Unvorbereitete Rettung (Teil Zwei)

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Sie würden auffliegen. Sie würden auffliegen. Sie würden so was von auffliegen. Nur, dass sie es bisher noch nicht waren. Aber das lag vermutlich nur daran, weil sie noch keinem Fanatiker begegnet waren. Wo waren die? Die schmalen, verzweigten Gänge lagen wie ausgestorben vor ihnen. Waren die Fanatiker alle ausgeflogen oder würden sie beim Eingang auf sie und Kaleo warten?

Runas Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Handflächen waren kalt und Schweiß rann ihm den Nacken hinunter. Sie hatte ziemliche Angst, entdeckt zu werden, dass sie die drei überwältigen konnten, war Zufall gewesen und Ilja war nicht gerade leicht. Sein Kopf schwankte in ihre Richtung, seine Haare kitzelten ihre Nase und sie drehte schnell den Kopf, um nicht niesen zu müssen. Das hätte ihnen gerade noch gefehlt, zusätzlich Aufmerksameit zu erregen.

Nachdem Kaleo und sie Ilja zwischen sich genommen hatten, war der Halbnitaru endgültig ohnmächtig geworden. Seitdem schleiften sie ihn durch die Gänge auf der Suche nach dem Ausgang. Sie wusste, sie hätte sich den Weg markieren sollen, aber sie hatte auf Kaleo vertraut, den Rückweg zu finden. Sowieso hätten Zeichen an den Wänden zu verdächtig ausgesehen und die Fanatiker wären ihr sicher auf den Fersen, wenn sie ihnen nicht schon auflauerten.

„Wie lange noch?", summte Runa, weil sie sich nicht traute, zu pfeifen und ihre Hände Ilja stützten.

Kaleo blinzelte sie an und zog die Augenbrauen zusammen. „Das fragst du jetzt?"

Ja, warum sollte sie das nicht? Das war doch eine zulässige Frage ... oder was hatte Kaleo verstanden?

Sie bogen um eine Ecke und Runa blieb stehen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass auch niemand hier war. Sie verlagerte Iljas Gewicht mehr auf ihre Schulter, sodass sie ihre Hände frei zum Gestikulieren hatte. Iljas Kopf rollte in ihre Halsbeuge und sein eigener Geruch vermengt mit dem nach Blut trieb ihr Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie weg, die Zeit drängte und Kaleo musste verstehen. „Wie lange noch?"

Kaleos Wangen färbten sich rot und er senkte kurz den Kopf. Fast, als würde er sich schämen. Was hatte er wirklich verstanden? Runa würde gerne fragen, aber noch lieber wollte sie raus hier. Kaleo machte seine Hände ebenfalls frei, Iljas Körper schlenkerte erneut herum wie eine der Marionettenpuppen, die sie bei den Maskenhänden gesehen hatte und Runa durchfuhr ein Stich schlechten Gewissens. Das war ihr Geliebter, den sie so durch die Gegend schleiften und umherwarfen. Sanft strich sie ihm eine Haarsträhne aus den Augen. Als würde es das gutmachen.

„Wir dürften bald da sein. Noch zweimal rechts abbiegen und dann sind wir in dem Gang vom Anfang, denke ich", antwortete Kaleo.

Runa nickte, packte Ilja wieder so, dass sie weitergehen konnten und auch Kaleo griff den Halbnitaru um die Brust. So setzten sie ihren Weg fort.

Kaleo behielt recht. Sie hatten nicht mehr weit. Runa kam die Umgebung schon nach der ersten Wende nach rechts bekannt vor. Da waren die zersprungenen Chessoklalaternen, von denen keine einzige mehr erleuchtet war und direkt vor ihr das Loch im Boden, wo jemand den Ton des Bodens aufgehakt und in den Lehm gegraben hatte. Wofür erschloss sich Runa nicht. Sie kamen der nächsten Biegung immer näher und immer noch waren sie keinen Fanatikern begegnet und langsam wurde Runa nicht nur unruhig, sondern war überzeugt, dass sie in eine Falle tappten. Der Stapel Kisten an der Ecke ruckelte und es drang ein Stöhnen aus ihm. Als sie das erste Mal an ihm vorbeigekommen waren, war es komplett still gewesen. Runa hätte nicht gedacht, dass da drin etwas anderes vor sich hinvegetierte als irgendwelche Essensreste. Doch warum bewegte es sich gerade jetzt? War das Etwas gerade aufgewacht oder warnte es jemanden vor ihrem Kommen? Vielleicht eine Gruppe Fanatiker, denen sie direkt in die Hände laufen sollten. Runa blieb stehen, brachte Kaleo kurz zum Stolpern. Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. Sie nickte zu dem zuckenden Küstenturm und gestikulierte, so gut wie es ihr möglich war, mit einer Hand: „Gibt es andere Ausgänge?"

Der Klang der WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt