Scheideweg

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»Hier bist du also.«
Er dreht sich um, wendet den Blick von der undurchdringlichen Dunkelheit ab.
»Du bist tatsächlich gekommen.«
Schweigen.
»Hast du je daran gezweifelt?«
Er lächelt, fährt sich fahrig durch die blonden, wuscheligen Haare.
»Nein.«
Nun lächelt auch der andere macht einen Schritt nach vorne und schließt so die Lücke zwischen ihnen.
»Wir vermissen dich, Jason, alle.«, murmelt er in die zögerliche Umarmung.
»Ich euch auch; Piper, Percy, Anabeth, Leo. Alle. Dich, Nico.«
Jason zieht Nico enger an sich, er zittert und hat Gänsehaut.
Besorgt schaut Nico zu ihm auf, ausnahmsweise einmal nicht über den »unfairen Größenunterschied« meckernd: »Es ist kalt hier, nicht?«
Jason lacht leise, zögerlich und schiebt seine Brille zurecht: »Etwas.«
Schweigen.
»Wie geht es ihnen?«
»Lass uns uns doch erst einmal setzen.«, antwortet Nico ausweichend und zieht Jason bestimmt zu einem rauen Stein, auf dem sich beide niederlassen.
Jasons Augen wandern nervös umher, unfähig etwas erspähen zu können; seine Finger trommeln aus den von zerrissenen Jeans bedeckten Beinen auf und ab.
Erst jetzt setzt der Bote des Pluto zu einer Antwort an:
»Okay. Nicht wirklich gut, aber okay. Sie vermissen dich alle, machen sich Vorwürfe; machen dir Vorwürfe, der ganzen verdammten Welt - aber es geht weiter, das wissen sie.«
Bestimm nimmt er Jasons Hand, hält sie ruhig. Jason schluckt, nun wippen seine Füße auf und ab.
Er versucht sich zu einem Lächeln zu zwingen, scheitert aber kläglich - als würden seine Gesichtsmuskeln ihren Dienst verweigern.
Seine Stimme ist belegt, nur ein raues Flüstern: »Danke. Danke für deine Ehrlichkeit und danke, dass du hier bist.«
»Immer doch, aber wie geht es dir?«
Jasons Lippen pressen sich aufeinander bis sie noch blutleerer und blasser als ohnehin schon sind und er atmet einige Male tief ein.
»Ich weiß es nicht. Ich bin froh, für etwas richtiges gestorben zu sein - für etwas, woran ich glaube. Froh, nicht versagt zu haben. Aber-«
Er bricht ab, ballt die Hände zu Fäusten.
»Es ist kalt hier. Einsam. Den ganzen Tag mit nichts als den eigenen Gedanken und ab und an gruseligen Gestalten zu verbringen ist unerträglich. Die Sonne nicht zu sehen, die Sterne vergeblich in der Dunkelheit zu suchen...«
Zögerlich legt er einen Arm um Nico, welcher nur schweigend zugehört hat.
»Ich bereue so vieles. Mich nicht vernünftig mit Piper vertragen, nicht mehr Zeit Reyna gewidmet, nicht Mathematik studiert, keine Partys gefeiert, keinen Urlaub gemacht - nicht einfach mal gelebt zu haben. Aber so ist es nunmal - es lässt sich nichts mehr daran ändern.«
»Nein, lässt es nicht.«
Schweigen.
»Wie geht es dir? Will?«
Nun ist es an Nico, betreten auf den Boden zu blicken: »Es ist kompliziert. Er ist so...toll, fürsorglich, süß. Aber seit dem du...weg bist kann ich nichts mehr. Ich dachte, ich wäre darauf vorbereitet gewesen. Aber es stimmt wohl - wer hoch fliegt kann tief fallen. Ich bin anscheinend zu hoch geflogen, habe den Boden der Realität aus dem Augen verloren; meine Schatten vergessen, verdrängt.«
Eine einzelne, kläre Träne rinnt Jasons viel zu bleiches Gesicht hinab.
Schweigen.
»Du wirst gehen müssen, Jason. Du kannst nicht auf ewig als Abtrünniger im Hades herumirren.«
»Das werde ich wohl.«
»Du musst dich entscheiden.«
»Das muss ich wohl.«
Wütend springt Nico auf, streicht sich das dunkle Haar aus dem Gesicht und baut sich vor Jason auf, der plötzlich unendlich klein wirkt, wie er da auf dem kalten Stein sitzt und verloren vor sich hin starrt.
»Verdammt Jason, ich meine das ernst. Du. Musst. Dich. Entscheiden.«
»Wissen sie, dass du hier bist?«
»W-was?«, verwirrt, aber ruhiger blickt Nico ihm ins Gesicht. Sein Ausbruch tut ihm sofort leid; ein bleiernes Gefühl nimmt umgehend den Platz der roten, feurigen Wut ein, die wie Lava hervorgequollen war.
»Nein, sie wissen nicht, dass ich hier bin. Also?«
»Was gibt es da großartig zu entscheiden? Es bedeutet nicht wirklich was. Ich habe keine Wahl. Verdammt, nicht mal im Tod habe ich eine scheiß Wahl und kann einmal etwas unvernünftiges tun - für mich und niemand anderen.«
Er wischt sich hastig die Tränen aus dem Gesicht.
Nico blickt in ruhig an.
»Du hast eine Wahl.«
»Was?«
»Du - hast - eine - Wahl. Triff sie für dich, für niemand anderen - und sei dir der Konsequenzen bewusst.
Elysium oder Europa?«
Verwirrung.
Begreifen.
Schweigen.
Das oberste Ziel aller; Freude, Erlösung - vielleicht sogar Wiedergeburt... oder ein Neuanfang; neuer Kontinent, neue Sprache, neue Freunde. Keine Pflichten. Keine Aufgabe. Keine Erwartungen. Alles hinter sich lassen - außer die Erinnerungen.
»Was würde mir bleiben? Wer?«
»Nicht viel - nicht viele. Reyna. Thalia. Ich. Aber vor allem einer: du selbst.«
Verzweiflung macht sich in Jason breit, er legt all seine Fragen in einen Blick, nicht fähig sie auszusprechen: Niemand anderes? Nicht mehr?
Doch Nico schüttelt nur resigniert den Kopf, bis Jason unangekündigt aufspringt und ihn einfach umarmt.
»Deine Antwort?« - nun ist auch Nicos Stimme leise. Verzweifelt. Tränenerstickt.
Schweigen.
Dunkelheit.
Dann ein Flüstern:
»Auf nach Europa.«

[Das hier ist reiner Protest und Verdrängung . Deal with it.
#JasonForEver]

Durch den Tartarus • Nico di AngeloWo Geschichten leben. Entdecke jetzt