Der Mann und sein Leben

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Mein Blick war starr gen Norden gerichtet, vor mir nur das Wasser, das Wasser mit seiner majestätischen Form und Eigenschaften. Ohne es gibt es kein Leben und dennoch ist es für das Leid und den Verlust vieler Leben verantwortlich. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen. Ich lauschte dem Rauschen des Meeres und spürte den weißen Sandstrand, in welchem sich meine blanken Fußzehen hineinbohrten.
„Papa, komm, wir müssen gehen, Papi wartet zu Hause schon auf uns“. Die Stimme meiner Tochter riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute behutsam in ihre kristallblauen Augen und sprach mit sanfter Stimme:
„Geh schon mal vor, ich komme sofort nach“. Freudestrahlend machte sich unsere Tochter auf den Weg zu unserem gemeinsamen Haus, welches unmittelbar in Strandnähe lag. Ich schaute ihr noch eine Weile hinterher, wie ihre kleinen Füßlein die heiße Sanddüne erklommen. Ich drehte mich um und betrachtete den Horizont. Die Sonne ging langsam unter und eine Träne bahnte sich den Weg zu meinem Mund hinab. Ich schmeckte das Salz auf meiner Zunge und schwiff erneut ab.
Ich sah ein jüngeres Abbild meiner Selbst. Mein Heimatdorf, dachte ich. Gleichzeitig machte sich ein Stechen in meiner Brust breit. Ich liebte dieses Dorf, aber dort zu verweihlen war keine Option mehr in meinem Leben gewesen. Mein Dorf umfasste gerade einmal 500 Seelen, Tratsch und Klatsch war vorprogrammiert gewesen und so dauerte es auch nicht lange, bis man sich die Mäuler über mich zeriss. Dabei habe ich nichts getan außer zu mir selbst zu finden und Glücklich zu werden. Ich war nämlich homosexuell, erstmal ja nichts Schlimmes, denkt man, aber in einem katholischen Dorf war es wie ein Todesurteil. Meine Familie war im Dorf vekanmt und sehr engagiert. Auch ich genoß dieses Miteinander sehr. Es war wie eine große Familie, man hielt zusammen und unterstütze sich. Diese Fassase war allerdings mehr schein als sein, was sich später noch herausstellen sollte. Die Erkenntnis über meine eigene Sexualität gewann immer mehr an Präsenz in meinem Leben. Ich hielt die ständige Fragerei, wann ich denn endlich mal ein hübsches Mädchen mit nach Hause bringen würde, nicht mehr aus. In einer ruhigen Minute schnappte ich mir meine Eltern und führte sie in die Küche, dort wartete bereits ein gedeckter Tisch mit Kuchen.
„Mama, Papa setzt euch. Ich muss euch dringend etwas mitteilen“, sagte ich. „Ich bin schwul, ich stehe auf Männer“. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Nervös, ja fast schon schämend ließ ich meinen Kopf hängen. Es herrschte nichts außer einer quälenden Stille, mit Vorsicht erhob ich mein Haupt. Meine Eltern waren wie versteinerte und jedes Fünkchen Farbe war aus ihren Gesichtern verschwunden. Meine Mutter fing sich als erstes und ich sah wie sie mit den Tränen kämpfte. „Es ist alles in Ordnung. Du bist immer noch unser Sohn“. Ich spürte ihre liebevolle Art wie eh und je. Plötzlich erwachte auch mein Vater wieder zum Leben. Seine Blässe wich und ein zorniges rot suchte sein Gesicht heim. Eine solche Angst habe ich in meinem Leben noch nie verspürt. Er brüllte, er brüllte so laut wie ich ihn noch nie habe Brüllen gehört. Meine Mutter weinte nun bitterlich als mein Vater auf mich zu kam und seine Hand ausrutschte. Daraufhin rannte ichbinnden Flur, riss die Türe auf und lief weg so schnell wie ich nur konnte. Als Kind vom Dorf kenne ich jedes Versteck der Gegend. Ich kam für eine Nacht in einer selbst gebauten Hütte unter, doch Hunger und Durst trieben mich am nächsten Morgen zurück zu meinem Elternhaus. Voller Panik öffnete ich vorsichtig die Tür. Mekne Mutter fiel mir erleichtert um den Hals. Mein Vater hingegen würdigte mich keines Blickes. Sein einziger Kommentar war:„ Wenn du auch nur auf die geringste Idee kommst dem Dorf von deiner Krankheit zu erzählen, dann Gnade dir Gott. Was sollen die Leute denn bloß von uns denken“. Unter Schock stehend nickte ich nur stumm vor mich hin. Die Angst vor Gewalt überwiegte meinem sonst so großen Selbstbewusstsein. Von diesem Moment an zählte ich jeden Tag bis zu meinem Abitur. In diesen Jahren konnte ich leider auch nicht auf die Unterstützung meiner Mutter hoffen, zu groß war die Macht des Familienoberhauptes. Ich verhielt mich normal, doch der Blick meines Vaters brannte förmlich in meinem Nacken. Ich ließ mir von der ganzen Sache nichts anmerken und integrierte mich weiter im Dorf ein. Nur so konnte ich die Erwartungen der Gesellschaft erfüllen und eine tolerierbare Beziehung zu meinen Eltern führen. Mein Entschluss nach dem Abitur fortzugehen stand längst felsenfest. Nun war der Tag gekommen. Zur Feier des Tages lud mein Vater das halbe Dorf ein. Erneut wurde mir Druck gemacht mir endlich eine Freundin zu suchen. Ich winkte ab und gab vor bereits eine Freundin zu haben, welche aber weiter weg wohnt. Freudenschreie brichen aus und ich versprach meine Freundin in den Ferien mitzubringen. Was sie nicht wussten, war, dass ich gar keine Freundin hatte. Rund 500 Kilometer entfernt wartete nämlich mein fester Freund auf mich, ohne welchen ich die letzten Jahre nie überstanden hätte. Wir lernten uns vor Jahren online kennen und seitdem war ich jede Ferien bei ihm. Nur meine Mutter wusste davon. Sie deckte mir den Rücken und verklickerte meinem Vater, dass ich auf einem Erziehungscamp sei. Diese Ferien war es wieder soweit. Ich stand am Flughafen und verabschiedete mich von meinen Eltern. Mein Vater erhoffte sich erneut, dass ich nach diesem Aufenthalt ein richtiger Mann werden würde. Meine Mutter hingegen weinte und umarmte mich fest. Sie flüsterte mir noch alles Gute füt meine Zukunft mit meinem Partner ins Ohr. Ich überreichte ihr noch einen kleinen Zettel mit der Adresse meines Freundes. Online Kontakt zu halten wäre wegen meines Vaters zu schwierig gewesen. Stattdessen schreibt mir meine Mutter regelmäßig Briefe und ich antworte ihr. Zu Hause fängt sie dann die Post ab, während mein Vater auf der Arbeit ist, und so Leben wir seit Jahren mit unserem Geheimnis.
Mein Vater war nicht mal traurig, als ich nach den Sommerferien spurlos verschwand. Ich glaube, dass es jetzt gut ist wie es ist. Er oder eher die ländliche Gesellschaft war einfach noch nicht bereit für dieses Thema. Die Vergangenheit kann ich allerdings nicht ändern, ein Wiedersehen in der Zukunft schließe ich aber dennoch nicht aus. Jetzr muss ich erstmal versuchen in der Gegenwart zu leben und meiner Tochter eine gute Zukunft zu ermöglichen. Ich muss versuchen ein guter Vater zu sein und nicht so einer wie meiner es war.
Der Gedanke an meine Tochter holte mich zurück in die Realität. Die Sonne war mittlerweile vollkommen untergegangen. Wie lange ich hier wohl schon stand, fragte ich mich. Mein Magen fing langsam an zu knuren und eine sanfte Briese wehte auf meiner Haut. Ich trat den Weg nach Hause an. Nach Hause zu meinem Mann, unserer Tochter und unserem Hund. Meine Familie, mein persönliches Glück und mein Ein und Alles. Solange es die Gegenwart zulässt.

Der Sohn und sein Geheimnis - OneshotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt