Line Without a Hook

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Ein klopften ließ Benjamin aufschrecken. Verdutzt sah er auf sein Handy um die Zeit zu checken. Es war kurz nach 1 Uhr morgens. Wer würde denn um diese Uhrzeit noch auf sein?
In der Jugendherberge waren nicht grade viele Leute untergebracht, außer seiner Klasse vielleicht noch zwei weitere kleine Gruppen. Müde rappelte er sich aus seinem quitschendem Bett und schleppte sich zur Tür. Nur einen Spaltbreit machte er diese auf. "Mh..ja?", säuselte er leise und rieb sich sein rechtes Auge mit der flachen Hand. Vor der Tür stand einer seiner Mitschüler, es war Louis. Dieser sah ihn belustigt an "Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, aber hast du eventuell noch Klopapier? Unseres ist aus". Nun musste auch Ben schmunzeln. Er nickte und machte die Tür etwas weiter auf, um Louis hereinzulassen. Auf dem Weg zum Badezimmer strich er sich durch die weißen Haare. In dem kleinen Bad, etwas über der Klospülung, war ein Regal. Auf diesem Regal standen mehrere Klopapierrollen. Davon griff er sich zwei und lief zurück in das Zimmer "Wir sind doch erst drei Tage hier, wie konntet ihr schon alles aufbrauchen?", fragte Benjamin dann neugierig nach. Der andere verschränkte nur seine Arme "Wir haben nicht alle das Privileg ein Einzelzimmer zu bekommen".
In diesem Punkt hatte der Brünette natürlich mal wieder Recht. Benjamin hatte das einzige Einzelzimmer bekommen, da seine Lehrer nicht genau wussten wie sie mit ihm umgehen sollten, seit er vor ungefähr ein einhalb Jahren den Schritt zum Outing gewagt hatte. An sich wurde er gut aufgenommen. Sie benutzten seine gewünschten Pronomen und seinen gewünschten Namen. Alles verlief toll. Allerdings, wenn es zur Zimmer-Teilung kam, wollten seine Lehrer auf Nummer sicher gehen. Aber Ben war das ziemlich recht, so hatte er wenigstens seine Ruhe und niemand würde seinen Schlaf stören.
"Hey, Benj, bringst du mich noch zurück?", erfragt Louis dann mit einem schelmischen grinsen. Irritiert zog Ben eine Augenbraue nach oben "Okayy, aber du bist doch auch alleine hierher gelaufen?", dies war mehr eine rhetorische Frage, denn er wusste ganz genau das Louis keinen Grund für irgendetwas brauchte. Er setzte seinen Willen immer durch. Egal wie.
Also lief er mit dem Klopapier vorne weg zu dem Zimmer welches Louis und noch zwei anderen gehörte. Aus vielen Zimmern hörte man noch leise Stimmen, niemand schien bis jetzt zu schlafen. Das war allerdings auch sehr verständlich, wenn schon denn schon, richtig?
An Louis' Zimmer öffnete dieser die Tür und ließ Ben hinein, dieser legte die Rollen auf dem Tisch ab und ging bereits wieder zur Tür. "Ach und Ben! Vergiss nachher nicht deine Badehose drunter zu ziehen, wir wollten noch zum See", rasselte der Größere es runter. Nur ein Nicken von Bens Seite gab ihm eine Antwort. Nun verschwand er aber wirklich. Er lief den Gang entlang zurück zu seinem Raum. Auf dem Weg ging in einem anderen Zimmer das Licht an und ein leises "Eine Spinne!", ertönte. Ein schmunzeln glitt über sein Gesicht. Als er seinen Blick von der Tür nahm bemerkte er jemanden vor sich.

Statur und Gang kamen ihm nicht bekannt vor. Es musste jemand von einer der anderen Gruppen sein. Dafür interessierte sich Benjamin nicht und er lief normal weiter. Er hatte keinerlei Ahnung was diese Begegnung anrichten würde. Neugierig sah er leicht nach oben, um den Mann zu mustern. Als er sein Gesicht sah, stellte er fest, dass er gar nicht so viel älter war als er. Vielleicht ein oder zwei Jahre mehr. Seine undurchdringbaren blau-grünen Augen durchbohrten seine Seele. Es schien ihm so, dass alleine durch diesen Blick, der Unbekannte all seine Geheimnisse erfuhr. Die schwarzen Haare hingen ihm mysteriös ins Gesicht. Ben wusste nicht was es in ihm auslöste, aber irgendwas sagte ihm, dass dieser Moment noch einiges in seinem Leben zu bedeuten hatte. Nur was wusste er nicht. Irgendwie schien die Zeit langsamer zu vergehen. Denn auch wenn es nur vielleicht zwei Sekunden waren, die sie sich ansahen, fühlte es sich an wie eine ganze Lebenszeit.

Zurück in seinem Zimmer setzte er sich auf sein Bett zurück. Etwas kam ihm seltsam vor. Er überlegte was es war. Dann traf es ihn. Er fühlte, rein gar nichts. Weder Angst, noch Interesse oder Erregung. Einfach, nichts. Und somit legte er sich wieder hin. Zog die Decke etwas höher, rollte sich etwas zusammen und schloss seine Augen. In dieser Nacht schlief er Traumlos. Er erwachte am morgen als wäre nie etwas geschehen.

Über die Jahre geriet, was geschehen war, in Vergessenheit. Denn es schien ihm nicht wichtig gewesen zu sein. Doch dem war nicht so. Dies sollte er selbst bald zu spüren bekommen.

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