Prolog

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PROLOG

Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft in ein tiefes Rot, die Vögel sangen ihren Jungen die letzten Lieder und auch die junge Frau verstand und schloss die metallene Tür des Palastes. Sie strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Tiefe Schatten, die unter ihren Augen saßen, zeugten von der Müdigkeit der Frau, wenngleich die grünen Augen strahlten, wie die Sonne an einem Sommertag. Sie seufze. Es war ein anstrengender Tag für die junge Frau gewesen, der ihr ihre gesamte Energie geraubt hatte, doch so sehr sie sich auch nach einer Auszeit sehnte, wollte sie dem Präsidenten dennoch nicht kündigen. Zu große Angst hatte sie mit ihrem Leben bezahlen zu müssen.

»Melanie? «, hallte es durch den Korridor. Melanie zuckte zusammen und griff reflexartig nach der Schusswaffe an ihrer Hüfte.

»Ich bin es. Tristan.« Sie hielt den Atem an und presste ihren Körper gegen die kalte, metallene Wand. Auch wenn sie die Stimme ihres Bruders kannte, konnte sie dem Mann nicht trauen. Zu oft schon hatte sie Grauenvolles erlebt. Melanie verstärkte den Griff um die Waffe, die schwer in ihrer Hand lag, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Der Klang der schweren Schritte des Mannes wurde von den Wänden zurückgeworfen. Plötzlich bog jemand um die Ecke und Melanie richtete die Schusswaffe reflexartig auf den Fremden. Ihr Blick glitt über sein Gesicht. Er trug einen weißen Paradehelm, dessen Schatten sich über das Gesicht des jungen Mannes legte, und eine gleichfarbige Uniform, von der sie wusste, dass sie aus einem speziellen, kugelfesten Stoff gefertigt war. Schwarze Strähnen hingen ihm widerspenstig in das Gesicht, während eisblaue Augen die junge Frau bestürzt musterten. Auf Anhieb erkannte sie ihren Bruder, ließ die Waffe fallen und fiel ihm in die Arme. Sie konnte einfach nicht glauben ihn noch einmal lebendig sehen zu dürfen, bevor er sein neues Leben als Soldat des Präsidenten antrat.

»Ich liebe dich, Tristan. «, waren die einzigen Worte, die ihr über die Lippen kamen, bevor sie anfing bitterlich zu weinen. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen und perlten an der weißen Uniform des Bruders ab. Starke Arme schlangen sich um ihren bebenden Körper und versuchten die junge Frau enger an ihren Bruder zu drücken.

»Ich dich doch auch. Aber du darfst nicht weinen. Du weißt, dass ich dir versprochen habe für immer bei dir zu bleiben, oder? « Es war ein kläglicher Versuch den Tränenfluss zu stoppen, das wusste sie, doch der letzte Satz, der Tristans Mund verließ, veranlasste sie dazu nachzudenken. Sie konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als er ihr versprochen hatte, nie zu gehen, sondern immer bei ihr zu bleiben. Damals war sie vier Jahre alt gewesen. Sie hatten das bereits veraltete und vergessene Spiel „Verstecken" gespielt und sie hatte Tristan, nachdem sie zwei Mal bis zwanzig gezählt hatte, suchen müssen. Der Wald war sein liebstes Versteck gewesen, weshalb sie dort hineingelaufen war und angefangen hatte zu suchen. Es war bereits dunkel geworden, als Melanie begriff, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Sie war inmitten einer Lichtung gestanden und hatte geschrien. Niemand schien sie gehört zu haben. Ihr war kalt gewesen und die Angst hatte begonnen nach Macht zu streben. So war sie dort gestanden und war schließlich in sich zusammengesunken. Sie hatte geweint. Doch bereits wenig später hatte der Schlaf die Oberhand gewonnen. Irgendwann war sie aufgewacht. Sie hatte anfangs geglaubt sie hatte geträumt, jemand hätte ihren Namen gerufen, doch als ihr Bruder vor ihr aufgetaucht war, war sie vor Freude aufgesprungen und ihm in die Arme gefallen. Tränen waren ihr über die Wangen gelaufen, während sie gelacht hatte.

»Warum hast du mich alleine gelassen? «, hatte sie, von ihren Gefühlen gelenkt, geschrien. Tristans blaue Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, während er ihre mit dem Handrücken wegwischte.

»Hör mal, kleine Melanie: Ich werde dich nie verlassen und immer bei dir bleiben, das verspreche ich dir! «, hatte Tristan unter Tränen gemurmelt und sie enger an sich gedrückt.

Verity - Wenn ein Freund zum Feind wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt