Kapitel 4

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Kapitel 4

Logan
Ich schwenkte ein Glas Single Malt Whisky in meiner Hand - schon mein drittes - während ich nachdachte, wie ich sie umstimmen konnte, hierherzukommen, ohne für eine gewisse Zeit selbst abreisen zu müssen. Mir wollte einfach keine Möglichkeit einfallen, war ihr Charakter doch äußerst stoischer Natur. Ihrem Willen beugte man sich oder sie brachte einen dazu. Es gab keine andere Option.
Die Tür öffnete sich, ohne dass ich ein Klopfen gehört hatte, und Richard trat ein. »Deine Manieren hast du im Wald vergessen, nehme ich an?« Ich schenkte ihm ein Glas ein, im vollen Wissen, dass er seinen vorzüglichen Geschmack genießen konnte. Für mich war es nicht mehr als eine alte Gewohnheit geworden.
»Ich muss mit dir über Becky sprechen.«
»Becky?« So, sie sind also bereits bei Spitznamen angelangt? Wir nahmen vor einem Bücherregal Platz, dessen Bücher ich alle schon einmal gelesen hatte. Historische Romane, Liebesgeschichten, Märchen, Politiklegenden, Königssagen, Mythen von übernatürlichen Wesen.
»Ich verstehe nicht, wie du sie für dich beanspruchen kannst, dich aber nicht um sie kümmerst.«
»Wie kannst du es ...«
»Du weißt ja nicht einmal, dass der Job in dem Pralinenladen nicht ihr einziger ist. Ich bin vorhin dort gewesen und habe sie zusammenbrechen sehen! Jemand wie du oder Emilia braucht vielleicht keinen Schlaf, aber sie ist ein gewöhnlicher Mensch!«
»Sie ist alles andere als gewöhnlich, Richard!«, knurrte ich ihn aus tiefster Seele an und ich sah in seinen Augen, dass sein Wolf bereit war, in derselben Intensität zu antworten, wie meine innere Bestie. »Sie könnte jene sein, die ...«
»Du willst sie der Königin vorstellen?« Sein Gesicht wurde bleich.
»Nein, noch nicht. Sie sitzt mir im Nacken, weil ich so lange nicht an ihrem Hof war und droht mit einem Besuch. Das wäre alles andere als vorteilhaft zu dieser Zeit.«
»Welcher Zeit?« Er beäugte mich kritisch und ich wusste nicht, inwieweit ich meinem Bruder vertrauen konnte. Er hatte sich gegen ein Leben als Vampir an meiner Seite entschieden, wollte ein Mensch bleiben. Und sieh dich an, was jetzt aus dir geworden ist. Du bist nicht viel mehr als ein Hund, der den Mond anheult. »Ich habe es ihr gesagt.«
»Du hast was!?«
»Logan, wenn sie hier mit uns unter einem Dach wohnt, hat sie ein Recht darauf, es zu erfahren. Ich habe euch außen vorgelassen, das ist eure Sache. Aber ich für meinen Teil werde sie nicht belügen!« Er stand auf, leerte den Whisky in einem Zug und starrte mich einen Moment lang an. »Ich weiß nicht, was du mit ihr für eine Abmachung getroffen hast. Aber so geht es nicht weiter. Sie arbeitet zu viel und das macht sie kaputt.«
»Meinetwegen müsste sie nicht arbeiten. Sie hat hier alles, was sie braucht.« Oder etwa nicht? Was ... wünschte sich eine junge Frau in ihrem Alter ... in diesem Jahrhundert?
»Dann denke ich, sollten wir ihr das schleunigst klarmachen, Bruder.« Er öffnete die Tür, sah in den Flur. »Und noch etwas: Mein Name ist jetzt Ramses. Gewöhn dich endlich daran.«
Wütend über seine Belehrung zerbrach ich das Glas in meiner Hand. Die Scherben bohrten sich tief in meine Haut und schales Blut quoll hervor. Richtig, sein Wolfsname. Er hatte seinen menschlichen Namen abgelegt, als sie ihn verwandelten. Was der Grund dafür war, wollte mir nach all den Jahren nicht in den Kopf. Verärgert stand ich auf und lief zu meinem Fenster. Ich bemerkte die weiße Wäsche, die im Mondlicht hing und trocknete. Ja, ich sollte dringend mit ihr reden.

Rebecca
Wohlig warm umgab mich das schaumige Badewasser und ich schloss die Augen, um diesen merkwürdigen Tag Revue passieren zu lassen. Allerdings kam ich gar nicht dazu, am Morgen zu beginnen, da mein inneres Auge mich sofort in seine Arme warf, die mich fest bei sich hielten. Ich erinnerte mich an seine glühend heißen Finger auf meinen Schulterblättern und hatte noch jetzt das Gefühl, sie lägen dort. Meine Becky. Seine Stimme hallte in meinem Körper wieder und ich spürte ein aufgeregtes Prickeln auf meiner Haut. Nicht nur, dass er mich bei diesem Namen genannt hatte. Er hatte mich sein genannt. Das hatte etwas so Intensives, sodass ich beschämt unter Wasser tauchte.
Plötzlich erinnerte ich mich an den verdrängten Sprung aus dem zwölften Stock, den Emilia und selbst der große Hund überlebt hatten. Beide waren wohl auf. Ich bin ein Wolf. Erschrocken rang ich nach Luft, das Badewasser schwappte über und der Schaum vernebelte mir die Sicht. Es war gar kein Hund gewesen! Damals nicht ... und auch in meiner Wohnung nicht. Konnten Wölfe denn so alt werden? Nein. Das ist die falsche Frage. Wie war es möglich, dass er - ein Mensch - ein Wolf war. Er hatte es sicher nicht rein rhetorisch gemeint, dafür war seine Stimmlage viel zu ernst gewesen. Mein Unterleib zog sich zusammen und rief mir das dunkle Grollen, das einem Knurren nahekommen mochte, ins Gedächtnis. Emilia hatte gesagt, er war eine Weile in den Wäldern unterwegs gewesen, musste sich erst wieder an die Menschen gewöhnen und daran, seine menschliche Stimme zu benutzen. Sollte das etwa bedeuten ... Logans Bruder war ein Werwolf? Aber das ... ist doch völlig unmöglich!
Emilia betrat das Badezimmer und wirkte überrascht, als ich von Schaum bedeckt in der Badewanne stand. Das verspreche ich, so wahr mich die Himmelswölfe leiten. Ich blickte sie an, wusste nicht, was ich ihr sagen wollte. Sie reichte mir die Hand, half mir aus der Wanne und gab mir ein großes Handtuch. »Alles in Ordnung?«
»Wieso ...«
»Wieso was?«
»Wieso hast du gesagt, er wäre euer Hund, wenn er doch ein Wolf und Logans Bruder ist?« 
Ihr Blick wich meinem nicht aus. Es wirkte, als musste sie sich selbst die Erlaubnis erteilen, ehe sie nickte. »Er ist ein Wolf. Aber es stand mir nicht zu, es dir zu erzählen, Rebecca.«
»Warum nicht?«
»Weil«, und sie schien lange mit dieser Antwort zu hadern, »es das ist, was zwischen den Brüdern steht.« Mein irritierter Blick entrang ihr ein Seufzen und sie zog mich in den Sitz. »Vor vielen Jahrhunderten wurde Logan in Atlanta gebissen. Er war im Krieg, in Bürgerwehren, hat eine Menge von der Welt gesehen und vor allem Leid und Tod.« Wow, das bedeute, Logan ist ein ganz schön alter ... Mann? Er sieht gar nicht danach aus. »Eines Tages fand er Richard, nahm den Waisen auf, zog ihn groß. Sie versprachen sich, ewig zusammenzubleiben und schlossen einen Blutsbruderpakt. An seinem siebzehnten Geburtstag eröffnete Logan ihm das Geheimnis, er sei ein Vampir.« Logan ... ist ein Vampir? Was redet sie denn da? »Er wollte ihm das Geschenk machen, ewig zu leben, doch Richard lehnte ab. Diese Zurückweisung spaltete die Brüder für alle Zeiten, Logan zog sich zurück und verstand nicht, dass alles, was Richard sich wünschte, war, sein gesamtes menschliches Leben mit ihm zu verbringen.« Wow. Ewiges Leben. Ist das wirklich so ... begehrenswert? »Und dann ... in der Nacht vor knapp achtzehn Jahren wurde Richard angegriffen.« In meinem Inneren tobte ein Kampf. Die eine Seite versuchte, zu verdauen, was Emilia mir da gerade erzählte, die andere war vollkommen erstarrt. »Logan befürchtete schon, er hätte ihn verloren, aber es kam noch schlimmer. Beim nächsten Vollmond zeigte sich erstmals seine tierische Gestalt und Richard verschwand.« In den Wald? »Seit einigen Jahren kommt er alle paar Monate vorbei und sieht nach seinem Bruder. Den Namen hat er auch gewechselt. Logan verbietet, ihn bei seinem Wolfsnamen zu nennen. Für ihn wird er immer der Bruder sein, der ihn damals abwies.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie hauchte mir einen Kuss auf die Stirn und schloss die Tür hinter sich. Wieder allein. Der feste Griff der Einsamkeit erfasste mein Herz und drückte es schmerzlich. Wie ... furchtbar. Tränen stiegen in mir auf und ein Schluchzen erschütterte meinen Körper. Sie liebten einander so sehr, dass sie die Ewigkeit miteinander verbringen wollten, jeder auf seine spezielle Weise und jetzt ... Ich ballte die Hände zu Fäusten. Nein, es darf nicht so bleiben. Ich muss etwas unternehmen!

Love Bites (1) - Küss michWo Geschichten leben. Entdecke jetzt