Kapitel I, Lavendel Sekretärin

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Ich schwamm. Immer schneller, immer schneller. Der Delfin unter mir war rasend schnell. So schnell, dass wir in die Wolken abhoben und auf Chicken Nuggets wegflogen. Wir hielten auf einer magischen Dürüminsel an und schliefen dort ein.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner linken Hand. Als ich die Augen öffnete, blickte ich direkt in die goldgrünen Augen meiner norwegischen Waldkatze. Och Mann. Ich hätte lieber in die Augen eines Dönerladenbesitzers geblickt, doch man kann nicht alles haben im Leben. Der Wecker meines alten FM Radios klingelte. Es war 9:00Uhr. Stöhnend stemmte ich mich hoch. Meine Katze hing immer noch kauend an meiner Hand, während ich langsam in Richtung Tür schlenderte. Goldenes Licht drang durch meine Gardinen, der Staub tanzte in der Luft und der Duft von verschwitzter Wäsche lag wie eine erstickende Decke in meinem Zimmer. Mein Apartment befand sich im Industrieviertel, am Stadtrand von Moskau. Ausser grundlegenden Möbeln wie Bett oder Kühlschrank, war meine Wohnung komplett leergefegt. Das Apartment war schäbig und klein, aber dennoch gemütlich. Verschlafen schlich ich in die Küche und trank erstmal die Reste von gestern. Eigentlich ass ich nie etwas zum Frühstück. Meine Katze hing immer noch an meiner Hand. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass meine Katze nicht ganz normal ist. Das ist wohl auch die einzige Gemeinsamkeit, die wir teilen. Deshalb war das, was ich trank wohl auch Blut.

Nachdem ich die Katze von meiner Hand entfernt hatte, schlurfte ich ins Bad und duschte. Meine kurzen, braunschwarzen Haare klebten mir nass im Gesicht, während ich anfing die Zähne zu schruppen. Durch den angelaufenen Spiegel sah ich direkt in zwei leere, schwarze Augen. Meine Haut war bleich und die tiefen Schatten unter meinen Augen verrieten, dass ich deutlich zu wenig Blut zu mir nahm. Mist, ich war spät dran. Hastig zog ich mich an. Anzug, Krawatte, Aktenkoffer und Dönergutschein. Alles passte. Das kleine Fläschchen mit Blut für alle Fälle durfte natürlich auch nicht fehlen. Nach einem kurzen Abschiedsstupser an meine Katze Puschii, verliess ich den Frieden meines Apartments. Kaum aus meinem Wohnblock getreten, drang mir auch schon der gewohnte Strassenlärm von Moskau entgegen. Покупайте сейчас! Только здесь!(Jetzt kaufen! Nur hier!) Erklang die Stimme eines mir nur allzu bekannten Verkäufers. Ich konnte ihn nicht leiden, da ich niemanden mit niedrigem IQ leiden konnte. Schon seit ich hier lebte versuchte er seine stinkenden Handyplastikhüllen zu verkaufen. Mit wenig Erfolg. Vielleicht sollte ich ihm einfach mal einen Geschäftstipp geben, oder ihn töten. Schweigend ging ich an ihm vorbei. Besonders Heute war ich nicht in der Stimmung für sein Geschwafel. Die Strassen waren vollgestopft mit herumwuselnden Menschen. Die ganzen verschiedenen Gerüche erschlugen mich fast. So wie jeden Morgen. Bei meiner Firma angekommen, grüsste ich meine Mitarbeiter und nahm den Lift in den 37sten Stock. Mein Leben kam mir vor wie eine einzige Routine. Sofort wurde ich wie immer mit dem Geruch von frischem Lavendel zugedröhnt. Das Foyer hatte einen italienischen Touch, ja man hätte sogar meinen können, man befinde sich hier in einem Luxushotel.

Mit einem Ruck warf ich meinen Aktenkoffer auf das graue Pult, an dem ich arbeitete. Anwalt zu sein war enttäuschend, doch ich hatte schon als schlimmeres gearbeitet. Heute zum Beispiel, heuerte mich ein Klient an, weil der automatische Rasenmäher seines Nachbarn auf sein Grundstück gefahren war. Die reichen Leute hier hatten wirklich mit vielem zu kämpfen. Wenn ich manchmal so darüber nachdachte, fand ich es eigentlich gar nicht so schlimm, wenn in Zukunft der ein oder andere Bürger ins Gras beissen würde. Ich verabscheute Menschen, dennoch unterhielt ich mich mit meinen Kollegen, da ich nicht auffallen durfte. Sie schwafelten ständig irgendwas von ihren Familien, Golfausflügen und wie toll Putin doch war. Auch der Tag war wie jeder andere; trüb und langweilig. Nach der Mittagspause schlich ich entnervt zu meinem Platz zurück. "Na Sergej? Lange nicht mehr gesehen." Ich drehte mich langsam um. Meine kleine Sekretärin schaute mir mit einem verschmitzten Lächeln entgegen. "Wie oft habe ich ihnen schon gesagt, dass sie mich nicht beim zweiten Namen nennen sollten?" Sagte ich ausdruckslos. Ihre Haut stank förmlich nach diesem billigen Parfüm, das den köstlichen Duft ihres Blutes überdeckte. Langsam kroch mir der Appetit den Hals hinauf. Schnell drehte ich mich weg und tat so als ob ich beschäftigt sei. Irgendwas stimmte heute nicht. "Ach komm Jefim Sergej Sorokin, hab dich nicht so. Du bist wirklich der herzloseste Typ, für den ich je gearbeitet habe." Ich konnte ihr überglückliches Lächeln in meinem Rücken spüren. "Auch toll sie wieder zu sehen Daija. Hoffentlich trödeln Sie jetzt nicht mehr so viel rum, wie sie es letztes Jahr getan haben." Fauchte ich genervt. "Ja ich habe Sie auch vermisst. Übrigens können Sie das mit dem Siezen ruhig lassen. Wir kennen uns jetzt ja schon gut." Sie zwinkerte mir verlegen zu und kehrte zu ihrem Platz zurück. Ich musste fast brechen. Die Zeit verging wie im Flug. Nur noch das letzte Dokument. Ich war so unglaublich hungrig. Mein Blick huschte auf meine Uhr, es war punkt 18:00 Uhr. Draussen strahlten die Laternen eiskaltes Licht auf die Strassen. So schnell ich konnte räumte ich meine Sachen zusammen, verabschiedete mich vom Personal und ging. So wie immer. Winde des russischen Winters fegten mir entgegen, als ich in die eisige Nacht hinaustrat. Die Kälte fühlte sich angenehm auf meiner Haut an. Doch da war noch etwas anderes. War es Hunger? Mein Magen knurrte als ich über die Strassen zu meinem Block eilte. Verdammt, ich musste mich beherrschen! Was war heute bloss mit mir los? 

Mit schnellen Handgriffen holte ich meine Blutreserve hervor und spülte alles mit einem Schluck herunter. Ich spürte, wie Erleichterung mich überkam. Dennoch musste ich mich beeilen nach Hause zu kommen. In der Ferne hallte das schallende Gelächter einer Gruppe Jugendlicher an den Gebäudemauern wider. Vielleicht aus 500m Entfernung. Eine Frau mit ihren Hunden lief schnell die Strasse entlang. 189m entfernt. Bei dem Geruch ihres warmen, blutdurchströmten Körpers überkam mich ein schier unaushaltbarer Hunger. Ich hörte jeden ihrer Herzschläge und Bewegungen. Jeder ihrer Atemzüge rauschte durch meine Ohren in die Seele. Mein Mund füllte sich mit Speichel. In einem Schaufenster spiegelten sich meine weinroten Augen wider. Was zum Teufel?! Verzweifelt kniff ich die Augen zu und fing an zu rennen. Gleich hatte ich es geschafft. Da sah ich auch schon mein Block und im nächsten Moment stürzte ich das Treppenhaus hoch. Mit einer starken Bewegung riss ich die Tür auf und hätte dabei fast Puschii vom Boden weggefegt. Geschafft. Ich stürzte direkt auf den Kühlschrank zu und schnappte mir eine Blutreserve, die ich von einem nahegelegenen Spital entwendet hatte. Gott, ich war ein Dämon der höchsten Ordnung und hatte mich so gehen lassen? Das war mir seit 118 Jahren nicht mehr passiert. 

Farbige SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt