Stille.
Motorgeräusche.
Ein sanftes Ruckeln.
Langsam öffnete ich erst ein Auge, dann das andere. Ich musste mein System aufgrund meines konstanten hohen Stresslevels für einige Zeit heruntergefahren haben. Ich warf einen Blick auf meine neue Umgebung, ich war in keiner Halle mehr und wenn man von dem leichten Ruckeln ausging, das ich spürte, musste ich mich wohl in einem Transporter befinden. Ich sah an mir herunter. Nun trug ich Kleidung, ein weißes, kurzes Kleid, auf welchem meine Modellnummer in blauen Buchstaben und Zahlen stand, eine weiße, enge Leggings und weiße Schuhe. So kalt und steril. Ich sah auf. Wieder war ich umgeben von anderen Androiden, nun waren sie um einiges näher und es waren auch deutlich wenigere. Sie alle trugen dasselbe, so wie ich. Diese neue Situation beruhigte mich nicht gerade und meine Fragen wurden immer lauter und lauter. „Wo sollten wir hingebracht werden?"
Ich berührte die Schulter des Androiden neben mir, eigentlich nur um mich festzuhalten, da ich nicht die Spannung der anderen Modelle mit mir im Transporter hatte und ich definitiv nicht auf mich aufmerksam machen wollte. Es war ein merkwürdiges Gefühl jemanden zu sehen, jemandem so nahe zu sein und auch zu fühlen, der genauso ist wie du, aber dennoch so anders. Ich wusste, dass es mich nicht kümmern sollte, das gehörte nicht zu den Dingen über die ich mir Gedanken machen sollte, aber dann wiederum sollte ich eigentlich überhaupt keine Gedanken in meinem Kopf haben.
Als meine Hand die Schulter des Androiden berührte, wurde sie weiß und metallisch, genau wie meine Hand. Die LED an der Seite des Kopfes des Androiden leuchtete Gelb auf und deren Augen begannen sich schnell zu öffnen und zu schließen. Plötzlich drehte sich deren Gesicht in meine Richtung und sah mir genau in die Augen. Ich wich zurück, doch vergaß dabei, auf welch engem Raum ich mich befand. Ich stolperte und riss mindestens fünf Androiden mit, die hinter mir standen. Genau das, was ich nicht wollte, war geschehen, ich hatte auf mich aufmerksam gemacht.
Stresslevel: 45%
Ich spürte, wie der Transporter langsamer wurde. Nein, Nein, Nein!
Stresslevel: 55%
Ich versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, wortwörtlich, denn mir wurde unglaublich heiß. Jeden Augenblick würde der Fahrer die Türen öffnen und ich wäre damit geliefert. Es war offensichtlich, dass ich hierfür verantwortlich war, die Menschen waren heutzutage viel vorsichtiger mit Androiden und oft wurde einfach kurzen Prozess gemacht. Ich musste dieses Chaos schnell beseitigen.
Meine Augen suchten panisch im Raum nach Hilfe, doch auf einmal war es, als würde die Zeit stillstehen. Ich konnte mich nicht bewegen, doch plötzlich viel klarer denken. In meinem Sichtfeld wurden mehrere Möglichkeiten angezeigt, was ich nun machen könnte. Mein Verstand, das System...was auch immer, darüber konnte ich mir später Gedanken machen.
1. Möglichkeit: Flucht aus der geöffneten Transportertür
Überlebenschance: 40%
Zu riskant, sehr unwahrscheinlich, dass ich das überleben würde. Außerdem müsste ich mein Leben dann auf der Flucht führen.
2. Möglichkeit: Verstecken
Überlebenschance: 10%
Nein, dafür ist der Transporter nicht groß genug, ich würde sofort auffallen.
3. Möglichkeit: Androiden wieder aufrichten
Überlebenschance: 50%
Keine schlechte Idee, aber dennoch zu riskant, die Androiden sind zu schwer für mich allein und es würde zu lange dauern.
Was ich gerade noch als hilfreich empfand, sollte mich also doch nicht voranbringen. Langsam spürte ich, wie die Zeit wieder anfing weiterzulaufen. Ich musste mir wohl selbst etwas einfallen lassen, wenn mir meine besonderen Fähigkeiten schon nichts brachten. Als ich mich aufrichtete, kam mir eine Idee, oder besser gesagt ein Einfall, da ich mir sehr unsicher über die Wirkung war. Irgendetwas war geschehen als ich den Androiden berührte, vielleicht konnte ich so die Aufmerksamkeit von mir ablenken. Für mich schien dies die einzig funktionierende Möglichkeit zu sein. Ich fühlte mich schlecht dabei, was ich gleich tun würde und nun weiß ich, dass ich es auf ewig bereuen werde.
Ich griff erneut den Arm des Androiden neben mir, wieder leuchtete deren LED gelb auf, doch diesmal sah mich der Android sofort an. Ich zog ihn in meine Richtung, auf meinen ursprünglichen Platz und stellte mich dann auf seinen. Der Android sah verwirrt in meine Richtung, keine Spur war mehr von dem typischen leeren Androiden-Blick, dieser Android...hatte Angst. Als ich diesen Blick sah wollte ich sofort alles rückgängig machen, doch es war zu spät. Die Türen öffneten sich. Ich versteifte mich so sehr es nur ging. In meinem linken Ohr konnte ich noch die Stimme hören. Der Android flehte mich an, griff meinen Arm und rüttelte an mir. Und ich? Ich schloss die Augen, nur darauf wartend, dass es vorbei sein würde. Und da hörte ich ihn:
Den Schuss.
Einen erschütternden Schrei, der schnell erstickte.
Blaues Blut spritzte in mein Gesicht.
Der leblose Körper sackte neben mir auf den Boden.
Ich zuckte gerade so unauffällig zusammen, dass der Fahrer es nicht bemerkte. Ich spürte meine Hände zittern, vor allem die Hand, mit der ich gerade noch den Androiden berührte, den Androiden, der jetzt tot war. Ich blieb noch regungslos stehen, bis ich hörte, wie die Tür geschlossen wurde. Ich versuchte stark zu bleiben, aber als der Motor wieder anging, brach ich zusammen. Ich wollte meine Augen nicht öffnen, auf keinen Fall. Warum hatte ich das getan? Es hätte doch andere Möglichkeiten gegeben! Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, schützend, verängstigt, zu viele Emotionen auf einmal, aber vor allem Fassungslosigkeit und Unverständnis. Meine Tat ergab keinen Sinn, so etwas sollte nicht passieren, nicht einfach so, so sollte ich nicht handeln. Wie war ich überhaupt auf diesen Entschluss gekommen?
Ich hatte nur an mich selbst gedacht.
Ich riss die Augen auf. Ich hatte nicht das Recht, mich vor meiner Tat zu schützen. Ich hatte Zeit nachzudenken, das hatte ich. Ich habe mich entschieden, das zu tun, jemanden sterben zu lassen, für mein Wohl.
Ich musste tief schlucken und konnte noch immer nicht nach links sehen, ich erkannte nur die Blutlache, die sich bis vor meine Füße erstreckte und die leicht blau schimmerte. Langsam ließ ich mich auf meine Knie fallen.
War es das, was Menschen tun?
Sich selbst zu schützen?
Oder nur an sich zu denken?
Was auch immer die richtige Antwort war, meine unnormale Menschlichkeit ließ sich nun nicht mehr abstreiten.
Ich bin menschlich.
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Be(come) Human
FanfictionWir schreiben das Jahr 2040. Cyberlife ist immer noch, oder besser gesagt wieder, der führende Anbieter für Androiden auf dem Markt. Die Ereignisse, die sich zwei Jahre zuvor zutrugen, scheinen nach der gescheiterten Revolution der Androiden unter...