Den Schienen entlang gen Horizont

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Ich kam mir ungeborgen vor. So ungeborgen, wie seit langem nicht mehr. Ich erinnerte mich um ein paar Jahre zurück, wo ich schon einmal in so einer Situation gesessen hatte.

Damals hatte ich mich als Kind zu einem Kunstkurs angemeldet, heimlich, damit meine Eltern, allen voran mein Vater, nichts davon mitbekamen. Doch natürlich war ich naiv gewesen, war davon ausgegangen, dass zu so einem offiziellen, fraktionsübergreifenden Kurs unterschiedliche Schüler sämtlicher Regionen kommen würden. Am Ende saß ich umgeben von Amite. Sie lachten, sie lachten so unnatürlich viel, dass ich mich gar nicht auf den Lehrer konzentrieren konnte und den Kurs ziemlich schnell verließ.

Doch das konnte ich diesmal nicht. Nicht hier, inmitten der Ferox, vor versammelten Fraktionen. In der letzten halben Stunde hatte ich nur einen Gedanken gehabt: Bleiben oder gehen. Ein Leben als fraktionslose konnte ich mir bei aller Liebe nicht vorstellen, die Ferox hingegen waren für mich ein verschlossenes Buch. Ich hatte nichts gegen Ferox, ich bewunderte ihren Mut, doch in vielen Situationen hielt ich sie einfach für schrecklich dumm. Weshalb sonst sollte man so halsbrecherische Aktionen anzetteln, wie sie es taten. Ich erinnerte mich an einige Statistiken, in denen schwarz auf weiß stand, dass bei den Ferox die meisten Menschen durch nicht natürlichem Tode umkommen. Und Fakten lügen niemals.
In der Masse unterzugehen jedoch, war einfacher als angenommen. Sobald jemand bei den Ferox blieb oder zu ihnen wechselte, musste ich nur lauthals schreien und klatschen, falls uns jemand verließ, eine wütende Grimasse verziehen und "Buuh!" rufen. Primitiv. Ab und zu erlaubte ich mir ein paar einzelne, verstohlene Blicke zu meinen Eltern, doch diese starrten stur geradeaus. Ich wusste nicht, ob sie böse auf mich waren, aber irgendwo tief in meinem Inneren erlaubte ich es mir daran zu glauben, sie wüssten, dass dies ein dummes Missgeschick gewesen war. Zu mindestens die Reaktion meines Vaters hatte mich in dieser Annahme bekräftigt. Helfen tat es mir allerdings nicht. Hohes Tier hin oder her, das Fraktionssystem erlaubte keinem eine zweite Chance.

Keine zweite Chance. Diesen Satz trichterte ich mir während den Zeremonien ein, um ja nicht auf die Idee zu kommen, nach eben solcher zu fragen. Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich aufschrecken. Der Rotschopf lächelte mir zu, drängte meinen Sitznachbarn weg und hockte sich frech neben mich.

"Mensch, deine Zeremonie war ja echt mal aufregend. Sonst passiert so was ja nie!", kicherte sie, bevor sie mir ihre Hand entgegen hielt. Ahnte sie was? Panik befiel mich, mein Herz stolperte für eine Sekunde, bevor es zu rasen begann. Natürlich wirken, flüsterte mein Instinkt und so erwiderte ich ihr Lächeln und nahm sanft ihre Hand.

"Ich bin Kim.", sang ich fröhlich.
"Haha, das weiß ich doch. Deinen Namen kennt wahrscheinlich jeder Ferox. Hätte nie gedacht, dich hier zu sehen, war eigentlich felsenfest davon überzeugt gewesen, du würdest bei den Ken bleiben. Die paar male, die ich dich in der Schule gesehen hab, sahst du immer so glücklich aus. Hast dich nicht mit deinen Eltern verstanden?"
Ihr Redeschwall überran mich förmlich. Ich musste mich konzentrieren, um ihren Worten eine Bedeutung ein zuverleihen, denn für mich kam mir meine Umgebung noch immer so wahnsinnig schwammig vor. Ich räusperte mich, überlegend was ich ihr antworten sollte, doch für mich stand fest, ich würde meiner Tarnung zu Ehren niemals meine Eltern schlecht reden. Meine liebevollen Eltern, erst jetzt wurde mir bewusst, wie viel Glück ich mit ihnen gehabt hatte.

"Nein, nein. Meine Eltern waren immer gut zu mir."
Ich sah ihr in die Augen, konnte ihre Neugier erkennen. Die Ken-Neugier, die uns förmlich angeboren war.
"Es ist nur.. einiges hat mir Spaß gemacht in der Schule, aber ich wollte frei sein, verstehst du?", fuhr ich zitternd fort. Frei sein hörte sich gut an, dass klang nach einem Mädchen, die sich entschlossen hatte, den Ferox beizutreten.
Scheinbar nahm sie mir meine Lügen ab, denn sie nickte verständnisvoll, nahm mich kurz in den Arm und schniefte. Durch ihr fröhliches Auftreten entdeckte ich erst jetzt die Trauer, die ihr ins Gesicht geschrieben stand. Es war ja ihre Mutter gewesen, die vorhin zusammengebrochen war, kam es mir erst jetzt in den Sinn.
"Dir muss es sehr schwer gefallen sein, oder?", flüsterte ich, damit uns die anderen Ferox nicht hören konnten. Sie erstarrte, ehe sie sich panisch umsah und dann kaum merklich nickte.
"Meine Mutter ist eine wundervolle Frau, leider nur sehr labil.", stotterte sie. "Ihr neuer Ehemann hat mich durch die Hölle gehen lassen. Hat sich aufgespielt, als sei er mein Vater und mich nur rumkommandiert. Ich war kurz vorm durchdrehen, die Wut in mir ist immer größer geworden und da keimte der Wunsch, fortzugehen. Ich hab meine Mutter vor die Wahl gestellt. Entweder ich oder er. Sie hatte sich für mich entschieden, aber gestern hab ich erfahren, dass sie sich wieder versöhnen wollten, sobald ich das Ritual hinter mir hab... dass die ganze Trennung nur gespielt war."
Ich gab ihr zu verstehen, dass sie nicht weiter reden musste. Stumm dankte sie mir, lehnte ihren Kopf wie selbstverständlich an meine Schulter und sah nach vorn, wo gerade ein dürrer Junge sich für die Ferox entschied.
"Armer Kerl, kommt bestimmt nicht mal bei den Ferox an.", summte sie verträumt, bevor sie sich ruckartig von mir zurückzog und mich mit ihren großen, braunen Augen anstarrte. "Ich hab dir ja noch gar nicht gesagt, wie ich heiße!", schrie sie entsetzt, was einige aus der vorderen Reihe dazu veranlasste, sich zu uns umzudrehen. "Na dann sags doch und halt danach die Klappe!", murrte ein muskelbestückter Mann, wahrscheinlich schon um die 50 rum. Sein Blick blieb an mir haften und mir wurde unwohl.
"Was denn, ist das Püppchen aus gutem Hause solche Manieren nicht gewöhnt? Jetzt kannst du ja nicht mehr zu deinem Daddy rennen und dich ausheulen."
Ich schnaufte. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein! Ich hatte niemals den Rang meines Vaters ausgenutzt, er hatte mich eigentlich eher genervt. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und ermahnte mich, mich zu beruhigen und die Situation einfach zu ignorieren. Doch leider waren ein paar mehr meiner neuen Fraktionsmitglieder auf uns aufmerksam geworden und lächelten mich gehässig an.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 11, 2015 ⏰

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