1. Kapitel

39 6 1
                                    

Ich möchte euch in diesem Buch mein Leben und mein Schicksal erzählen. Ich wurde im Jahr 1925 geboren und bin wie man sich denkt Christin. Mein Glaube ist mir heilig und ich dachte mir nie, dass ich jemals meinen Glauben verleugne, aber in diesen Jahren, dachte ich mehrere Male daran. Jetzt fühle ich mich schuldig daran gedacht zu haben, aber ich glaube jeder würde so handeln.

Alles begann schleichend. Niemand nahm an welches Ausmaß dieses ganze Szenario einmal haben würde. Ein bisschen Ausgrenzung hier, ein bisschen Beleidigen da. Sie waren ja schließlich nichts wert. Sie waren Juden. Aber nur deswegen hatten sie das gesamte nie verdient. Meine Familie hielt sich aus diesen Konflikten heraus. Eigentlich hauptsächlich weil wir wussten weshalb sie ausgegrenzt wurden. Wegen ihres Glaubens. Meine Familie und ich waren schon immer Christen. Früher oder später würde es uns gleich gehen, also hielten wir uns raus. Ich war schon immer dagegen. Ich wollte etwas dagegen machen, meine Eltern ließen mich allerdings nicht. Sie sagten immer das gleiche: 'Wenn du wüsstest was sie mit dir machen werden, würdest du freiwillig ruhig sein.' Darauf hatte ich keine Antwort also blieb ich still. Schluckte meine Worte und meine Wut einfach hinunter. Jetzt im Nachhinein bereue ich es. Ich bereue so vieles. Auch wenn ich jetzt weiß, was mit mir geschehen wäre, ich glaube ich hätte es so hingenommen. Ich hätte das alles nicht mit sehen müssen und tatenlos zusehen. Das war so ziemlich das schwerste was ich jemals in meinem Leben getan hatte.
Zurzeit sitze ich in meinem Zimmer und spiele mit meinem kleinen Bruder. Er ist schon sieben Jahre alt, aber für sein Alter trotzdem noch recht klein. Ich hänge sehr an ihm gleich wie er an mir.
"Willst du hinaus gehen?", frage ich ihn und halte unseren Ball in die Höhe. Begeistert nickt er und humpelt voraus. Bei der Stiege angekommen, hüpft er auf das Stiegengeländer hinauf und rutscht ein Stockwerk hinunter. Ich mache es ihm gleich und bald darauf sind wir schon in unserem riesigen Garten. Wir haben nicht wenig Geld. Mein Vater ist in der Firma schon ganz weit oben. Es ist eine Stahlfabrik und zurzeit wird wirklich viel Stahl benötigt. Genau weiß ich es nicht warum aber meine Eltern meinten mal, dass Deutschland mit der Waffenproduzierung hochfährt. Ich hasse Waffen. Ich hasse alles was mit Gewalt und Krieg zutun hat, denn es ist schon einmal nicht gut gegangen, nicht wahr? Wieso sollten wir also wieder angreifen wenn wir uns noch immer nicht ganz von diesem Verlust erholt haben? Seufzend fange ich an Jakob, meinem kleinen Bruder, den Ball zuzuwerfen. Er fängt ihn stolz und wirft ihn zurück. So geht das eine Weile bis unsere Nachbarn vorbeikommen. Unsere Nachbarn haben drei Kinder. Einen großen Jungen, der mittlerweile schon 17 Jahre alt ist. Eine Tochter, die 14 Jahre alt ist und einen kleinen Jungen noch, der acht Jahre alt ist, gleich wie mein Bruder. Marie, das Mädchen, gesellt sich gleich zu mir und wir setzen uns auf eine Bank um die wichtigsten Neuigkeiten auszutauschen. Jakob und Lukas, der Nachbars Junge, schnappen sich den Ball und gehen hinter das Haus. Aaron, der ältere von den Nachbarn, gesellt sich zu uns, nachdem er die beiden Kleinen genug genervt hat.
Aaron war mir schon immer unsympathisch. Seine selbstsicher und selbstverliebte Art war mir schon immer ein Dorn im Auge. Er setzte sich direkt neben mich, obwohl neben Marie noch mehr Platz gewesen wäre. Ich verdrehte die Augen und rutschte so weit es ging zu Marie. Er sah meinen Gesichtsausdruck und rutschte nicht nach. Ich versuchte mich normal mit ihr zu unterhalten, doch Aaron redete stets dazwischen. Irgendwann wurde es uns zu blöd und wir verabschiedeten uns. Ich gab Jakob Bescheid das ich im Haus wäre und ging nach Hause. Unser Haus war eines der größten dieser Straße. Meine Mutter ist Krankenschwester. Sie arbeitet viel, dafür ist dann aber immer Klara hier. Sie ist unser Hausmädchen und passt auf Jakob auf wenn ich nicht zuhause bin.
Was man vielleicht noch wissen sollte ist, das Jakob leicht behindert ist. Für mich und für die meisten in dieser Stadt ist das völlig normal. Natürlich gibt es manche schiefe Blicke wenn man Sonntags in die Kirche geht, aber das ist mittlerweile unser Alltag.
Das ich mir diesen Alltag bald wieder zurückwünschen würde, dachte ich mir jetzt noch nicht. Für mich war alles normal. Bis zu diesem einen besonderen Tag. Ab diesem Tag beschloss ich die Warnungen meiner Eltern zu ignorieren.

Der Tag startete völlig normal. Ich wachte auf, ging mich anziehen und hinunter in die Küche wo ich etwas zu Essen bekam. Mutter war schon im Krankenhaus und Vater in der Fabrik und somit waren nur mehr Maria, Jakob und ich zuhause.

"Sara? Könntest du den Einkauf heute übernehmen? Jakob ist hat sich heute Nacht übergeben und deine Mutter wollte das ich bei ihm zuhause bleibe", fragte mich Maria während dem Frühstück.

"Ja natürlich, schreibst du den Einkaufszettel?", antwortete ich, noch mit dem halben Bissen Brot im Mund.
"Der ist schon geschrieben und bitte antworte nicht mit vollem Mund, du weißt das deine Mutter soetwas nicht duldet!"
Ich nicke schnell und schnappe mir den Einkaufszettel. Wenn ich schnell bin kann ich auch noch bei Marie vorbeischauen und fragen ob sie mitkommen will.
Gesagt, getan. Etwa 15 Minuten später sind wir schon auf dem Weg in die Stadt. Unsere Häuser liegen etwas außerhalb. Wir hatten wirklich viel Spaß beim Einkaufen. Ich meine wer geht bitte nicht gerne Einkaufen?
Bis wir plötzlich einen Schrei hörten. Er klang voller Verzweiflung und Schmerz. Suchend wandte ich mich um. Ich scannte kurz den Marktplatz auf dem wir uns befanden. Es war Samstag also war heute besonders viel los. Und dann hörten wir eine Stimme. Sie schimpfte lauthals mit jemanden.
"D-Dass hört sich an wie Aaron", flüsterte Marie mir ins Ohr. Ich nickte zustimmend. Und dann fand ich die Menschenansammlung. Ich drängte mich vor bis ich sehen konnte was sich abspielte. Ich war schockiert! Ich Begriff zuerst nicht einmal was los war. Bis ich ihn sah.
Dieser Tag erschütterte mein gesamtes Leben.

Escape or fight?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt