen Zeit, bis ich zum Arbeitsbeginn erscheinen musste. Jeder Karov hatte ab seinem vierten Lebensjahr zu arbeiten, in diesem Alter war der Körperbau stämmig genug, um die Arbeitsbedingungen zu erfüllen.
Ich verließ mein Zimmer in der Hoffnung, dass Jill bereits aufgestanden war. Wir arbeiteten zusammen im Fruchtbarkeitssee und mussten beide zur selben Zeit dort erscheinen. Auf dem Weg zu ihrer Tür spähte ich kurz ins Wohnzimmer, dort hielt sie sich immer auf, wenn sie vor mir wach wurde. Heute war sie nicht da, ich musste sie also wecken. Als ich an ihrem Zimmer ankam, öffnete ich die Tür einen Spalt und sagte: ,,Guten Morgen Jill." Geduldig wartete ich auf eine Antwort, aber als mir klar wurde, dass ich keine erhalten würde, öffnete ich die Tür vollständig und ging rein. Sie lag in ihrem Bett, mir den Rücken zugewendet, und bewegte sich nicht. Ich wusste, dass sie nur wollte, dass ich den Raum wieder verließ, das tat sie oft. ,,Jill, du musst jetzt aufstehen, wir müssen bald zur Arbeit gehen.", ich versuchte es noch ein Mal. Diesmal antwortete sie: ,,Aurelia, bitte lass mich noch schlafen, ich musste gestern wirklich lang arbeiten. Ich bin noch müde." Dass sie so lang arbeiten musste, stimmte tatsächlich. Ihre Arbeitszeiten waren wirklich ungerecht eingeteilt. Wenn sie die letzte Schicht abarbeitete, war sie für all das zuständig, was nach Arbeitsende noch nicht erledigt war. Ich wollte, dass sie sich besser fühlte und aufstand, also redete ich mit ihr. ,,Das ist mies, ehrlich. Was war denn gestern los?" Sie ging auf meine Frage ein: ,,Kurz bevor ich nach Hause gehen konnte, ist im Fruchtbarkeitssee völlig unerwartet ein Säugling geschlüpft. Es war offenbar eine Frühgeburt. Einer der Aufseher sagte mir Bescheid und ich sprang natürlich sofort ins Wasser, um den Säugling zu retten. Das erste was ich tat, als ich ihn im Arm hielt, war, ihn mit der Crystathynie zu beatmen." Die Crystathynie war eine Blumenart, die wir, wenn wir eine lange Zeit tauchten, mitnahmen, damit wir unter Wasser atmen konnten. ,,Ich schwamm so schnell wie ich konnte wieder zurück an die Wasseroberfläche und da der Aufseher rechtzeitig einem Heiler Bescheid gab, war er als ich oben ankam schon vorbereitet. Ich war verängstigt, das Kind war bereits völlig blau angelaufen, mir war von vornherein klar, dass der Säugling nicht mehr zu retten war, ich...", sie hielt kurz inne. Ich sah, dass sie völlig fertig war, also sagte ich zu ihr: ,,Ist schon gut, du hast dein Bestes getan und ich weiß, dass gestern kein allzu schöner Tag für dich war, doch heute ist ein neuer Tag, du solltest aufstehen und nach vorne sehen. Vertrau mir, es wird dir schon bald besser gehen." Jill war aufgrund ihrer Arbeit sehr oft schlecht gelaunt und unmotiviert. Ich wusste mittlerweile, wie ich sie aus dem Bett bekam.
Als wir beim Fruchtbarkeitssee ankamen, waren deutlich mehr Karov um ihn herum, es war mehr Zeit verstrichen, als ich gedacht hatte. Sofort ging ich zu meinem Führer, Damien. Jeder Führer war ein ausgewachsener Karov. Ausgewachsene Karov wurden durch ihre Kleidung von unreifen Karov, darunter auch ich, unterschieden. Wenn einer von uns das Alter von 26 Jahren erreichte, bekleidete er sich mit einem schwarzen Anorak und einer ebenfalls schwarzen Hose. Alle anderen unreifen Karov, dessen Führer Damien war, waren schon anwesend. Ich kam als letzte an. Damien stand bereits vorn, ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu und er entgegnete mir ein kurzes Nicken.
Ich stellte mich neben Shekila, eine gute Freundin. ,,Wo warst du denn? Jill wieder?", flüsterte sie mir zu. Ich antwortete: ,,Ja, sie musste gestern wieder ziemlich lang arbeiten." Shekila verdrehte die Augen und behauptete: ,,Komm schon, Aurelia. Du musst dich nicht immer von ihr runterziehen lassen, du kommst andauernd zu spät, und das nur wegen ihr." ,,Das tu ich doch überhaupt nicht. Ich habe sie sehr gern, sie ist nicht immer so...sie kann manchmal auch ein sehr mitfühlender Karov sein. Sie braucht jemanden, der für sie da ist."
Nachdem Damien jeden eingeteilt hatte, setze er sich als Aufpasser auf den Baumstamm neben dem Fruchtbarkeitssee. Er war konzentriert auf die Arbeiter, die im See umherschwammen. Im selben Moment fand ich mich mit Matteo, Laurent, Carla und Jackson zusammen. ,,Jackson, Laurent und ich könnten heute zum Crystathynienbeet gehen und ihr zu den Knospen. Seid ihr damit Einverstanden?" Ich schaute Matteo an und erkannte in seinem Blick, dass er dagegen wohl nichts einzuwenden hatte. ,,Natürlich", erwiderte ich, ,,komm, lass uns hier entlang gehen.", sagte ich dann zu Matteo. Wir liefen einen breiten Gang zwischen zwei ewig langen holzleiterartigen Zäunen entlang, der aus hellbraunem Sand und einigen Kieselsteinen bestand. Die Zäune waren Zirka drei Meter hoch und an ihnen schlängelten sich Lianen mit knallig rosa Crystathynien, die aus der Erde wuchsen. Der Himmel war klar und die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, wie immer. Ich schaute in Matteos grüne Augen, sah die dunklen Schatten darunter und fragte darauf: ,,Hast du etwa nicht gut geschlafen?" Er wendete seinen Blick ab und antwortete nach einem Moment: ,,Raphael musste gestern zum Fruchbarkeitssee, um sein Blut für neue Karov einzureichen und er hatte mich unter vielen anderen Karov gebeten, mitzukommen." ,,Und die Feier ging sehr lang, was?" ,,Absolut, ich hab nicht viel schlafen können.", gab er zu. Die unausgewachsenen Karov haben für gewöhnlich einen nicht allzu guten Draht zu den ausgewachsenen. Matteo verstand sich allerdings aus irgendeinem unbekannten Grund sehr gut mit Raphael. Nachdem ein bisschen Zeit verstrichen war, konnte ich die Knospen schon sehen. Ich fragte Matteo höflich, ob ich heute den Tronokatalysator bedienen dürfte und er beantwortete meine Frage mit einem zuckersüßen Lächeln und einem ,,Ja, klar, was auch immer du willst!"
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Amona - A powerful goddess
FantasyMan betrachte zwei Arten übernatürlicher Fähigkeiten. Die des Körpers und die der Psyche. Aber welche sind stärker? Ich stehe mitten in einem Kampf und weiß, dass sich mein Gegenüber absolut sicher über seinen Sieg ist, doch sollte es das sein? Wenn...