Kapitel 1

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Ängstlich setzte ich einen Fuß vor den anderen. Es war so klirrend kalt, dass mein Atem eigentlich in weißen Wölkchen in der Luft hängen bleiben sollte, doch da es so Stockduster war konnte ich es nicht sehen. „Hey bleib mal stehen Tom!" Schnell lief ich in die Richtung aus der ich seine Schritte hörte. „Verdammte Scheiße." Ich keuchte als ich mit etwas zusammenstieß. Der Stimme nach zu urteilen, die den Fluch ausgestoßen hatte war es mein Kumpel Tom. „Was sollte das denn?" Wütend tönte seine Stimme deutlich zu laut durch den Wald. Verlegen antwortete ich: „Du bist einfach verschwunden und ich habe halt Panik bekommen." Er stöhnte. „Wir sind gleich da, dann wird es auch heller. Nimm so lange meine Hand dann verlieren wir uns nicht." Obwohl ich wusste, dass er es nicht sehen konnte nickte ich. Dann tastete ich suchend nach seinem Arm. Als ich ihn gefunden hatte verschränkten wir unsere Finger und liefen dicht aneinander gedrängt weiter. Nach einigen Minuten unsicheren Stolperns über Baumwurzeln und Steine entdeckte ich in der Ferne endlich unser Ziel. Das kleine Teelicht brannte unbehelligt von Wind und Wetter in einem Grablicht, welches eine gepflegte Ruhestätte zierte. An dem Kreuz erkannte man, dass der Tote wohl noch nicht lange unter der Erde weilte. Ein Schauer überlief mich bei dem Gedanken an den Zustand der Leiche. Sie war wahrscheinlich noch nicht wirklich verwest, aber toll aussehen tat sie bestimmt auch nicht. Weitere Kerzen bestückten den Pfad. Sie spendeten nur spärlich Licht, aber es reicht aus um in gemäßigtem Tempo durch die Grabreihen schreiten zu können. Eigentlich hätte ich Toms Hand jetzt loslassen können, aber seine Wärme übermittelte mir das Gefühl von Sicherheit und das hatte ich dringend nötig. Der Ruf eines Käuzchens brachte mich dazu aufzuschreien und einen Satz nach vorne zu machen. Dabei ließ ich die Hand meines Freundes los und landete im Buchsbaum auf dem Grab eines Herr Müllers. Angewidert befreite ich mich aus dem Gebüsch. Wieso pflanzte man einen Buchsbaum auf ein Grab? Er war hässlich und im Sommer kamen immer die Raupen. Ein belustigtes Schnauben unterbrach mich in meinen Hassgedanken gegen diesen schrecklichen Gärtner. Tom lachte mich aus. Weil mir meine Aktion peinlich war senkte ich meinen Blick zu Boden und tapste in angemessenem Abstand dem schlaksigen Jungen hinterher. Durch das Licht wirkte sein schwarzes Haar wie eine alles verschlingende Finsternis und sein Schatten wurde von den vielen Lichtquellen in alle Richtungen geworfen. „Hier ist es." Er war so abrupt stehengeblieben, dass ich in ihn hineingelaufen wäre, hätte ich nicht aufgepasst. Neugierig hob ich den Blick vom Boden und mein Blick fiel auf ein altes aber gepflegtes Grab. Der marmorne Stein war zwar angelaufen und die Metallenen Buchstaben, die den Namen Ackermann bildeten waren verrostet, aber es klebte keine Vogelkacke daran und vor dem Block war ein hübsches Beet angelegt. „Bist du sicher, dass wir das echt tun sollten?" Schuldbewusst wegen einer Tat die ich in naher Zukunft wahrscheinlich begehen würde suchte ich den Blick meines Kumpels. Er schnaubte verächtlich. „Kriegst du etwa Muffensausen?" er kniff die Augen zusammen. Ob belustigt oder abschätzig konnte ich nicht deuten. „Der Mistkerl hat es verdient. Das was er sich Heute in der Schule geleistet hat war einfach zu viel." Immer noch skeptisch zuckte ich mit den Schultern. Tom setzte seinen Rucksack ab und öffnete den Reißverschluss. Seine großen Hände glitten in die Öffnung und förderten zwei Sprühdosen zu Tage, oder eher zu Nachte. Die eine enthielt eine blaue Flüssigkeit und die andere war Rot. Der Siebzehnjährige reichte mir die rote Dose und wandte sich dem Familiengrab der Ackermanns zu. In den Särgen lagen die Eltern unseres Klassenkameraden. Sie waren vor drei Jahren gestorben und Justus, so hieß der Junge, trauerte immer noch deswegen. Täglich saß er an ihrem Grab. Wieso die beiden gestorben waren wusste niemand. Das behielt Justus für sich. Wie so vieles sonst. Der Typ war einfach ein Freak. Er hatte keine Freunde und las in jeder Pause. Normalerweise schwieg er, doch heute hatte Justus etwas gesagt. Und zwar zu unserem Lehrer Herr Schnabelstedt. Diese kleine Ratte einer Weise hatte es anscheinend für lustig gefunden Tom und mich zu verpetzten, als wir einmal wieder das Milchgeld der kleinen Fünftklässler einkassiert hatten. Diese Tätigkeit sorgte für mein gutes Taschengeld und außerdem machte es noch einen Heiden Spaß die ängstlichen Blicke der kleinen zu provozieren. Es war auch bisher immer gutgegangen und keiner hatte uns erwischt. Diesmal aber kam unser Lehrer mit dem Direktor und Justus Aka Loser im Schlepptau angedackelt. Darauf hin hatte der Direktor unsere Eltern angerufen und uns einen Verweis Inklusive einem Monat Nachsitzen verpasst. Trotz dieser Sache kam es mir falsch vor, dass Tom nun die Spraydose aufdrehte und anfing die Ruhestätte zu verunstalten. Beim alleinigen zusehen fühlte ich mich allerdings auch mies und begann nun ebenfalls mit der Arbeit. Als wir fertig waren standen unzählige schlimme Beschimpfungen an dem Stein und die Blumen waren herausgerissen und zertrampelt. Zufrieden betrachtete mein Kumpel unser Werk und steckte die Dose zurück in seinen Rucksack. Ich war zwar weniger begeistert, aber sogar in mir keimte eine leise Genugtuung auf. Unvermittelt riss Tom mir meine halb leere Sprühdose aus der Hand und stopfte sie weg. Gerade öffnete er seinen Mund um etwas zu sagen, da ertönte ein merkwürdiges Kratzen. Dieser Laut klang so grausam, dass es mich schüttelte. Es klang wie Fingernägel die über Holz kratzten. Das Geräusch musste von links kommen. Wir drehten uns beide um und hielten in der Finsternis, angestrengt nach der Ursache Ausschau. Plötzlich erklang das selbe Schaben hinter uns. Panisch wirbelten wir herum. Mein Freund ging ein paar Meter vorwärts. Wimmernd folgte ich ihm. An immer mehr Orten erklang dieses Geräusch und nach wenigen weiteren Sekunden knackte es unheilverkündend überall um uns herum. Stöhnlaute übertönten das Schaben. Es klang als kämen die Stimmen aus Kehlen, die lange nicht mehr benutzt worden waren. Schreiend begann ich zu rennen. Wohin ich wollte wusste ich selber nicht. Mein einziger Gedanke galt der Flucht. Als mein Fuß irgendwo hängenblieb streckte ich meine Arme aus um meinen Fall zu bremsen, doch beim Aufprall knickte mein Handgelenk um und der darauf folgende stechende Schmerz trieb mir Tränen in die ohnehin schon feuchten Augen. Heulend wand ich mich auf dem lehmigen Boden. Als ich gucken wollte worüber ich gestolpert war entgleisten mir alle Gesichtszüge. Ich musste gerade so weiß sein, dass ich in der Dunkelheit bestimmt leuchtete. Der Grund für mein Entsetzen war eine Hand die sich um meinen Fuß geschlungen hatte. Aber es war keine normale Hand, denn sie war gespickt von grausam Aussehenden Löchern und Kratern. Soweit ich es in der Dunkelheit erkennen konnte war die Haut nur noch teilweise vorhanden, gräulich und von Erde bedeckt. Meine Kehle tat schon weh vom ganzen Schreien weshalb ich nur noch ein heiseres Krächzen zustande brachte. Mit dem freien Fuß trat ich nach den dreckigen Fingern und befreite so mein Bein. Das gruseligste an der Hand war allerdings nicht die Hand selbst, sondern, dass sie aus dem Boden ragte wie ein junger Eichensetzling. Ohne noch einmal zurück zu blicken stand ich auf und rannte mit an die Brust gepresster Hand weiter. Diesmal jedoch achtete ich auf meinen Weg. Immer mehr Hände schossen aus dem Boden und dann sah ich etwas, das mein Blut endgültig gefrieren ließ, aus einem Grab blickte mich ein einäugiger Kopf an. Das rechte Auge war verwest und an seiner statt kringelte sich eine Made aus der leeren Höhle. Auf dem Kopf thronte ein Veilchen an dessen Wurzeln noch Erde hing. Die Haare waren schon lange zersetzt und der Erde zugeführt. Ob diese Gestalt einst männlich oder weiblich gewesen war konnte ich beim besten Willen nicht mehr erkennen. Dies war mir im Moment auch reichlich egal. Keuchend und mit schrecklich stechenden Lungen quälte ich mich weiter. Als ich einen großen Schemen am Ende der Grabreihe entdeckte atmete ich erleichtert aus. „Tom!" krächtzte ich leise. Dann noch einmal lauter. Er hatte mich anscheinend gehört, denn er drehte sich in meine Richtung und lief auf mich zu. Er wurde immer schneller und als er gerade zehn Meter von mir entfernt war begann ich mich zu wundern. Wie konnte Tom hier sein, obwohl er in eine andere Richtung gelaufen war. Langsame Zweifel beschlichen mich und als das Wesen, welches Augenscheinlich nicht Tom sein konnte, in meinem Blickfeld war erkannte ich mit Graus, das es eines von diesen Wesen war. Ich hatte beschlossen, dass es Zombies sein mussten, da diese Monster zwar in unterschiedlichen Zuständen, doch zweifelsfrei alle verwest waren. Als meine neue Erkenntnis in meinem Hirn angekommen war riss ich meine Augen auf und stemmte die Füße in den Boden um zu bremsen. Innerhalb kürzester Zeit vollführte ich eine Vollbremsung gepaart mit einer Kehrtwende. Ich sprintete weiter, doch tief in mir wusste ich, dass es zu spät war. Diese Dinger liefen jetzt schon und das auch noch ziemlich schnell. Meine Puste war am Ende und meine Hand definitiv gebrochen. Schluchzend brach ich zusammen und wenige Sekunden später hatte mich der Zombie erreicht. Seine Arme schlossen sich um mich wie ein zu enger Käfig und nahmen mir den Atem. Das Ding lag mit seinem vollen Gewicht auf mir und ich roch seinen Gestank nach Verwesung. Die letzten dreckigen Haarsträhnen die das Ding noch besaß kratzten in meinem Gesicht. Es drückte mir die Luft ab und ich kreischte in Todesangst. Es warfen sich immer mehr Zombies auf mich und das letzte was ich hörte war eine monotone Frauenstimme die klang als würde sie einen auswendig gelernten Text herunterrattern: „Das beschmutzen oder verunstalten von Gräbern steht im Todesgesetzbuch für Zombies, Geister und Wiedergänger jeder Art ganz vorne, Seite eins Absatz eins. Das Vergreifen an anderes Grab wird bei Menschen mit dem Tod und ewigem Dienst im ZFU (Zentrum für Untote) und bei Untoten mit ewigem Dienst bei einem Sarghersteller ihrer Wahl beglichen. Kein Mindestlohn und 168 Stunden pro Woche." Das letzte was ich fühlte waren viele Hände, die mich sanft ins Erdreich hinab zogen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 02, 2023 ⏰

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