Ne Party, ne bipolare Störung und Zigaretten

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Anton

Unsanft werde ich aus meinem eigentlich ganz schönen Traum, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, geweckt, denn Hugo schlägt mir kontinuierlich ins Gesicht, bis ich ein Lebenszeichen in Form eines Murrens von mir gebe und er von mir ablässt. Widerwillig öffne ich meine brennenden Augen, es dauert eine Weile, bis ich scharf sehe und erkenne, dass Marie und Leonie sich ähnlich widerwillig aus ihren Träumen ziehen lassen. Ich sehe mich um, Dianna wird gerade genauso unsanft geweckt wie wir, nur lässt sie das Murren aus. Auf dem Tisch und Boden verteilt liegen umgefallene Flaschen, ein Glas ist in tausend Scherben gebrochen auf dem Boden verteilt, Konfetti umgibt mich und die anderen und fällt Leonie aus dem Haar, als sie aufsteht und mit ihrer Hand über ihre Stirn fährt. Das Sonnenlicht blendet mich, ich kneife meine Augen zusammen und starre den Rest an, Leonie und Hugo sind die einzigen, die bereits stehen, Dianna liegt zusammengesackt und offensichtlich noch nicht so ganz ausgenüchtert an der Wand. In meinem Augenwinkel sehe ich Marie, die kämpferisch, aber gleichzeitig sehr jämmerlich versucht, an eine Wasserflasche zu kommen, ohne aufzustehen.
„Na Hoppi, raus aus den Federn." Ruft Hugo erstaunlich motiviert, ich seufze und setze mich auf.

„Was. Zum. Fick. Ist hier passiert?" fragt Marie, die wohl doch nicht an die Flasche gekommen ist. Es herrscht Stille, dann spreche ich, versuche es zumindest, vorher muss ich mich räuspern, um meine Stimmbänder wieder zu beleben.
„Wir haben uns besoffen." Erkläre ich das Offensichtliche und stehe dann doch von meinem Sofa auf, auf welchem sich Flecken abzeichnen, die ich nicht interpretieren will.
Wir alle kommen wohl irgendwie in Bewegung, wie ein verstörtes Rudel, folgt mir der Rest auf den Balkon, als sie realisieren, dass ich mir ne Kippe anzünden will.

Eine Weile stehen wir so, etwas eingeengt auf meinem kleinen Balkon, starren auf den Plattenbau und denken uns, dass es hier, im hässlichsten Teil der Stadt doch eigentlich am schönsten ist.
Zumindest denke ich das.

Marie bricht die Stille mit einem „Wieso raucht ihr eigentlich?", während sie gerade ihren Rauch ausatmet und dann husten muss, weil es unangenehm ist mit Rauch in der Lunge zu sprechen. Vor erst herrscht Stille, glaube ich, kann auch sein, dass meine Ohren den Zugriff auf mein Gehirn verloren haben und ich Geräusche im Moment einfach nicht wahrnehme, weil die Stimme in meinem Kopf immer lauter und immer miserabler und abartiger zu mir selbst wird.

„Keine Ahnung. Wieso raucht irgendwer? Ich glaub, man fängt einfach irgendwie an, sagt sich dann ein bis zwei Jahre, dass man ja gar nicht so viel raucht und jederzeit aufhören könnte und dann, irgendwann, ist man Kettenraucher." Erklärt Leonie, während sie ihre Zigarette über den Rand meines Balkons auf den Bolzplatz unter meinem Haus wirft. Hugo stimmt ein, Dianna nickt, Marie sagt, dass es bei ihr wohl ähnlich war, die Stimme in meinem Kopf verstummt.

„Meine allererste Zigarette hab ich mit sieben geraucht, ich habe sie von meinem Vater gestohlen, er hat mich erwischt und hat mich dann bestraft, indem ich sie zu Ende rauchen musste. Dann gab es eine Pause, bis ich im Kinderheim war, da hab ich mit elf dann mit den coolen Kids immer mal wieder geraucht." Das „coole Kids" setze ich mit meinen Fingern in Anführungsstrichen, bevor ich weiterspreche, die verstörten Gesichter den Menschen mir gegenüber nicht bemerkend. „Dann kam die Jugendwohngruppe, da hab ich mit vierzehn angefangen, weil ich gemerkt habe, dass das Rauchen mich von dem Selbsthass, resultierend aus meiner bipolaren Störung beruhigt und mich so weniger aggressiv macht. Ich denke, das ist der Grund, wieso ich rauche."
Ich ziehe meinen letzten Zug von der Zigarette und bemerke erst die Blicke die auf mir liegen, als ich aufhöre, auf den Plattenbau zu starren, um nachzusehen, ob die Gruppe noch bei mir ist. Es herrscht Stille. Stille, die meine innere Stimme wieder zum schreien bringt.

Du dumme Nuss, du dumme verschissene Nuss, wieso erzählst du denen das? Das interessiert die doch nicht, du kennst die alle gar nicht, denkst du, die wollen wissen, wie miserabel dein Leben ist? Halt die Schnauze, geh dich einfach umbringen, du bist eh wertlos und scheiße und dämlich und dumm und niemand wird dich jemals-

Die Stimme hält ihr Maul, als Hugo das Sprechen anfängt.
„Hey, tut mir leid, dass du das durchmachen musstest." Er kratzt sich hinterm Ohr. „Und ich sag sowas nicht oft und ich bin auch eigentlich gar nicht sensibel oder so, aber es tut mir leid, dass ich so ein Arsch war und du bist echt ganz schön stark." Er klingt unsicher, aber es fühlt sich nicht wie eine Lüge an. Der Rest der Gruppe nickt, bleibt aber stumm. Ich fühle mich zum ersten Mal seit 17 Jahren frei.

Und ab dem Zeitpunkt war Anton nicht mehr aggressiv. Zumindest nicht für die Wirs. Anton war- Anton. Ein Typ, der Partys mit nur fünf Menschen lustig macht, jemand, der allesamt bei sich pennen lässt, jemand, der es nicht verdient hatte, jemals so behandelt zu werden, wie er behandelt wurde.
Anton war nicht aggressiv. Anton war Anton.

Und das hätte nie passieren dürfen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 06, 2023 ⏰

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