Die Geographiestunde zog sich in die Länge, wie ein Kaugummi. Aber irgendwann wurde ich gerettet, durch das Reißen des Kaugummis. Besser gesagt durch das Läuten der Schulglocke, die das Ende der qualvollen Unterrichtseinheit kennzeichnete. Unser Lehrer neigte dazu, die Stunde noch bis ans Äußerste zu überziehen, aber diesmal war er gnädig, und ließ uns nach laschen 2 Minuten mehr Unterricht als vorgegebenen aus dem Zimmer. Das war für seine Verhältnisse ein neuer Rekord. Wir packten alle ein. Es wurde gelacht, gejohlt, gesungen und auch geschrien, denn es war zweifellos ein historisches Ereignis. Wir sattelten unsere Schulranzen auf, und verließen den Raum, was wie so oft nicht möglich war, ohne einem großen Gerangel zu entgehen, welches sich an der Tür des Klassenzimmers stattfand, da immer gleich mehrere Leute gleichzeitig durch die Tür wollten, und sich darum alle zusammen durch den Rahmen quetschten, wie ein Schmetterling aus seinem Kokon. Ich wollte noch eben aufs Klo, weil ich spürte, dass ich mir sonst im Bus nach Hause in die Hose pinkeln würde, und dieses peinliche Geschehnis wollte ich natürlich vermeiden. Ich verrichte mein Geschäft, und ging zum Waschbecken, um mir die Hände zu Waschen, dabei blickte ich in den Spiegel. Ich starrte auf das verschmierte Glas, und sah mein Gesicht zwischen Wassertropfen hervorscheinen. Normal ist es ja nichts besonderes sich selbst zu sehen, allerdings hatte ich ein seltsames Gefühl. Ich hatte das Gefühl eine fremde Person anzublicken. Ich hatte das manchmal, aber es war jedes Mal eine verwirrende Angelegenheit. Ich neigte den Kopf, und die Person im Spiegel tat es auch. Ich wusste dass die Person auf dem reflektierenden Glas ich war, doch ich konnte es nicht glauben. Das Wissen, dass die Erscheinung im Spiegel meine Wenigkeit war, deren Äußeres mir entgegen blickte, irritierte mich. Ich sah mich wie durch fremde Augen. Und das fühlte sich so an, als würde ich nicht mehr leben, sondern nur noch ein Spiegelbild dessen war, was ich Realität nannte. Eine leblose, nichts sagende Gestalt in einer Welt voller solcher Gestalten. Ich war nichts besonderes, das realisierte ich, als ich mich so sah, wie andere mich sehen. Und es gefiel mir nicht, weil ich meine eigenen Gefühle nicht mehr spürte, sondern sie nur an dem Ausdruck des spiegelnden Gesichts erahnen konnte. Ich musste mich abwenden, ansonsten wäre ich verzweifelt. Benommen wankte ich aus der Toilette mit dem unwohlen Gefühl, als ob ein Teil meiner Seele diese Welt verlassen hätte, und in die Welt jenseits des Spiegelglases übergegangen war. Nein! Dachte ich. In mir bahnte sich eine Ahnung, eine Befürchtung an, die grotesken Formen annahm, und zu einem undefinierbaren Schrecken mutierte. Der Gedanke war leichtsinnig und dubios, aber er war real. Diesmal war ich mir sicher, dass es real war. Das war nur der Anfang. Nein! Dachte ich wieder, aber ich wusste es und ich konnte es nicht ändern. Das war nur der Anfang... ein Anfang... ein Anfang...
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Verloren in der Unendlichkeit
ParanormalEine Geschichte über die unbedeutende Existenz der Menschheit, eine Geschichte über Verzweiflung und die Geheimnisse, die die Unendlichkeit birgt. Eine Geschichte über die Frage der Realität, und nicht zuletzt ein Text, der einen Blick in die Abgrün...