Prolog

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Das offene Fenster erschien mir in diesem Moment so verlockend. Die Sonne schien durch den Raum und erhellte das graue Klassenzimmer. Während die Anderen gerade mithilfe des Pythagoras eine Kathete des Dreiecks berechneten, starrte ich die ganze Zeit auf die andere Seite, zu diesem Fenster. Mein Lehrer war gerade dabei die Zeitung zu lesen und an seinem billigen Kaffee zu nippen. Mathe war so langweilig bei ihm. Eigentlich mochte ich das Fach, doch bei Mister Faulkner war es wie Chemie, zum Einschlafen. Immer war es der selbe Ablauf. Er kam rein, verteilte uns die Aufgaben, setzte sich hin, wir bearbeiten diese und bekamen in den letzten Minuten die Lösungen ausgeteilt. Das war es auch schon.

Theoretisch könnte ich jetzt weiter arbeiten und meine Gedanken über Bord werfen, doch wann erhält man die Chance seinem sinnlosen Leben ein Ende zu bereiten und zudem noch die Schüler von Mathe zu befreien? Eigentlich vier Mal die Woche, aber meine Lust besteht nur heute. Außerdem ist das Fenster offen, das sieht man nicht alle Tage. Ich löste die letzte Aufgabe für heute mühelos und kritzelte wie immer in meinen Block. Diesmal war es Mister Faulkner. Ich malte ihn genauso, wie er aussah. Dick, hässlich und klein. Natürlich vergaß ich seine uncoole Nerdbrille nicht und verpasste dem Ganzen noch etwas mehr Pickel. Wie jedes Mal schrieb ich neben meinem Kunstwerk eines meiner liebevollen Kommentare.
"Mister Faulkner ist ein haariges Arschloch, welches noch nicht einmal Hämorriden befallen möchten!"

Ich schloss mein Block theatralisch und widmete mich wieder diesem interessanten Fenster. Bobby hatte mir damals geraten immer eine gedankliche Pro- und Kontraliste zu erstellen. Also fangen wir mal an. Pro; ich kann endlich mein dummes Leben beenden, Jessica ist nicht mehr genervt von meinen perversen Bemerkungen, Mathe fällt aus und niemand schmeißt Benney mehr in die Mülltonne. Cool, vier Argumente dafür.
Kontra; meine Klamotten werden dreckig und die fünf Dollar in meiner Hosentasche sind obdachlos. Hart, aber wahr.

Fazit ist, ich werde springen. Aber erst in zwei Minuten, denn ich muss ja noch so ein schnulzigen Abschiedsbrief schreiben, in dem ich mich für meine Sünden entschuldige und um Vergebung bitte. Soll ja so wie ein Film von Hollywood wirken, das hat mehr Stil.

Den Bleistift in meiner Linken setzte ich nun wieder in meinem Block an, diesmal jedoch eine Seite nach meinem kürzlichen Kunstwerk und nach den hundert anderen. Jeder Lehrer bekam die Ehre von mir gezeichnet und beleidigt zu werden.

"Hey Freunde, was geht? Wie ihr gemerkt habt bin ich verrekt als ich vom Fenster gesprungen bin. Eigentlich 'ne geile scheiße, kann ich nur empfehlen. Die fünf Dollar in meiner Hosentasche vererbe ich Benney als Schmerzensgeld, keine Ursache. Wenn ihr mich begrabt dann bitte in meiner schwarzen Skinny Jeans und dem ACDC Shirt. Wäre cool. Dankt mir für den ausgefallenen Unterricht in der Hölle. Ich mochte eigentlich keinen von euch, also nix für ungut. Ich kenn mich mit diesem Gedöns nicht aus, also astalasvista oder wie man das auch schreibt."
Ich überflog meine emotionalen Worte ein weiteres Mal, bis mir ein fehlender Satz in den Sinn kam.

"Ps; Mister Faulkner ist scheiße."

Wieder einmal ließ ich den Stift fallen und schloss mein wildes Gekritzel. Die Worte kamen vom Herzen. Ich werde niemanden vermissen. Vielleicht Nutella, aber mehr nicht. Verdammt, ich hoffe es gibt nach dem Tod eine andere Welt, die so einen Import Express hat und Nutella liefert. So wäre ich wunschlos glücklich.

Der Zeiger von der Wanduhr brachte mich etwas aus der Fassung. Genau fünf Minuten hatte ich Zeit um mein Leben zu beenden bevor ich zu Geografie muss. Toll, jetzt stehe ich sogar unter Zeitdruck. Selbstmord macht wirklich keinen Spaß. Ich riss den Zettel aus dem Block und knallte ihn auf meinem Tisch. Bobby schaute mich entsetzt an.

Ohne die Miene zu verziehen stand ich von meinem Stuhl auf und marschierte zum offenem Fenster. Von der Nähe wurde es immer kleiner und nun zweifelte ich daran, dass ich da problemlos durchpasste. Mister Faulkner sah von seiner Tageszeitung auf und hob eine Augenbraue als ich mich auf die Fensterbank hievte. Es ist schwerer als gedacht sein eigenes Gewicht zu heben.

„Bradley Miller, was zur Hölle machen Sie da? Sofort runter!"

Jetzt erhielt ich auch den Rest der Aufmerksamkeit meiner Klasse. Es wurde unruhig. Nun stand ich komplett auf der Fensterbank und lehnte mich heraus. Ein Blick nach unten ließ mich nervös werden. Die erste Etage war eindeutig zu niedrig, doch jetzt aufhören konnte ich auch nicht. Wäre doch peinlich. Wie konnte ich es vergessen, Mathe war immer im ersten Stock.

Ich kletterte durch und konnte gerade noch mit den Fußspitzen stehen, als ich mich ein letztes Mal umdrehte und in die entsetzten Gesichter sah. Keiner von ihnen rührte sich auch nur einen Zentimeter.

„Wir sehen uns in der Hölle, ihr Lutscher."

Ich rief diese Worte raus und stürzte mich in die Tiefe. Der Wind schoss nur einen kurzen Moment gegen mich und schon spürte ich einen harten Aufprall. Alles wurde schwarz.

Ich habs geschafft, ich bin tot. Aber warum kann ich noch denken? Verdammt! Ich dachte sterben geht leichter.

The NutellaalienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt