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Der Besuch hat mich doch irgendwie mehr mitgenommen, als ich dachte. So stark meine Sehnsucht nach Jason auch ist, so falsch fühlt es sich zugleich an. Ich versuche, mich abzulenken, setze Bewerbungsschreiben auf, richte die Wohnung ein, die eigentlich ihm gehört. Doch irgendwann schaffe ich es einfach nicht mehr und setze mich nach ein paar Wochen Abends nur in Unterhose und eines seiner Tshirts gekleidet auf das frisch bezogene Bett. Statt auf schönem Briefpapier schreibe ich weiterhin nur mit einem Kulli auf einem Collegeblock.

Jason,
Beim nächsten mal werden wir Zeit für uns haben. Ich werde wieder kommen. Eine Weile war ich mir nicht sicher. Ich hatte gehofft, ich könne es damit vielleicht abschließen.
Weißt du, woher der Begriff Stockholm-Syndrom kommt? Inzwischen habe ich mich schlau gemacht, gegoogelt. Bei einer Geiselnahme in Schweden, allerdings nicht in Stockholm, entwickelten die Geiseln positive Gefühle für ihre Geiselnehmer und besuchten sie anschließend im Gefängnis. Ich musste fast lachen, als ich das gelesen habe. So absurd ich mich auch verhalte, ich bin nicht die Einzige.
Immerhin weiß ich bei dir, dass du mich nicht für diese Gefühle verurteilst. Ich kann niemand anderem davon erzählen. Wenn es nach meinem Vater ginge, könnte für euch die Todesstrafe wieder eingeführt werden. Ich entfremde mich immer mehr von ihnen.
Ich vermisse dich,
Carrie

Gefesselt und Geschrieben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt