Schmerzende Leere

326 31 38
                                    

TW: Suizidversuch (undetailliert formuliert)
// bitte skippt dieses Kapitel, wenn ihr euch unwohl mit diesem oder ähnlichen Themen fühlt.

Feel free to text me (as always) <3

-

Ich werde übers Wochenende wieder eine Uploadpause machen. Wir lesen uns am Montag wieder <3

*******

(AB)

Nach dem Gespräch mit meiner Familie musste ich raus. Raus aus der Situation, raus aus dem Haus. Gerade so konnte ich die Kinder noch ins Bett bringen und ihnen einen Gute-Nacht-Kuss geben, ohne in Tränen auszubrechen.
Wir haben ihnen alles offen gelegt und so formuliert, dass es Kinderohren verstehen. Ich fühle mich wie überfahren und nun ist es endgültig; unsere Familie ist nicht mehr die Gleiche. Das, wofür ich immer gekämpft habe, ist nun weg. Weil Daniel und ich uns neu verliebt haben. Nur nicht ineinander.
Die Kinder scheinen es zumindest für den ersten Moment relativ gut angenommen zu haben. Uns war wichtig, dass sie wissen, dass wir immer noch zusammen ihre Eltern sind, für sie da sind und ihnen Sicherheit geben.
Mein Herz hat sich an einer Aussage meiner jüngeren Tochter erfreut, in welcher sie nach Alice gefragt hat, da diese ausschlaggebend für das Gespräch war.
'Wir können sie ja mal wieder zum Essen einladen. Ich mag sie.', hatte sie mit müden Augen gesagt, nachdem sie sich in ihr Bett gekuschelt hatte.

Ich laufe durch die dunkle Kälte und ziehe mir die Mütze noch tiefer ins Gesicht. Der kalte Wind sticht auf meiner Haut und ich verschränke die Arme, um der Kälte standzuhalten.
Meine Beine tragen mich, ohne nachzudenken, zu der Holzbank vor ihrem Haus. Mein Körper setzt sich darauf und mein Kopf rattert. Ich sehe zu ihrer Wohnung.
Kein Licht. Keinerlei Anzeichen dafür, dass sie hier ist. Soll ich klingeln? Wie gerne würde ich sie jetzt sehen. Doch sie wird nicht aufmachen, denn sie ist nicht hier. Mein Herz schmerzt. Egal was vorgefallen ist; sie ist mein Zufluchtsort und die Person, bei welcher mein Herz ist.

Ich blicke gedankenverloren auf das Haus und sehe uns wie eine Illusion davor stehen; wie sie mich damals an meiner Hand Richtung Türe gezogen hatte. Wie sie schnell den Code eingetippt hatte, mich in den Aufzug zog und wir uns dann zum ersten Mal küssten. Der Kuss war aufregend und prickelnd. Sie hatte tausende Emotionen gleichzeitig in mir ausgelöst.
Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, wie ihre Lippen schmecken.

Ich schrecke auf, als die Stille durch meinen Klingelton geschnitten wird.
Ich ziehe mein Handy hervor und mein Herz rast, als ich ihren Namen auf dem Display sehe. Gedankenübertragung.
Endlich ein Lebenszeichen von ihr.
Meine kalten Finger drücken auf abheben und ich führe mein Handy zum Ohr.

„Alice.", hauche ich und mein Atem wird in der Kälte sichtbar. Sofort rinnt mir eine Träne über das Gesicht, welche sich zuvor in meinem Auge gesammelt hat.
„Annalena. Hör zu.", beginnt sie mit ernstem Ton, noch bevor ich etwas Anderes sagen kann. „Ich bin in der Schweiz, bei meinen Kindern. Sarah hat die Trennung wohl nicht gut weggesteckt und ist nun in psychiatrischer Behandlung für die nächsten Wochen. Und ich bin zurückgetreten; was du vermutlich schon weißt.
Ich will das alles schon lange nicht mehr und ich bin dir so dankbar dafür, dass du mich da endlich rausgeholt hast. Du hast mich wachgerüttelt.
Das ist es alles nicht wert.
Ich bin damals eingetreten, weil ich verhindern wollte, dass diese Flüchtlinge noch mehr kaputt machen und noch mehr Menschen sterben müssen. So wie Tomy. Sie haben mir meinen kleinen Bruder genommen. Das werde ich ihnen nie verzeihen, zumal sie ungestraft davon kamen, weil es ja arme Flüchtlinge waren. Ich hatte das Gefühl, ich muss für ihn kämpfen und das Geschehene verurteilen.
Was natürlich die Vergangenheit nicht ändert. Doch dadurch haben meine Eltern das erste Mal in meinem Leben Stolz und Anerkennung walten lassen. Ich habe mich selbst so sehr darin verrannt und ich habe den Hass meines Vaters übernommen. Es hat sich gut angefühlt, auch mal in der 'Täter-Rolle' und nicht immer nur in der 'Opfer-Rolle' zu stecken. Es war wie eine krankhafte Sucht.

Es hätte niemals - niemals, soweit kommen dürfen. Du hast mich wieder wachgerüttelt und wie ein Gegengift gewirkt. Es tut mir alles so leid. Dabei will ich doch nur dich... verstehst du? Ich... du bist einfach in meinem Herzen."
Sie macht eine Pause und ich höre, wie sie zu schluchzen beginnt. Auch über meine Wangen rinnen unzählige Tränen.

So wirklich verarbeiten, was sie mir alles gebeichtet und erzählt hat, kann ich im Moment noch nicht.
„Wann kommst du wieder?", flüstere ich und unterdrücke für eine Sekunde das Weinen.

(AW)

Ich fühle mich leer. Alles in mir schmerzt. Mein Herz wird immer mehr zusammen gequetscht und ich hoffe auf eine positive Reaktion oder tröstende Worte von Annalena. Doch... nichts.
„Wann?", wiederholt sie mit zittriger Stimme am anderen Ende der Leitung, welches rund siebenhundert Kilometer von mir entfernt ist und den Schmerz in mir nur noch unerträglicher macht. „Ich weiß es nicht genau.", sage ich mit unbehaglichem Unterton.
„Es tut mir alles so leid.", wimmere ich und lass meinen Tränen freien Lauf.

Ich sitze auf der Terrasse in der Kälte, welche ich kaum wahrnehme. Die Kinder sind im Bett und es war sehr mühsam, sie zu beruhigen. Die besagte Freundin meiner Frau hat auf die beiden aufgepasst, bis ich nun ab jetzt für sie da sein kann.
Niemals hätte ich Sarah für so instabil gehalten. Die Nachbarin hatte sie bewusstlos auf dem Balkon gesehen und anschließend die Polizei gerufen. Zum Glück waren die Kinder zu dem Zeitpunkt in der Schule. Sarah hatte sich einen Medikamentencocktail gemixt und scheinbar noch vor dem Sprung das Bewusstsein verloren. Schon vor diesem Vorfall schien sie sich nicht mehr richtig um die Kinder gekümmert zu haben, laut deren Erzählungen. Es gab kaum noch etwas zu Essen, sie wurden nicht mehr ins Bett gebracht und morgens lag Sarah mit Alkoholfahne entweder im Bett oder auf dem Sofa.
Wie konnte es nur soweit kommen und warum habe ich nichts geahnt. Als könnte ich sie einfach so verlassen und mir keine Gedanken mehr darüber machen, wie es ihr geht.
Was bin ich nur für ein Mensch.

„Du fehlst mir, Alice.", vernehme ich ihre warm klingende Stimme an meinem Ohr, welche mich zurück zum Telefonat bringt. Ihre Stimme durchdringt meinen gesamten Körper und ich drücke das Smartphone noch näher an mein Ohr. Wie dringend könnte ich nun ihre physische Anwesenheit gebrauchen. Sie, als stärkender Part an meiner Seite. Doch gerade bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt noch an meiner Seite sein möchte.
Sie hat kein Wort über meinen Rücktritt verloren und ich bin zu schwach, um nachzufragen. Dennoch frisst mich diese Ungewissheit auf.
„Bist du noch da?", haucht sie und ich spüre, wie mein Handy summt. Ich werfe einen Blick auf das Display und sehe, dass sie zum Videoanruf wechseln möchte. Ich nehme ohne zu zögern an.

Wir sehen uns einfach nur an. Ihre Augen mustern mein Gesicht und finden dann den Weg zu meinen Augen. Ihre Mundwinkel werden ein paar Millimeter nach oben gezogen und ihre Augen durchdringen meinen Blick. Wir sehen beide verweint aus. Ihre Wimperntusche ist verlaufen und meine Wangen glänzen durch die Tränen. „Ich will dich umarmen.", wage ich zu sagen und möchte diese Aussage in der selben Sekunde revidieren.
'Du hast versagt.', tönt es in meinem Kopf.

Eyes don't lie!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt