Montagabend fand die erste Veranstaltung statt. Der Große Saal war bereits eine halbe Stunde vor Beginn reichlich gefüllt. Ich saß neben Rue in einer der ersten Reihen. Während sie völlig entspannt von ihren Ferien erzählte, fühlte ich mich, als säße ich auf heißen Kohlen. Heute würden wir erfahren, ob es mehr neue Dozenten oder neue Programme gab. In einem Versuch mich abzulenken, betrachtete ich die hohe Decke des Saals. Über uns befand sich eine Loge, die für die Professoren oder Ehrengäste gedacht war, wenn es mal wieder eine Aufführung hier gab. Neben des Studiums konnte man sich für freiwillige Kurse wie beispielsweise Schauspiel, das Orchester oder Runen eintragen. So konnte man zusätzliche Punkte sammeln, die einem halfen, falls man mal eine Prüfung nicht bestanden hatte. Außerdem sorgten die Vorstellungen für zusätzliche Einnahmen, die der Akademie erlaubten, Kleinigkeiten zu verbessern. Dazu gehörten beispielsweise der Menüplan des Speisesaals oder auch die Bereitstellung von Ausrüstungsgegenständen für Studenten, die es sich nicht immer leisten konnten. Morgen konnte man sich für die Kurse im kommenden Semester eintragen.
Allmählich kehrte etwas Ruhe ein. Die Lichter im Saal verdunkelten sich, sodass der Fokus bald auf der Bühne lag. Nacheinander kamen die Mitglieder des Rates nach vorne, bis sie alle nebeneinander standen. Soweit ich es erkennen konnte, hatte sich keiner von ihnen großartig verändert. Mein Herz klopfte ein wenig schneller, als ich Professor Caelums Blick begegnete. Sofort starrte ich Vanya an, deren gelocktes Haar zur Feier des Tages mit pastellfarbenen Blüten geschmückt war. Sie schien sehr glücklich zu sein, lächelte in den Saal hinein und war dann auch die erste, die nach vorne trat. "Herzlich Willkommen zurück in der Akademie!", sagte sie und breitete ihre Arme aus, so als wolle sie jeden einzelnen von uns umarmen. "Ich hoffe, dass das kommende Jahr genauso aufregend wird, wie das letzte. Wir, also der Rat und ich, haben ein paar großartige Ankündigungen für Euch. Zum einen können wir mit Stolz verkünden, dass wir es endlich geschafft haben für unsere angehenden Druiden die Arbeit mit Tieren zu ermöglichen!" Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Ihr puscheliges Schwänzchen wedelte dabei wild hin und her. Ich vergaß immer wieder, dass sie in Wahrheit schon ziemlich alt war. Sie benahm sich teilweise wie ein junger Teenager. Im Saal brach derweil angeregtes Tuscheln aus. "Das bedeutet, dass wir im Sommer ein paar Tiere bekommen haben, mit denen wir dann arbeiten und lernen können. Welche Tiere das sind, das erfahren dann einerseits meine Druiden in ihrer ersten Stunde oder, und das ist die nächste große Nachricht, ihr könnt euch für zusätzliche Punkte im neuen Tierkunde-Kurs eintragen. Yay!" Vanya warf ihre Hände nach oben, woraufhin eine kleine Wolke rosafarbener Pollen aus ihren Fingern stob. Hinter ihr hustete Professor Saxum und hielt sich eine Hand vor ihr Gesicht. Sie warf der Dryade einen missbilligenden Blick zu, bevor sie ebenfalls nach vorne trat. Vanya bemerkte den Ausdruck in ihrem Gesicht, errötete und wich zurück zu den anderen Professoren. "Vielen Dank, meine Liebe," sagte sie und rückte ihre Brille noch ein Stückchen höher auf ihre Nase. "Neben der positiven Nachrichten muss ich leider mitteilen, dass Professor Erden im Sommer verstorben ist. Seine Beerdigung fand im Zirkel in der Mitte des Labyrinths statt, wenn einer von Ihnen ihm Respekt zollen möchte, kann er mit den Hecken sprechen. Sie müssten Ihnen den Zutritt gewähren." Das aufgeregte Gebrabbel verstummte. Mir selbst sagte der Name nichts, aber die Schamanen schienen ziemlich bedrückt zu sein. "Ich weiß, dass sein Tod ziemlich überraschend ist, für uns war es das auch. Seine Stelle wird in Zukunft von Professor Violet Mingway übernommen." Sie trat einen Schritt zur Seite und erlaubte somit einer jungen Frau, die Bühne zu betreten. Sie hatte kurzes, schwarz-violettes Haar und stechende, grüne Augen. Anscheinend war sie menschlich. Professor Mingway lächelte, winkte kurz in die Runde und blieb dann am Rand stehen. "Als Nachfolgerin von Erden wird sie sowohl seine Räumlichkeiten als auch sein Klassenzimmer in Anspruch nehmen." Mit diesen Worten trat sie zurück in die Reihe des Rates. Als nächstes räusperte sich Solarian Caelum. "Auch von mir ein herzliches Willkommen. Wir haben eine neuen Kollegin in unsere Reihen." Er schien selbst zu merken, dass er sich mal wieder in seiner Grammatik vergriffen hatte, dachte kurz nach und sortierte seine Gedanken. "Professor Mikaela Winterkorn wird Unterricht für das erste und vierte Jahr geben, um unsere Kollegium zu entlasten." Auch er machte der neuen Lehrerin Platz. Man sah ihr sofort an, dass sie wirklich eine Hexe war. Eine unfassbare Aura umgab sie. Ihre pfirsichfarbenen Locken fielen ihr lose über die Schultern. Sie trug einen schwarz-braunen Hut, in dessen Bund ein paar Federn gesteckt worden waren, dazu eine schwarze Corsage und einen Rock, der vorne etwas kürzer war als Hinten und somit eine Tätowierung enthüllte, die knapp über ihrem Knie begann. Außerdem hatte sie hohe Stiefel an. Meiner Meinung nach war sie ziemlich hübsch. Caelum lächelte sie an und neigte respektvoll seinen Kopf, bevor er seinen Blick wieder dem Publikum zuwandte. "Sie wird zudem zwei zusätzliche Fächern anbieten: Heilkunde und Voodoo. Die Anmeldenfrist für alles beginnt morgen früh und endet am Freitag um 18 Uhr. Nun wird es noch die Begrüßungsfeier geben. Viel Spaß."
Gemeinsam mit allen Anderen machte ich mich auf den Weg in unseren Partyraum, der offiziell den Namen "Ballsaal" trug, weil Saxum sich weigerte, solche "profanen" Worte zu benutzen. Rue und Luke waren bereits im Trubel der Studenten verschwunden, während ich etwas langsamer unterwegs war. Ich fühlte mich in großen Menschenmassen nicht sonderlich wohl und hatte auch nicht vor, lange auf dieser Feier zu bleiben, obwohl es eine gute Möglichkeit war, die neuen Erstsemester kennen zu lernen. Als ich den Ballsaal betrat, herrschte hier jetzt schon reges Treiben. In einer Nische des Raumes befand sich eine Art DJ-Pult, an dem Musik gespielt wurde. Daneben gab es ein Buffet und ein paar Tische. Mir war es jetzt schon zu laut. Ich schob mich durch ein Grüppchen von vier oder fünf Zentauren, bis ich einen Stuhl erreichte, auf den ich mich setzte. Ein paar der Gesichter erkannte ich wieder, darunter befanden sich vor allem meine Kursmitglieder. Die meisten von ihnen tanzten gerade und spielten dabei mit ihren goldenen Kräften, wahrscheinlich um ein wenig anzugeben. Klar, es sah wirklich schön aus, aber es gab einen verdammten Grund, warum wir unsere Fähigkeiten geheim halten sollten. Ich seufzte leise und nahm mir das Schälchen mit den Snacks aus der Mitte des Tisches. Darin befanden sich Nüsschen und getrocknete Früchte. Ich verzog ein wenig das Gesicht. Gab es hier keine Süßigkeiten? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, setzte sich jemand zu mir. Die junge Frau hatte rotes Haar, welches bis knapp über ihre Brust reichte. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen und ihre Augen schienen zwei verschieden Farben zu haben. "Hi," sagte sie und lächelte mich an. Ihre Stimme klang weich. "Ich habe dich schon letztes Jahr hier gesehen... Ich heiße Monia." Etwas unsicher erwiderte ich ihr Lächeln. "Oh, schön. Ähm, du bist mir gar nicht aufgefallen. Mein Name ist Alva." "Ja, ich weiß. Ich habe deine Aufführung letztes Jahr gesehen. Dein Solo war großartig, ich konnte deine Emotionen gut nachempfinden." Mir schoss das Blut ins Gesicht. Tatsächlich hatte ich meine Gefühle, mit denen ich da auch schon gerungen hatte, in mein Stück eingearbeitet, um meine heimliche Liebe und meinen versteckten Schmerz einmal darstellen zu können. "Oh," sagte ich. "Danke." "Mir wurde in der Schulzeit auch das Herz gebrochen. Ich finde es gut, wie du damit umgegangen bist." Monia klang sehr begeistert. "Du bewegst dich wirklich toll." "Du wirfst ja mit Komplimenten um dich. Danke! Und ich kann mich nicht einmal daran erinnern, was du studierst." "Ist nicht schlimm. Ich bin einer der Schmiede. Wir haben letztes Jahr gleichzeitig angefangen. Es ist schön, wieder zurück zu sein." Erleichtert atmete ich auf. Ein Glück, sie war mir nicht böse und noch dazu hatten wir ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden. "Ich bin auch ziemlich froh darüber, auch wenn ich meine Katze jetzt schon vermisse." "Du hast auch eine Katze?" Monia kramte ihr Handy aus ihrer Tasche, entsperrte es und hielt mir ein Foto einer rot gestreiften Katze unter die Nase. "Das ist Wilbur! Ich habe ihn schon seit 7 Jahren. Ist er nicht süß?" Ich stimmte ihr zu, nur um ihr dann ein Bild von Maverick zu zeigen.
Wir tauschten uns noch lange aus, bis der Saal anfing, sich zu leeren. Auf dem Weg in unsere Zimmer unterhielten wir uns noch ein Weilchen, bis sich unsere Wege trennten. Als ich endlich in meinem Zimmer ankam, zog ich mir direkt meinen Schlafanzug an und hupfte nach meiner Badezimmerroutine ins Bett. Dort kuschelte ich mich an mein großes Plüschschaf und versank schnell im Schlaf.
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Schicksal auf 4 Pfoten
FantasyDas Leben in Meridian könnte so schön sein. Seit dem Beginn ihres Heiler-Studiums hatte sich für Alva viel verändert. Neue Bekanntschaften, ein eigenes Zimmer fern von zuhause und schwierige Herausforderungen hatten nicht lange auf sich warten lasse...