Kapitel 1
???
Der raue Asphalt fühlte sich kalt unter meinen Pfoten an, die in den letzten Monaten lediglich unebenen Waldboden berührt hatten. Der Wind spielte mir den Geruch von Abgasen und Müll, Erbrochenem und Bier sowie eine leichte Note Schießpulver um die Nase. Doch viel mehr als dieser Gestank störte mich, die Nähe der Menschen zu spüren. Sie drängten sich unentwegt durch die engen Gassen, suchten nach einer Gelegenheit, ihrem trägen Leben zu entkommen. Kaum bin ich wieder in der Stadt, muss ich mich um diese Göre kümmern. Was will sie nur an solch einem Ort?Rebecca
Seufzend verließ ich um drei Uhr früh das Sweet Oblivion. Zwei Teenager hatten es geschafft, sich trotz der Sperrstunde auf dem Tanzbereich aufzuhalten, John und Michael stets aus dem Weg zu gehen und an der Bar weiter Getränke zu ordern. So wütend hatte ich die beiden Security Männer selten erlebt. Noch dazu hatten sich die Jungs bei mir unterm Tresen versteckt, als man sie schnappte, und ich war zu meinem Boss zitiert worden. Wieso hat er mir nur nicht geglaubt, dass ich die Zwei nicht kenne? Erneut entglitt mir ein Seufzer, ehe ich in den klaren Sternenhimmel blickte, der durch die helle Straßenbeleuchtung so gut wie kein Sternenlicht preisgab. Was mache ich hier nur?
Ich zog meinen Schal enger, sodass der aufkommende Wind meinen Hals nicht länger streifte, und machte mich auf den Heimweg. Fünf Blocks musste ich hinter mir lassen, um die Clubszene zu verlassen, wo an jeder Ecke rot und blau blinkende Neonreklame auf geöffnete Läden hinwies. Sieben Straßen weiter bog ich rechts ein. In einigen hundert Meter Entfernung konnte ich das Hochhaus bereits erkennen, in dem ich eine Wohnung angemietet hatte. Ich wollte einen Schritt schneller gehen, da der Wind zunahm und mir eiskalt die Beine hochzog, als mein Blick auf ein junges Mädchen fiel, das ich auf zwölf oder dreizehn schätzte. Es hockte mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt unter einem fast ganz eingezogenen Vordach eines Verkaufstandes, das wegen Rost weder ein- noch ausgefahren werden konnte. Ein weiter Hut legte ihr Gesicht in dunkle Schatten. Das samtrote Kleid mit den weißen Spitzen wirkte nass und verdreckt, als wäre sie vor Kurzem erst gestürzt.
Ich hockte mich langsam neben das Mädchen und wartete einen Moment, bis sie den Kopf leicht anhob, was ich nur an dem wippenden Hut erkannte. »Suchst du einen Ort, an dem du die Nacht verbringen kannst?«
Es schien, als weiche sie ein kleines Stück zurück, um mehr Freiraum zu schaffen und jeden Augenblick wegrennen zu können. Ich ... kannte dieses Gefühl nur zu gut. Genauso, wie diese Situation.
Um ihr entgegenzukommen, nahm ich Abstand, etwa so viel, wie sie vor mir zurückgewichen war, und konnte nun unter der Krempe ein helles Augenpaar aufleuchten sehen. Für einen kurzen Moment lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Eins. Zwei. Drei. Bedacht langsam streckte ich ihr meine Hand entgegen, nur so weit, dass sie sich nicht eingeengt vorkam und ihren halben Arm ausstrecken musste, um sie anzunehmen. »Komm mit mir. Die Nacht ist zu kalt, um hier draußen alleine zu schlafen.«
Sie beäugte mich misstrauisch. Ein stetiger Wechsel, meinen Blick zu halten und meine Handfläche zu betrachten. Schließlich ergriff das Mädchen mein Handgelenk mit beiden Händen und ließ sich von mir in die Arme schließen. Ihr kühles Gesicht streifte meine Wange und ich hörte ein Schluchzen, ehe ich sie hochnahm und mit ihr den Heimweg fortsetzte.Pino war unser italienischer Portier und eilte sofort zu mir, als er bemerkte, dass ich mit einem Kind auf dem Arm durch die Drehtüre trat. Ein hochgewachsener Mann in den Vierzigern, der glücklich verheiratet und Vater dreier Töchter war. Er brachte mir gelegentlich einen Auflauf seiner Frau mit, wenn Isabella mal wieder ihre Anti-Paprika-Woche durchzog und ihre Schwestern mit einstimmten. Ich liebte die Geschichten, die er mir von ihren Schulaufführungen erzählte, und wünschte mir oft, auch so einer Familie anzugehören.
»Pino, würden Sie mir bitte den Aufzug rufen?«, bat ich ihn und er eilte sofort an mir vorbei. Mit einem Drücken der Taste bewegte sich der im fünfzehnten Stock verbliebene Fahrstuhl ins Erdgeschoss. »Ich danke Ihnen.«
»Eine Verwandte?«, fragte er neugierig und versuchte, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, das sie augenblicklich scheu in meiner Brust vergrub.
»So etwas Ähnliches.« Siebtes Stockwerk.
»Ich möchte nur der Form halber darauf hinweisen ...«
»... dass Besuch zu dieser Zeit laut der Hausordnung nicht gestattet ist«, beendete ich den Satz und blickte ihn an. »Ich konnte sie nicht auf der Straße schlafen lassen, Pino. Bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich die Kleine vor die Tür setze. Sie wird keinen Ärger machen.«
Er nickte verständnisvoll und streifte meinen Arm. »Ich drücke ein Auge zu. Aber lange kann sie nicht bleiben. Sie wissen ja - Frau Lambert auf Ihrer Etage bekommt alles spitz und meldet es umgehend. Eine Beschwerde werde ich nicht zurückhalten können.«
Die Aufzugtüren öffneten sich und ich stieg mit dem Mädchen auf dem Arm ein. »Das würde ich nie von Ihnen verlangen, Pino. Haben Sie vielen Dank und grüßen Sie Maria.«
Als sich der Fahrstuhl endlich in Bewegung setzte, entwich mir ein Seufzen. Was mache ich hier nur? Mein Blick verfolgte das Aufleuchten des entsprechenden Stockwerks, den der Aufzug passierte. Im zwölften Stock fuhren die Türen auseinander und ich trat auf den mit blaugrauem Teppich ausgelegten Flur. Die dritte Tür rechts schloss ich auf und schaltete das Licht ein.
»Möchtest du jetzt ein Bad nehmen, um dich aufzuwärmen?«, fragte ich, während ich sie auf die Füße stellte. Ihre Augen scannten neugierig meine Einzimmerwohnung, die aus einem weitläufigen Raum mit Kochnische und großem Panoramafenster bestand, der einen weiten Blick auf die Stadt bot. Eine weiß angestrichene Türe führte in das anliegende Badezimmer.
Ich hockte mich vor das Mädchen und legte ihren Hut auf den Stuhl neben uns. Goldene Locken fielen ihr über die Schultern. Da bemerkte ich, dass die rechte Seite um ihr Ohr rötlich verklebt war, doch sie schlug panisch meine Finger weg, als ich es mir genauer ansehen mochte. »Entschuldige. Ich wollte nicht ...«
DU LIEST GERADE
Love Bites (1) - Küss mich
ChickLitDie junge Rebecca liest ein Mädchen von der Straße auf. Dass sie dadurch einen nahezu ausgehungerten Vampir eingeladen hat, wird ihr erst klar, als ein großer Hund sie vor dem unausweichlichen Angriff rettet. Überwältigt von den Geschehnissen wird R...