III

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Die nächsten Tage vergingen wie in einem Tunnel. Sarah saß nach dem Aufstehen vor ihrem Text und grübelte. Dann ging sie zum Frühstücken um wie selbstverständlich war ihre beste Freundin Emma nun mit zwei anderen Teilnehmerinnen unterwegs. Sie war immer schon im Speisesaal und wartete nicht mehr auf Sarah. Mechanisch nahm diese ihr Frühstück am gleichen Tisch ein, um dann wieder auf ihrem Zimmer zu verschwinden.

Dort erwartete sie jedes Mal ein neuer Satz. Fein säuberlich und akkurat geschrieben und während sie über diesen Satz sinnierte, floss der Text aus ihr heraus. Je mehr Emma von ihr weg driftete, desto mehr ließ sie sich in diese Trance fallen. Es interessierte sie nicht einmal mehr, was sie schrieb. Sie ließ die Inspiration fließen und kam erst wieder zu sich, wenn die Sonne langsam unterging und lange Schatten sich im Zimmer ausbreiteten. Dann legte sie sich ins Bett und schlief unruhig, bis der Morgen kam und alles wieder von vorne begann. Die nächsten beiden Wochen gingen ins Land, in denen sich Sarah immer weiter vom Schreiben umfangen ließ. Das betäubte den Schmerz in ihr.

"Sarah?"

Die Angesprochene war gerade auf dem Weg vom Speisesaal zurück in ihr Zimmer, als sie die so vertraute Stimme hörte und stehen blieb. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen, um den Schmerz nicht zu fühlen und wohl möglich noch in Tränen auszubrechen.

"Ich hab's eilig, Emma."

"Eilig in dein Zimmer zu kommen und dich dort zu verbarrikadieren? Wir hatten uns unsere Schreibträume anders vorgestellt oder? Wollen wir nicht in wunderbaren Gärten sitzen? Ich bin dort, aber du kommst nicht mehr dazu. Was ist passiert?"

"Ich hatte eine Blockade."

Das war nicht gelogen, aber jetzt, wo es Emma ansprach, stimmte es. Die erste Zeit waren die beiden im herrschaftlichen Garten umher flaniert und hatten dort ihre Geschichten angefangen. Sarah konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, wann sie damit aufgehört hatte oder warum.

"Ich mache mir Sorgen um dich, Sarah. Du veränderst dich."

Am liebsten hätte sie aufgelacht. Sie veränderte sich? Emma war doch diejenige, die sich neue Freunde gesucht hatte und sie nicht mehr brauchte.

"Bei mir ist alles in Ordnung. Noch eine Woche, dann ist Abgabe. Ich muss fertig werden und schreibe deswegen die ganze Zeit."

"Das ist es nicht."

"Was denn dann?"

Sarahs Stimme war laut geworden und Emmas Augen weiteten sich, als Sarah sich zu ihr umdrehte und sie zornig anfunkelte.

"Dieses Schloss verändert dich. Ich habe recherchiert. Alle Gewinnerinnen und Gewinner haben sich völlig verändert und ihre alte Welt hinter sich gelassen. Erst dachte ich mir nichts dabei, aber es war wirklich bei allen so. Ich habe einziges dazu im Netz gefunden. Und bei dir ist es auch so. Ich glaube, du bist die nächste Gewinnerin - zumindest wenn es danach geht. Ich versuche ohne dich zurecht zu kommen, aber es ist schwer. Ich möchte dich nicht verlieren, aber ich versuche mich darauf vorzubereiten. Trotzdem macht mir deine Veränderung Angst. Du bist abgemagert und hast Ringe unter den Augen. Du sprichst nicht mehr mit mir oder mit irgend jemand. Wenn das der Preis fürs Gewinnen ist, will ich es nicht mehr. Aber es macht mir Angst, dich so zu sehen. Etwas hat sich verändert und ich versuche mir einzureden, dass es was gutes ist."

"Es ist alles in Ordnung, Emma. Wir werden nach diesem Semester getrennte Wege gehen, ob ich gewinne oder nicht. Das war uns beiden bewusst, auch wenn wir nicht darüber gesprochen haben. Ich freue mich für dich, dass es dir gelingt, Kontakt zu anderen aufzubauen. Ich muss jetzt aber mit meiner Arbeit fertig werden. Danke für deine Sorge, aber wenn sonst nichts weiter ist - ich muss los."

Sarah war über ihre Worte selbst überrascht. Sie wollte zu ihrer Freundin gehen und sie in den Arm nehmen. Wollte ihr sagen, dass alles wieder wie früher werden würde. Das sie zusammen sich eine Uni aussuchen und sich dann eine Studentenwohnung teilten würden. Aber nichts davon kam ihr über die Lippen. Es war, als wäre sie Gast in ihrem eigenen Körper.

Mein Beitrag zum Ideenzauber 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt