You don't really know me

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Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat ich das Schulgebäude. Ich hatte bereits den ganzen Morgen diese Bauchschmerzen. Meine Mutter meinte, dass ich vermutlich Krank werden würde und wollte mich zuhause lassen. Ich hatte mich rausgeredet und gesagt, dass es nicht so schlimm sei. Ich durfte nicht noch mehr Tage fehlen. Was meine Mutter nicht wusste, war dass ich in den letzten Wochen schon einige Tage geschwänzt hatte. Ich konnte in mir einfach nicht mehr die Kraft aufbringen, um den Menschen, die ich dort Tagtäglich begegnete, unter die Augen zu treten. Nun standen allerdings bald die Prüfungen an, und ich konnte es mir einfach nicht erlauben noch mehr Unterrichtsstoff zu verpassen. Mein Vater meine zu meinen angeblichen Schmerzen nur, dass es daran lag dass ich zu wenig as. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass mein Vater glaubt ich sei Magersüchtig. Ich war klein, der kleinste aus der Klasse, und auch relativ schmächtig, aber definitiv nicht Magersüchtig. Dennoch gab er jedes Mal eine schnippige Bemerkung ab, wenn ich mal Essen ablehnte oder nur meinen Teller beiseiteschob weil ich satt war. Schon als kleines Kind hatte er mir mit Zwangsernährung oder ähnlichem gedroht. Damals war ich noch zu jung, um zu verstehen was das war. Heute weiß ich es.

Mit schweren und langsamen Schritten ging ich die ellenlange Treppe zu unserem Klassenraum, der sich im obersten Stockwerk befand, hinauf. Als ich endlich vor der Tür ankam war ich komplett außer Atem. Ich war nicht der sportlichste, dass war mir schon immer bewusst, aber wenn ich nicht einmal eine Treppe bezwingen konnte, was war ich dann? Ein Lappen! Ich bewundere Ju und Ardy die beide zusammen schon seit Ewigkeiten Breakdance machten. Man sah es ihnen nicht direkt an, aber sie hatten sich schon richtige Muskeln antrainiert. Oder Chris, der Basketball spielt. Ich war zu klein für Basketball aber ich hätte liebend gerne eine andere Sportart betrieben. Ich hasste meinen Vater dafür, dass er mich nicht als Kind in einem Fußballverein oder so angemeldet hatte. Heute ist es zu spät dafür, denn ich denke nicht, dass es Anfängerkurse für sechzehn Jährige gibt.

Ich drückte die Klinke der roten Tür herunter und betrat das Klassenzimmer. Ich war wie immer genau Pünktlich. Meine Lehrerin war zwar bereits da, hatte aber noch nicht mit dem Unterricht begonnen. Dementsprechend laut war es in der Klasse. Obwohl es keinen Unterschied vom Lärmpegel her machte ob nun ein Lehrer vorne an der Tafel stand oder nicht.

Ich bahnte mir meinen Weg zwischen meinen Klassenkameraden hindurch bis zu meinem Platz ganz hinten am Fenster. Die andere Seite des Tisches war noch frei, was mich stutzig machte. Dort saß sonst mein bester Freund Simon. Ich lies mich auf meinem Stuhl nieder und tippte Patrick auf die Schulter. Er war der Nachbar von Simon und fuhr mit ihm fast jeden Morgen mit dem Skatebord zur Schule. Noch eine Sportart die ich nicht beherrschte.
Ab und zu wenn ich nach der Schule noch was mit Simon machte, ging er mit uns. Er war ganz nett, aber mehr hatten wir nicht miteinander zu tun.
»Weißt du wo Simon ist?«, fragte ich ihn als er sich zu mir umgedreht hatte. »Ja, seine Mum meinte, dass er krank sei und zuhause chillt.«, antwortete er und drehte sich wieder nach vorne.
Scheiße. Simon war nicht nur mein bester Freund, er war mein einziger. Man könnte sagen dass ich ein Außenseiter war. Und dass alles lag einzig und alleine an...
»So Leute, können wir dann mal endlich mit dem Unterricht beginnen?«, riss mich meine Lehrerin aus meinen Gedanken. Ich öffnete die Faust, die ich unbewusst geballt hatte. Ich zog mein Matheheft aus meinem Rucksack und machte mich daran halbherzig dem Unterricht zu folgen und irgendwelche Formeln, die ich eh nicht verstand, in mein Heft zu kritzeln.

Nach zwanzig Minuten elender Langeweile schwang die Tür mit einem lauten Knall auf und er trat herein. Mit 'er' war Felix von der Laden gemeint. Oder besser gesagt, der Grund weshalb ich der Außenseiter der Klasse war. Sein Spezialgebiet lag darin mich mit seinem Gefolge als Homosexuell zu beschimpfen, und mir täglich andere Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Ich hasste ihn.
Unsere Lehrerin sah ihn sauer an:»Heer von der Laden, was ist denn ihre heutige Ausrede für ihre Verspätung?« Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah sie mit einem Blick an, der schon manches Mädchen aus unserer Klasse schwach werden ließ. Ich hasste ihn.
»Wissen sie Natasha...«, fing er an. »Auf meinem Weg hier her sind mir schon einige grandiose Ideen gekommen, aber dann dachte ich mir: Warum die Mühe machen, wenn ich nicht einfach ehrlich sagen kann, dass ich keine Lust hatte.« Frau Bergmann schüttelte nur den Kopf, während Felix sich auf den Weg zu seinen Platz machte, und sagte noch: »Das ist das letzte Mal. Ansonsten Informiere ich deine Eltern.« Diesen Satz sagte sie nun schon zum tausendsten Mal. Felix hob nur entschuldigend die Hand. Er wusste genauso wie ich, dass sie es eh nicht machen wird, und er weiter täglich das tun konnte was er wollte. Ich hasste diesen Kerl.

You don't really know me | Dizzi OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt