Kapitel 5

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"Mensch, Manu! Dass ich dich mal wieder sehe... Hier, ich hab dir einen Kaffee mitgebracht." Manuel ließ sich von seiner besten Freundin umarmen, bevor er neben sie auf die Bank unter dem Pavillon sank.

Der Kaffee war für seinen Geschmack etwas zu schwach, doch er sagte nichts, weil er wusste, dass Anika sich Mühe gegeben hatte.

"Wie waren die letzten Tage?" Manuel versuchte zu überlegen, wie viele Tage sie sich nicht auf der Arbeit getroffen hatten, doch in seinem Kopf verschwamm alles zu einem Brei. Deswegen gab er es auf, nahm nur noch einen Schluck.

"Gut. Und bei dir?" Anika tätschelte ihm die Schulter. "Bei mir war alles in Ordnung. Ich habe gehört, Pia hat mit einem von der Zeitarbeit geflirtet?" Manuel begann zu lachen, obwohl er wusste, dass Anika ein kleines bisschen eifersüchtig war. "Das stimmt so nicht ganz, sie haben sich nur gut unterhalten. Er heißt Assad und ist wirklich nett. Weißt du, wenn du Pia einfach mal fragen würdest, ob sie mit dir auf ein Date geht, dann müsstest du auch keine Angst haben, dass dir jemand zuvorkommt."

Seine beste Freundin schürzte die Lippen und schwieg. Manuel gab nach einigen Momenten des stummen Wartens auf, das war ein Thema für sich. "Naja, ist ja egal. Aber in meinem Leben ist tatsächlich doch etwas passiert. Drei Mal darfst du raten."

Anika sah ihn neugierig aus ihren braunen Augen an und runzelte die Stirn. "Sag schon." Drängte sie ungeduldig. Manuel imitierte auf dem Tisch einen kleinen Trommelwirbel. "Patrick ist wieder da."

Anika blieb ganz still, bevor sie Manuels Arm packte und fest drückte. "Der Patrick?" Manuel lachte und nickte. "Was macht er hier?"

Das war schwierig zu erklären. Manuel wollte nicht einfach so ausplaudern, dass Patrick seinen Job und seine Wohnung verloren hatte. Deswegen blieb er bei dem, was Patrick ihm zuerst gesagt hatte.

"Er besucht einfach mal wieder die Heimat. Hat meine Mutter beim Einkaufen getroffen und sie nach meiner Adresse gefragt. Aktuell ist er seit ein paar Tagen bei mir und es ist wirklich der Hammer."

Anika zog kritisch die Augenbrauen hoch und Manuel sprach schnell weiter. "Ich bekomm jeden Morgen frischen Kaffee ans Bett gebracht und wenn ich abends nach Hause komme, hat er frisch gekocht und massiert mit die Beine und den Rücken." Anika lachte auf. "Sag ihm, er kann bei mir weitermachen. Ich könnte das auch gebrauchen."

Manuel sagte nicht, dass er Patrick, der sein Herz immer noch zum Stolpern brachte, ganz sicher nicht gehen lassen würde.

~

An diesem Abend roch es im Treppenhaus nicht nach etwas zu Essen und Manuel hörte das Radio nicht, als er vor seiner Tür stand.

Kurz fragte er sich, ob Patrick wohl jetzt wirklich gegangen war, immerhin hatten sie nie geklärt, wie lange er bleiben wollte, doch als er die Tür aufschloss, wurde er vom Gegenteil überzeugt.

"Manu." Patrick begrüßte ihn offensichtlich freudig. Manuel wusste, dass er eigentlich nicht sauer sein sollte, dass der andere nicht gekocht hatte, weil das eben keine Selbstverständlichkeit war, doch er hatte sich schon auf etwas warmes zu Essen gefreut.

"Hey." Manuel versuchte sich an einem Lächeln, während sich sein Magen verkrampfte. Während er seinen Rucksack abstellte, hielt er sich die Nase zu.

Erst nach ein paar Momenten realisierte er, warum ihm so übel war. Es roch nach Alkohol. Patrick musste die Flaschen gefunden haben, die Manuel Jahr für Jahr zu Weihnachten bekam und ungeöffnet in einem Schrank lagerte, bis er sie weiter verschenken konnte.

Das war ja prinzipiell nichts schlimmes, Manuel hatte kein Problem damit, dass Patrick sich einen Drink genehmigt hatte. Aber dass es in seiner Wohnung so sehr nach Alkohol roch, dass ihm schlecht wurde, das fand er nicht gut.

"Sei so gut und mach die Fenster auf." Bat er und schob Patrick von sich, der ihn offenbar zur Begrüßung umarmen wollten. Patrick nickte brav und drehte sich um, um in die Küche zu gehen. Er schwankte dabei leicht.

Manuel biss sich auf die Unterlippe und überlegte, wie viel er wohl getrunken hatte.

Er ging rüber ins Wohnzimmer, der Fernseher war auch noch nicht an. Aber es stand eine Flasche Wein auf dem Tisch. Sie war fast leer, ein Glas gab es nicht. Manuel presste die Lippen zusammen, bevor er die Flasche nahm und trug sie ins Bad, wo er zuerst das Fenster aufmachte und dann den Rest in den Abfluss kippte.

"Manu?" Jetzt fiel ihm auch auf, dass Patrick lallte. "Komme gleich." Rief er zurück und versteckte die leere Flasche hinter dem Klo.

Manuel sah kurz in den Spiegel und atmete tief durch. Es war nicht schlimm, dass Patrick getrunken hatte. Er konnte nicht wissen, dass Manuel davon übel wurde und es war auch in Ordnung, dass Patrick dabei etwas über die Stränge geschlagen hatte. Sie waren erwachsen, so etwas war normal.

Er setzte ein Lächeln auf und strich sich das Shirt glatt. Er würde jetzt was aus der Gefriertruhe auftauen und dann würden sie es sich auf dem Sofa bequem machen.

"Manu?" Patrick rief erneut nach ihm. Er klang ein bisschen gereizt, deswegen beeilte Manuel sich zu ihm zu kommen.

Patrick klang nicht nur gereizt, er sah auch sauer aus, wie er da stand und auf die Stelle starrte, wo eben noch die Flasche gestanden hatte.

Manuel trat zu ihm und griff seine Hand. "Setz dich." Sagte er freundlich, aber bestimmt und schob Patrick Richtung Couch. "Ich mach uns was zu Essen." Patrick setzte sich brav auf das Sofa und lehnte sich an die Lehne.

"Wo ist der Wein?" Fragte er lauter als nötig, während Manuel seine Hand wieder los ließ. "Du hast für heute genug getrunken." Erklärte Manuel sanft und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter.

"Wo ist der Wein?" Fragte Patrick erneut und griff Manuels Handgelenk. Manuel schluckte und machte einen Schritt zurück. Der Griff verstärkte sich.

"Lass mich bitte los." bat er statt einer Antwort, doch Patricks Griff verstärkte sich nur. Manuel kannte das von dementen Bewohnern im Altenheim, die ihre Kraft nicht mehr kontrollieren konnten, oder so hilflos waren, dass sie aggressiv wurden. Er kannte das aber nicht von dem Mann, den er mal seinen besten Freund genannt hatte.

"Komm schon, Patrick, lass mich los. Ich bring dir was zu essen." Früher war Patrick nie blöd geworden, wenn er getrunken hatte. Manuel kannte das nicht von ihm.

"Wo ist der Wein?" Manuel griff Patricks Finger und versuchte sie von seinem Arm zu lösen. Erfolglos. "Patrick, bitte." Keine Reaktion. Nur der Griff wurde noch fester, Patricks Finger gruben sich tiefer in Manuels Fleisch. Er war dem anderen unterlegen, das wusste er. Und obwohl es eigentlich keinen Grund dazu geben sollte, machte ihm das Angst.

"Patrick, du tust mir weh! Jetzt lass mich los!" Fast schon hektisch versuchte er sich zu befreien, doch das wurde nichts. "Patrick!" Keine Antwort.

"Okay, okay!" Versuchte Manuel zu beschwichtigen. "Ist schon in Ordnung, ich hol den Wein wieder, okay? Du musst mich dafür loslassen, ich geh ihn holen."

Es brauchte ein bisschen, dann lockerte Patrick seinen Griff ein bisschen. Manuel fackelte nicht lange, sondern zerrte sofort seine Hand aus Patricks Griff und floh. Nicht ins Bad, sondern in sein Schlafzimmer. Hastig knallte er die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss.

Erst als er sich auf sein Bett setzte, begriff er so richtig, was da gerade passiert war und was hätte passieren können. Und während er da so saß, stiegen ihm die Tränen in die Augen.

Broken Bottles ~ Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt