Der Berg

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Schon im Morgengrauen war sie aufgestanden. Mittlerweile waren die Ziegen versorgt und Solène befand sich auf dem Rückweg. Sie zog ihre Mütze tiefer ins Gesicht und lief durch den Regen. Dieser hatte sich wie einen Schleier über die Berge gelegt und lies alles grau erscheinen. Er hatte nun auch ihre Jacke durchdrungen. Ihre Füße schwammen jetzt in ihren Schuhen und platschten bei jedem Schritt. Hinter der Kurve tauchte schon ihr Haus auf und sie begann zu rennen. Schnell schlüpfte sie durch die Tür und kam in die warme Küche.

"Na, nass geworden?", fragte ihre Mutter mitfühlend. "Häng deine Sachen über den Ofen und nimm dir einen warmen Tee zum Frühstück."

Dankbar nahm Solène es an. Sie sah wie ihre Mutter in dem riesigen Topf rührte. Er enthielt Milch, Ziegenmilch. Ihre Familie stellte schon seit ewigen Zeiten verschiedensten Käse her, der Anblick des großen Kessels war ihr vertraut. Verträumt guckte sie in das Feuer, über dem der Kessel hing. Die Flammen bewegten sich züngelnd. Flackerten auf, wurden wieder kleiner. Blau, rot, orange bis gelb prasselten sie im Ofen. Solène nahm einen Holzscheit und legt ihn dazu, ihre Mutter bedachte sie mit einem dankbaren Lächeln. Es herrschte eine Stille im Raum, die keinesweges unangehm war. Zwischen Solène und ihrer Mutter herrschte immer ein stilles Einverständnis, meist brauchten sie nicht viele Worte um sich zu verstehen. Anderes galt für ihren Vater und ihre Geschwister, zwei Schwestern und zwei Brüder. Sie waren sowohl älter als auch jünger, als Solène selbst. Meist waren sie lauter, Solène dagegen der Ruhepol der Familie.

So in Gedanken versunken, aß sie ihr Frühstück auf und räumte das Geschirr weg.

"Ich gehe Holz hacken", meinte sie und verließ wieder den wohlig warmen Wohnraum, um ein weiteres Mal raus in die Kälte zu gehen.

Draußen empfing sie der Nebel und zog sie in seine kühle Umarmung. Beim Holzhacken beobachtet sie, wie er über die Felder waberte, sich mit den Wolken vermischte und zwischen den Bergen hing.Tief sog sie die Luft dieser idyllischen Landschaft ein.

Dies hier war ihr Abschied. Für ein langes Jahr würde sie nun nicht mehr hier sehen und dieses Aussicht haben. Stattdessen würde sie bitte in der Stadt leben. Statt in der kleinen Almhütte in einem riesigen Gebäude mit ewig langen, großen Schlafsälen. Statt einem Leben im Rhythmus der Natur, würde sie dann ein streng getakteten Alltag haben. Statt der Freiheit der Natur die Enge des Internatsleben.

Obwohl sie wusste, was diese große Chance für sie bedeutete, fiel ihr trotzdem schon allein die Vorstellung schwer, all dies hier zu verlassenen gegen dieses neue Leben einzutauschen. Sie würde ihre Familie vermissen und das ganze restliche Dorf, die Tiere und die Weite der Berge.

Ein letztes Mal sah sie sich um, dann ging sie zurück in die Hütte.



Nervös packte sie ihren Koffer. "Lène, wann fährst du?", fragte ihre kleine Schwester Olymp, mit traurigem Blick. Mit ihren acht Jahren konnte sie sich am wenigsten damit abfinden. Schon die ganzen letzten Wochen war sie ihr kaum noch von der Seite gewichen. Sie jetzt zu verlassen schmerzte Solène am Meisten.

"In einer Stunde", antwortete sie Olympe. "Aber wenn du möchtest, kannst du mir noch beim Packen helfen."
Ihre grünen Augen leuchteten auf und ihre zwei braunen Zöpfe hüpften auf und ab, als sie fröhlich zu Solène hinüber lief. Sie sah aus wie eine Mini-Solène, sagte ihr Bruder Frèderic immer. Mit seinen blauen Augen und eher blonden Haaren glaubte ihm allerdings auch meist niemand, dass sie Geschwister waren. Olympe und Solène dagegen ähnelten sich stark.

Ab morgen würde Mini-Solène nun alleine sein. Ob das klappen würde?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 27, 2016 ⏰

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