Kapitel 7 Collin

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Ich glaube, ich wurde noch nie von einer Frau einfach stehen gelassen. Finn geht es wohl ähnlich. Er scheint ebenso verwirrt zu sein wie ich.

"Habe ich etwas falsches gesagt?", fragt er mich, aber ich schüttele den Kopf.

"Keine Sorge, du warst ein braver Junge wie immer", ziehe ich ihn auf und er verdreht die Augen. Er ist es anscheinend leid von Nate und mir aufgezogen zu werden, weil er jede Frau wie ein Gentleman behandelt.

"Du bist ein Vollidiot", kontert er ziemlich schwach und wir fangen an zu lachen. Allerdings sieht er trotzdem ziemlich betrübt aus. Er muss sie wirklich mögen, obwohl sie sich erst zweimal gesehen haben.

"Du solltest es gut sein lassen mit ihr. Das wird nichts. Und am Ende hat mein bester Freund ein gebrochenes Herz und ich darf mir das Geheule anhören."

"Ich weiß nicht, wovon du redest", erwidert er und schaut mich ernst an. Ja klar.

"Bitte. Du siehst aus wie ein Hund, der ihr mit wedelndem Schwanz hinterherhechelt."

"Nur weil ich Frauen nicht wie Dreck behandele wie du und Nate, heißt das nicht gleich, dass ich etwas von jemandem will. Das nennt man nett sein, Collin."

"Also erstens behandele ich sie nicht wie Dreck. Zweitens willst du etwas von ihr, das würde sogar ein Blinder sehen. Und drittens fasse ich nicht, dass ich mit dir anscheinend das gleiche Gespräch führen muss wie mit Nate."

"Jetzt vergleich mich bitte nicht mit Nate. Das ist ja fast eine Beleidigung", beschwert er sich und ich muss grinsen.

"Dann lass sie lieber in Ruhe. Ich habe sowieso das Gefühl, dass sie nicht gerade einfach ist."

"Ja, ist ja gut. Ich muss los. Wir schreiben morgen eine Klausur und im Gegensatz zu Nate will ich mein Studium erfolgreich beenden", gibt er auf und steigt in sein Auto. Zum Glück weiß Finn, wie sehr ich streiten hasse, deshalb hat er so schnell aufgegeben. Ich glaube aber nicht, dass er bei Emily so schnell aufgeben wird. Dafür ist er schon viel zu vernarrt in sie. Irgendwie muss ich ihn dazu bringen, sie anders zu sehen. Vielleicht sollte ich ihm erzählen, wie sie mich gestern Abend angemault hat. Wenn er weiß, was ihn erwartet, überlegt er es sich sicher nochmal anders. Ich wünsche ihm zwar nur das Beste, aber das muss nicht unbedingt meine Nachbarin sein.

Nachdem er weg ist, gehe ich hoch in die Wohnung und ziehe meine Laufsachen an. Später kommt Nate vorbei und wir gehen feiern. Da ist es besser, ich gehe vorher laufen. Ich habe damit vor ein paar Jahren angefangen und laufe seitdem 5 bis 6 mal die Woche. Es hilft mir, den Kopf freizubekommen und fit zu bleiben. Ich gehe die Treppe runter und laufe Richtung Park. Als ich durch den Park durch bin, nehme ich den Weg in die Nachbarstadt. Mit dem Rückweg zusammen sind das gute 10 Kilometer. Je länger ich laufe, desto schneller werde ich mit dem Tempo und ich spüre meine Lungen brennen.

Aber durch die Geschwindigkeit habe ich wenigstens guten Gegenwind, da es heute wieder einigermaßen warm ist. Nach 1 Stunde komme ich wieder zuhause an und trinke erstmal was. Außerdem dehne ich mich noch kurz, genau wie vor dem Lauf. Ich springe nochmal unter die Dusche und entspanne mich, bis Nate kommt. Wir wollten Finn überreden, auch mitzukommen, aber er muss noch lernen. Das heißt, ich muss mich heute etwas zurückhalten und dafür sorgen, dass Nate keinen Mist baut. Nach Finn bin ich wohl der verantwortungsvollere von uns beiden, aber auch nur, weil Nate alles egal ist.

Wir hatten alle drei eine schwierige Kindheit und haben auch jetzt noch Probleme, aber Nate hat es von uns immer noch am schwersten. Finn und ich kommen einigermaßen klar. Deshalb nehmen wir es ihm auch nicht übel, wenn wir uns um ihn kümmern müssen.

Am späten Nachmittag höre ich, wie nebenan die Wohnungstür aufgesperrt wird. Anscheinend ist Emily von ihrem tollen Familienessen zurück. Ich überlege kurz, ob ich sie fragen sollte, ob alles okay ist, aber dann hätte ich meinen Vorsatz, mich von ihr fernzuhalten, nicht mal einen Tag durchgehalten. Ich frage mich allerdings, wieso es mich überhaupt interessiert, wie es ihr geht. Normalerweise sind mir nur Finn und Nate wichtig. Früher gehörten noch meine Mutter und mein Vater dazu. Aber die Liste der Leute, die mir wichtig sind, wird immer kürzer je älter ich werde. Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, hole ich mir ein Bier und exe es. Ich hoffe einfach, dass ich heute etwas mehr vertrage als sonst.

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