Schutz & Geborgenheit

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Der eiskalte Wind fühlte sich an wie Stiche von feinen Nadeln auf meiner Haut, während er mir unbarmherzig um die Ohren blies. Ich fror zitternd und war bis auf die Knochen durchnässt, denn es hatte bereits vor einer halben Stunde begonnen, in Strömen zu regnen. Ich schlang meinen Mantel, den ich als Schutz vor der klirrenden Kälte trug, noch etwas enger um mich. Den Blick stur geradeaus gerichtet, eilte ich schnellen Schrittes durch die tiefschwarze Nacht.

Es war bereits Spätherbst und die Nächte meist von so klarer Schönheit, dass es mich nicht selten spät abends, wenn alles schlief, nach draußen zog. Dann beobachtete ich den atemberaubend schönen Sternenhimmel mit seinen Abermillionen glitzernden Pünktchen auf pechschwarzem Untergrund. Und während ich gedankenverloren die kühle Nachtluft in vollen Zügen einatmete, den Blick gen Himmel gewandt, dachte ich darüber nach, wie weit die Sterne doch von uns entfernt waren, wie sie über allem standen, unantastbar für das Leid -das auf unserer Erde so zahlreich geschah und dass selbst nachdem sie schon seit Äonen von Jahren erloschen waren- ihr Licht immer noch den Weg zu uns fand, um unserem Nachthimmel erstrahlen zu lassen. Und während ich so über den Sternenhimmel vor mich hin philosophierte, wurde mir leicht ums Herz und ich vergaß all den Kummer und die Sorgen, all den Stress und das Leid, die Bürde, die das Leben mit sich brachte, für einen Moment. Dann verspürte ich nichts als pure Glückseligkeit und ich war mit mir und der Welt im Einklang.

Doch heute war keiner dieser Nächte. Bis auf das spärliche Licht der zahlreichen Laternen, welche die sich vor mir ins Unendliche dahin schlängelnde Straße in eine gespenstische Atmosphäre tauchte, erhellte nichts meinen Weg. Ich kam an Landstreichern, die sich zum Schutz vorm Regen unter einem überdachten Hauseingang zusammengekauert hatten und an betrunkenen Müßiggängern, die -benebelt durch den vielen Alkohol- regungslos vor der Taverne lagen, vorbei. Meine Schritte hallten in der engen Gasse von den Steinmauern der Häuser, durch die ich eilte, wider und dann und wann erschrak ich aufgrund meines eigenen Spiegelbild, das ich in einem der zahlreichen dunklen Schaufenster erspähte, die meinen Weg kreuzten, wenn ich um eine Ecke bog. Erst ein Blitz, kurz darauf der ohrenbetäubende Klang von Donner liesen mich zusammenfahren und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich beschleunigte meine Schritte, sodass ich jetzt beinahe rannte, dem Drang folgend, endlich meinen sicheren Hafen, meinen Fels in der Brandung, welcher mir Schutz und Geborgenheit bot, zu erreichen.

Ich bog links ab und verließ das mittelalterliche Dorf auf einem schmalen, matschigen Feldweg. Kurz darauf befand ich mich an der Steilküste, zwanzig Meter unter mir das tosende Meer, das so unnachgiebig an den Felsen rüttelte, als wolle es das gesamte Land in den Tiefen versenken. In der Ferne konnte ich bereits die einladenden Fenster meines Hauses erkennen, die durch den warmen Kerzenschein, der sie erhellte, wie Leuchtfeuer in der Finsternis auf mich wirkten. Kurz darauf eilte ich hastig durch das verwitterte Gartentor und öffnete mit vor Kälte zitternder Hand die Eingangstür. Sobald ich eingetreten war, überkam mich ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, in dem Wissen, dass diese vier Wände mir Schutz vor dem Draußen tobenden Sturm bieten würden. Der Geruch von köstlich duftendem Essen stieg mir in die Nase und aus dem Wohnzimmer vernahm ich die Stimmen meiner Frau und Kinder. Ein Lächeln stahl sich mir auf die Lippen und die gesamte Last des Tages glitt mir von den Schultern. Ich war Zuhause.

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