- 1. Kapitel -

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Part I

Einen gut bezahlten Job mit 26 zu verlieren war beschämend. Mancher würde dies nicht verstehen, wenn erwähnt werden würde, dass dies nicht wegen unangebrachtem Verhalten oder anderen Skandalen passiert war, jedoch spielte der Grund für Mary keine Rolle. Jeder in ihrem Alter, den sie kannte, besaß einen festen Job, erhielt geregeltes Einkommen einmal im Monat und konnte sich sogar im Sommer einen kleinen Urlaub leisten. Und während diese Personen am Strand in Los Angeles oder am See in den Rocky Mountains saßen, hatte Mary in ihrer kleinen Wohnung in Chicagos Sommerhitze gehockt, während ihre Klimaanlage den Geist aufgab. Erst vor ein paar Tagen hatte ihr Camille, eine enge Bekannte, ihr Bilder von Hawaii gesendet, wie sie dort stand, am Strand, im luftigen Sommerkleid, neben ihr ihr Verlobter, der sie mit so einem Blick ansah, wie jede Frau es sich wünschte von einem Mann angesehen zu werden. Mary hatte die Enttäuschung über ihr eigenes Leben runtergeschluckt, ihr nichtsdestotrotz einen schönen Urlaub gewünscht und das Handy zurück in die Hosentasche ihrer zwanzig Dollar Jeans gesteckt, die sie sich einen Tag zuvor erworben hatte, da sie bei ihren anderen Jeans nicht einmal mehr den Reißverschluss ganz zu bekommen hatte. Auch das empfand sie als beschämend. Aber auch das war etwas, das sie im Moment zu ignorieren hatte. In dem kleinen Cafe, in dem sie nun übergangsweise arbeiten musste, zischte die Kaffeemaschine, während eine Frau mittleren Alters sich von ihrer Kollegin über den besten Tee beraten ließ, den sie zurzeit anboten, und nachdem Corey ihr einen karamellisierten Birnen- oder Orangen-Ingwer-Tee empfohlen hatte, schüttelte die Frau den Kopf und entschied sich für einen simplen schwarzen Tee mit Milch. Vermutlich hatte Corey nicht den britischen Akzent und ihre Frage nach einem bestimmten schwarzen Tee verstanden. Manche Touristen ließen Mary manchmal nur den Kopf schütteln. Besonders in diesem Sommer waren sie von Touristen nahezu überrannt worden, die von dem lieblichen Aussehen des Cafes und dessen Auslage an Törtchen angelockt wurden, bei denen selbst Mary anfing zu sabbern. Und zu lügen, dass sie sich die übrig gebliebenen Gebäcke und Törtchen nicht gelegentlich für zu Hause einsteckte, konnte sie nicht – Vermutlich passten ihr deshalb sämtliche Hose nicht mehr. Aus diesem Grund würde sie nun ziemlich sicher auf diese süßen Sünden verzichten müssen.

Als die Frau mit ihrem Tee aus dem Laden verschwand, vermutlich kopfschüttelnd über den Tee, den sie von Corey bekommen hatte, beschwerte sich diese lautstark bei Mary und lehnte sich an die Wand neben der Theke.

„Ich habe sie gerade ganze fünf Minuten über die verfluchten Teesorten hier beraten, ihr sogar erklärt aus welchen Bestandteilen die Teebeutel bestehen, mit Grammangabe! Die meisten normalen Leute trinken hier morgens Kaffee und nicht Tee!"
Mary schmunzelte ihre Freundin amüsiert an und stellte den zubereiteten Espresso auf ein Tablett.
„Man kann es nicht allen Leuten recht machen. Wenn du willst übernehme ich demnächst deine Teeleute. Mein Vater trinkt morgens auch einen schwarzen Tee mit Milch, ob du glaubst oder nicht."
Corey runzelte verwirrt die Stirn.
„Du bist echt schlecht, wenn du jemanden aufheitern willst, weißt du das?"
„Jep, und genau deshalb solltest du jetzt dem alten Mann am Fenster diesen Espresso bringen."
Die blonde junge Frau stöhnte genervt auf.
„Glaub ja nicht, dass mich das beruhigt."
„Doch, ich finde alte Menschen sehr beruhigend. Frag Mister Hoyt doch mal nach seinen Katzen, ich bin sicher er erzählt dir gerne etwas Charlotte, Jojo und... Beverly und dass mindestens eine von ihnen wieder in seine Schuhe gekotzt hat. Guten Appetit.", antwortete Mary trillernd, nahm das Tablett und drückte es Corey in die Hände.
„Himmel, woher weißt du so einen Scheiß?"
„Das nennt man Kommunikation, Corey. Soll ich dir davon eine Scheibe abschneiden?"
„Gott, du gehst mir mit deiner guten Laune manchmal echt auf die Nerven.", murmelte diese und lief fluchend zu Mister Hoyt rüber, der wie immer in ordentlichen braunen Hosen und Hemd am Fenster saß, gedankenlos die Zeitung las und Corey erst bemerkte, als sie sich zu ihm runter beugte und ihm laut mitteilte, dass sein Espresso vor ihm auf dem Tisch stehe. Kichernd band sich Mary schließlich die Schürze um und ließ sie so locker, dass man ihre Gewichtszunahme nicht auf den ersten Blick sah. Für einen Moment lang erinnerte es sie an früher, wie sie im Diner ihrer Heimatstadt arbeitete und sich bei jeder Gelegenheit das zu enge und kurze T-Shirt richtete, weil es die deutliche Wölbung ihres Bauches zu sehr betonte. Nun konnte sie sich glücklicherweise unter der Schürze so kleiden wie es ihr lieb war und schüttelte in Gedanken den Kopf über ihren früheren Arbeitgeber, der sich hundertprozentig mit den engen T-Shirts an seinen Kellnerinnen nur aufgegeilt hatte. So hatte es ihr zumindest Izzie erzählt. Sie kam nicht um ein Schmunzeln umhin als die Glocke über der Tür läutete, sodass sie aufsah und ein sehr großer Mann das Cafe betrat, den Kopf einziehen musste, damit er sich nicht oben am Türrahmen den Kopf stieß. Mary beendete schnell die Schleife ihrer Schürzte, band sich die Haare zurück und lief zwischen den Tischen hindurch zu dem Mann, der sich an der rechten Fensterfront niedergelassen hatte und sie geradewegs anstarrte, als sie sich auf ihn zu bewegte. Unbewusst stellten sich ihre Nackenhaare auf, denn wie früher hasste sie es, wenn man ihr mit einem derartigen Blick begegnete, dass sie sich zwang nicht zu erröten. Denn der dunkelhaarige Mann war offensichtlich ein paar Jahre älter als sie, trug einen schwarzen Anzug und war von der Sorte Mann, bei der sie sonst den Blick senkte, wenn sie den Laden betraten und einen Kaffee bestellten. Einen schwarzen Kaffee, kein Zucker, keine Milch, nicht mal den geschenkten Keks, den sie auf die Untertasse gelegt hatte, aßen sie und zahlten ihr kein Trinkgeld. Nein, sie zahlten immer passend. Und schauten auf ihre teure Uhr am Handgelenk, wenn sie in der ersten Schicht am Morgen allein bediente und vor ihnen eine ganze Schlange stand, die sich eine Tasse Kaffee vor der Arbeit genehmigen wollte. Sie grüßten nicht, wünschten ihr nicht ebenfalls einen schönen Tag und stürmten wieder aus dem Laden raus. Aber gelernt wie mit ihnen umzugehen war, hatte Mary auch nicht. Auf irgendeine Weise ließen sie sie sich unwohl fühlen, denn sie besaßen Geld, davon reichlich, schauten nur schlanke, schöne Frauen interessiert an, mit langen Beinen und lieblichen, schmalen Gesichtern und waren in den meisten Fällen attraktiv, mit einem Dreitagebart, sodass sie aufpassen musste sie nicht anzustarren. Diese Männer ließen sie sich so klein, jung und arm fühlen. Denn sie besaßen all das, was Mary sich wünschte, aber es lag nicht mal in ferner Zukunft, dass sie das je einmal haben würde. Männer in Anzügen besaßen Macht. Und sie war nur eine naive junge Frau, die es für diese Männer nicht einmal wert war, ihr auch nur einen guten Morgen zu wünschen.

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