Zurück nach Japan

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Katsuki sah auf den überdimensionalen Bildschirm im John-F.-Kennedy-Flughafen in New York. Sein Flug nach Tokio war bereits aufgerufen und er eilte zum Check-in. Der Verkehr hier her war die Hölle gewesen und er war jetzt schon genervt. Er ließ die Sicherheitskontrolle und das Boarding über sich ergehen und ließ sich mit einem Seufzer auf seinen Platz sinken. Er sah aus dem Fenster. Regen trommelte an die kleine Scheibe. Das trübe Wetter passte zu seiner Stimmung. Das Flugzeug rollte gemächlich Richtung Startbahn, während der Kapitän die Passagiere begrüßte. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Sein Puls raste zunehmend schneller. Es war weniger der Flug, sondern das Ziel, das sein Herz nicht zur Ruhe kommen ließ.

Es war jetzt fünf Jahre her, seit er alle Verbindungen gekappt und Japan verlassen hatte. Die Verbindungen zu seinen Eltern, seinen Freunden und Kollegen und zu ihm. Er wollte sich nur etwas Zeit nehmen, um über alles nachzudenken, aber er fand nie einen Grund zurückzukehren, keinen außer ihm. Aber er war es ja gewesen, warum er überhaupt das Land verlassenen hatte. Er und seine konfusen Gefühle zu ihm, die er bis heute nicht verstand. Damals glaubte er, keine andere Wahl zu haben. Aber letztendlich war er geflohen. Geflohen vor diesen verwirrenden Gefühlen, die er nicht wahrhaben wollte und der Schuld, die er sich selbst am wenigsten vergeben konnte. Vielleicht wollte er Buße tun. Vielleicht vergessen. Doch das hatte letztendlich alles nichts gebracht. Er hatte sich in die Arbeit gestürzt, was ihn schließlich zur Nummer eins der Nachwuchssuperhelden in den USA werden ließ. Und Deku war die unumstrittene Nummer eins in Japan. Also war es doch das Richtige gewesen, oder?

Ob er zwischenzeitlich eine feste Freundin hatte oder verheiratet war und Kinder hatte? Die Vorstellung schmerzte, obwohl sie ihn doch eigentlich freuen sollte. Er wusste nicht mehr, wann sich damals zu der Ablehnung und vielleicht sogar Missgunst etwas anderes mischte. So was wie Respekt und Freundschaft, oder war da noch was? All diese Gefühle prallten aufeinander. Wellen im tosenden Sturm, die alles mitrissen und mit brachialer Gewalt an den Klipper zerschellten. Er wäre zerschellt, wäre er nicht gegangen.

Denn Deku hatte ihn weiterhin gehasst und ihn als seinen größten Rivalen angesehen. Natürlich hatte er ihn gehasst, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, hatte er doch, oder?

Es war so viel Zeit vergangen. Er hatte geglaubt, was es auch immer gewesen war, längst darüber weg zu sein. Das sich der Sturm in seinem Innern längst gelegt hätte. Dennoch hatte er hier nie jemanden gefunden, der seine Einsamkeit und das Gefühl von Verlust hatte lindern können.

Er hatte sich für das Klassentreffen angemeldet. Es war ein guter Grund, um zurückzukehren, war es doch? Dennoch saß er jetzt in diesem verdammten Flugzeug und sein Herz pochte ohne Unterlass heftig gegen seine Rippen. In Amerika hatte er Ruhm und Anerkennung gefunden. War erwachsen und zu dem Helden geworden, den er immer sein wollte. In seinem Leben gab es Kummer und Schmerz, aber natürlich gab es auch Freude und Leidenschaft. Aber Liebe hatte er nie gefunden. Und tatsächlich wusste er gar nicht, was sie eigentlich war. Diese Liebe. Aber er war sich sicher, dass sie es sein musste, die seine Einsamkeit lindern konnte.


Seine Eltern holten ihm vom Flughafen in Tokio ab. Natürlich bestanden sie darauf, dass er bei ihnen wohnte. Sein Kinderzimmer war zu einem Gästezimmer umgebaut, aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil. Er wollte an möglichst wenig aus seiner Kindheit erinner werden. So war es leichter, war es doch?

„Habt ihr Mal was von Izuku gehört?", fragte er wie beiläufig nach dem Abendessen. Obwohl ihm die Frage seit Stunden wie Säure im Hals brannte.

„Nun, im Gegensatz zu dir, besucht er uns ab und zu. Von dir erfährt man ja nur was übers Fernsehen oder Internet. Und die dreimal im Jahr wo du anrufst..."

Katsuki verdrehte die Augen. Die Spitze war ihm nicht entgangen. „Ich versuche so oft anzurufen, wie es geht. Aber die Arbeit als Held ist ziemlich zeitraubend. Das weißt du. Und, wie geht es ihm?"

Sie legte die Stirn in Falten. „Ganz ehrlich, ich glaube er vermisst dich. Er erkundigt sich jedes Mal nach dir. Er wirkt in letzter Zeit sehr einsam. Du solltest ihn unbedingt besuchen. Ich bin sicher, er würde sich freuen."

Katsuki schluckte. War es wirklich so, das Izuku ihn vermisst hatte? Das konnte er nicht glauben. Aber einfach so zu ihm gehen? Sicher hatte er gar keine Zeit für ihn. „Wir sehen uns doch auf dem Klassentreffen."

„Wenn du meinst." Seine Mutter stand auf. „Es ist spät geworden. Ich wünsche dir eine gute Nacht, mein Junge." Sie gab ihm ein Kuss auf sein Haar, während er mit den Armen fuchtelte, als wollte er eine Fliege vertreiben.


Katsuki lag in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Warum sollte Izuku ihn vermisst haben? Naja, sie waren ja auch mal so was wie Freunde gewesen, waren sie doch, oder? Verdammt, er hatte ihn auch vermisst, gestand er sich ein. Eigentlich hatte er auch alle anderen vermisst. Er hatte ihre Karrieren im Fernsehen verfolgt und sich gefreut, wenn sie Erfolge verzeichnen konnten. Sicher hat an ihn niemand gedacht. Er war ein Arsch auf einem nazistischen Egotrip gewesen und letztendlich waren sie alle besser ohne ihn dran. Mann, das konnte ja was werden. Besonders Izuku war ohne ihn bestens zurechtgekommen. Er hatte es an die Spitze geschafft, zum neuen Symbol des Friedens. Er hatte seine eigene Agentur gegründet und war der beliebteste Superheld aller Zeiten. Katsuki hatte es immer vorgezogen, alleine zu arbeiten. Er wollte keine Verantwortung für andere übernehmen. Und wer hätte auch mit ihm zusammenarbeiten wollen. Wie es wohl Todoroki ging? Soweit er wusste, hatte er Momo geheiratet. Zwischen den beiden hatte es ja schon an der U.A. geknistert. Er hatte vor einem Jahr die Agentur seines Vaters übernommen und war die Nummer zwei in Japan. Und wer ihn schon mal mit voller Kraft hatte kämpfen sehen, der wunderte sich, dass nicht er auf dem ersten Platz stand. Die Schurken hatten es hier echt schwer. Er wäre eh überflüssig. Allein Deku war so überpowert, dass in seiner Heimatstadt kein Verbrecher Fuß fassen konnte. Er war nicht nur Japans Nummer eins. Er war die Nummer eins weltweit. Zumindest könnte er es sein. Einst hatte Deku ihm ein Teil seiner Kraft geliehen und da hatte er begriffen, dass er nie auch nur annähernd an ihn heranreichen würde. Deku konnte, wie das ganze Land, auf ihn verzichten. Wahrscheinlich hatte er es schon immer gekonnt. Er wusste, es war bescheuert, aber er fühlte sich gerade extrem nutzlos und das tat weh.

Das Klassentreffen fand in der Pizzeria statt, von der sie sich in ihrer Schulzeit immer die Pizzen haben liefern lassen. Es hätte sicher tausend bessere Restaurants gegeben, aber keines, das besser zu dem Treffen gepasst hätte. Katsuki warf einen nervösen Blick durchs Fenster. Viele waren schon da. Er lächelte, als er Shoto entdeckte, der neben Momo saß. Offensichtlich wurden die beiden bald Eltern. Tenja, Minoru, Tsuyu und Rikido waren auch anwesend. Eijiro saß neben Mina, und Denki unterhielt sich sehr vertraut mir Kyoka. Soweit er erkennen konnte, war Izuku noch nicht da und er wusste nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte.

Was für ein Dreck, er war doch tatsächlich so nervös wie ein Vorschulkind an seinem ersten Schultag. Das war doch lächerlich, er war 25 und keine fünf. Und selbst mit fünf war er nie so ein Jammerlappen gewesen. Er sollte jetzt reingehen und nicht wie ein Trottel auf der Straße stehen. Wieso kostete es ihn so viel Überwindung? Würden sie ihn hassen und mit Verachtung strafen? Oder ihn links liegen lassen? Aber sie hatten ihn doch eingeladen. Sicher war das nur aus Pflichtgefühl. Wieso war er nur gekommen? Er stand da wie angewurzelt. Am liebsten wäre er wieder gegangen. Seit wann war er so eine Memme? Als hätte ihn Ablehnung je tangiert. Offensichtlich bedeutete es ihm mehr, als er bereit gewesen war, sich einzugestehen, was seine alten Kameraden von ihm hielten. Das war ja was ganz Neues. Es fühlte sich an, als müsste er einen Berg in seinem Innern überwinden und dabei all die Last der Vergangenheit schultern. Schluss jetzt, als hätte ihn je etwas aufhalten können. Er straffte die Schultern, atmete tief durch und wollte gerade hinein gehen, als er Schritte in seinem Rücken hörte und sich umdrehte.

„Deku!"

Ihm fiel die Kinnlade herunter und sein Herz schien den Takt verloren zu haben. Keuchend atmete er aus. Er hatte ihn ja schon das eine oder andere Mal im Fernsehen gesehen, aber als er jetzt vor ihm stand, konnte er nicht fassen, wie sehr er sich verändert hatte. Und wie verdammt gut er aussah. Er war so groß wie er, wenn nicht sogar größer. Sein Körper war durchtrainiert, wie der eines Bodybuilders. Breite Schultern und eine Wespentaille. Sein Haar war kürzer und gestylt. Seine Gesichtszüge markanter. Geblieben waren ihm die großen grasgrünen Augen und die niedlichen Sommersprossen. Moment, hatte er gerade niedlich gedacht? Scheiße, da waren sie wieder, diese verwirrenden Gefühle.

„Kacchan, du bist gekommen!" Er lächelte, was ihn nur noch attraktiver aussehen ließ.

Etwas verlegen erwiderte er sein Lächeln. „Wow, du..." Ihm fehlten glatt die Worte und er zuckte mit den Schultern.

Izuku überwand mit zwei großen Schritten die Distanz zwischen ihnen, schlag die Arme um ihn und drückte ihn so fest an seine Brust, dass ihm die Luft wegblieb. „Mann Kacchan, wie habe ich dich vermisst."

Katsuki spürte, wie auf einmal eine verräterische Wärme in seine Wangen stieg. Er wollte sich lösen, doch Deku ließ ihn nicht los und so gab er seinen kläglichen Versuch auf und umarmte auch ihn. Wieso roch Izuku nur so gut und wieso bekam er jetzt auch noch weiche Knie. Er musste sich am Riemen reißen. Stahlen sich da Tränen in die Augenwinkel? Schnell blinzelte er sie weg.

Er schluckte und holte tief Luft. „He Deku, ganz ehrlich, ich hab dich auch vermisst. Aber wir sollten jetzt reingehen, meinst du nicht?"

Izuku ließ ihn los und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Mann Kacchan, gut siehst du aus."

Er lächelte verlegen „Danke. D... Du aber auch." Was war nur los mit ihm?

Izuku grinste schräg und Katsukis Herz machte erneut einen Hüpfer.

„Na komm schon, gehen wir hinein. Die anderen können es auch kaum erwarten die Nummer eins der Superhelden aus den USA zu sehen. Du bist hier eine echte Berühmtheit."

„Was? Wieso ich? Du bist doch Japans Nummer eins. Und ich bin auch nur Nachwuchssuperheld", korrigierte er seinen alten Schulfreund.

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Du bist Japans heimliches Aushängeschild."

„Blödsinn, verarsch mich nicht!", nuschelte er in den nicht vorhandenen Bart.

In diesem Moment ging die Tür auf und Kirishima trat heraus.

I want to know what love isWo Geschichten leben. Entdecke jetzt