Feuer und Realität

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(AB)

Ich spüre ihren Atem und ihren abwartenden Blick auf mir. Mein Herz pocht wie wild und meine Hände verkrampfen sich. Ich kann nicht... ich will, aber... ich darf das nicht, wir dürfen das nicht. Aber warum steht sie dann so vor mir? Mit diesen Blicken?
Ich ignoriere auf einen Schlag alle Sorgen und Gedanken und ziehe ihren Kopf zu mir, um sie endlich küssen zu können. Sofort erwidert sie den Kuss, welcher von Sekunde zu Sekunde intensiver wird. Unsere Körper schlingen sich ineinander und ihre Griffe werden fester.
Nach ein paar Minuten des Küssens landen wir auf dem Sofa, woraufhin Alice ihr Gesicht schmerzverzerrt.

„Alles okay?", flüstere ich besorgt. Sie nickt und die Schmerzen scheinen sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen zu können. Warte. Was hat sie eigentlich genau vor? Schon läuten bei mir wieder die Alarmglocken und ich unterbreche den Kuss. „Was machen wir hier?", frage ich unsicher. Sie zuckt gespielt unwissend mit den Schultern und raunt nur ein: „Ich will dich spüren.", direkt in mein Ohr und löst somit Gänsehaut an meinem ganzen Körper aus.
Gepackt von ihren Emotionen gebe auch ich mich meinen hin. Jede Stelle meines Körpers fühlt sich an wie Feuer, während sie sie berührt.

Nachdem wir uns außer Atem von einander lösen, sehen wir uns in die Augen und grinsen beide synchron. Als ich spüre, dass sich ihre Hand an meiner Hüfte entlang den Weg zu meiner pochenden Mitte bahnt, halte ich sie ruckartig von ihrem Vorhaben ab.
„Du musst dich schonen.", raune ich und rutsche ein Stück von ihr weg. Ich sehe sie bittend an und gebe ihr so zu verstehen, dass dies nicht der einzige Grund ist. Sie nickt verständnisvoll und fragt, ob wir einen Film ansehen wollen. Ich stimme ihr zu und genieße ihre Nähe. Wir kuscheln uns unter der Decke zusammen und tauschen ab und an zärtliche Küsse.

Ich öffne meine müden Augen und blicke schockiert auf die Uhr. 20:40 Uhr.
Ich sehe zu der Person, welche neben mir liegt und bereits vor einer halben Stunde eingeschlafen ist. Unsere Beine liegen ineinander verschlugen und ich hauche ihr einen Kuss auf die Stirn, nachdem ich ihr Gesicht gemustert hatte. Ich kann selbst noch gar nicht fassen, was vorhin passiert ist.

Und trotzdem bin ich mir sicher: das war die beste Knutscherei, die ich je in meinem Leben hatte. Ich fühle mich wie ein Teenager.

Schlagartig denke ich an meinen Mann und ein schreckliches Gefühl beschleicht mich. Ich bin doch verheiratet und ich habe ihm damals mein Versprechen gegeben. Hatte ich nun durch diese Aktion meine Familie komplett zerstört? Was bin ich nur für ein Mensch. Und warum mit einer Frau? Ich bin wahnsinnig durch den Wind und nehme wahr, dass ich keine Sekunde länger hier seelenruhig liegen kann.

(AW)

Als ich meine Augen öffne, fällt mein Blick direkt auf die Leere neben mir. Sie ist weg. War sie überhaupt da? Ich versuche, mich in Zeit und Raum zu orientieren und setze mich aufrecht hin, wobei mein Oberkörper schmerzt und auch meine Kopfschmerzen wieder spürbar sind.
Mein Blick fällt auf einen kleinen Zettel, welcher auf dem Wohnzimmertisch liegt.
'Ruf mich an, wenn du was brauchst.', steht darauf geschrieben.
Sie war also wirklich da. Ein warmes Gefühl durchströmt meinen Körper und ich grinse automatisch.
„Eigentlich brauche ich doch nur dich.", murmel ich und blicke mit verschlafenen Augen auf die Uhr an der Wand. 23:21 Uhr.
Ich beschließe, mich langsamen Schrittes für das Bett fertig zu machen.

(AB)

Nachdem meine Tränen halbwegs getrocknet sind, stecke ich den Schlüssel in die Türe des Hauses und atme noch einmal tief durch, bevor ich ihn im Schloss umdrehe.

„Da bist du ja endlich, Mama!", stürmt meine kleine Tochter freudig auf mich zu und die Realität hat mich wieder zurück. „Ich habe dich vermisst. Wo warst du denn?", fragt sie aufgeregt und ruft nach ihrer Schwester. „Wo warst du, Mama?", kommt diese mit ernster Mine um die Ecke gebogen.
„Eine Freundin von Früher musste aus dem Krankenhaus abgeholt werden und da habe ich ihr geholfen nach der Arbeit. Es tut mir leid, dass es so spät geworden ist."
Es ist kurz vor 21 Uhr. „Habt ihr schön mit Papa zu Abend gegessen?", frage ich und hänge meinen Mantel an die Garderobe. „Er ist immer noch im Büro, dort gab es wohl einen Betrugsfall, der jetzt geprüft werden muss." Bei diesem Wort rutscht mir mein Herz fast in die Hose - wie passend.
„Er hatte hier angerufen und auch gesagt, dass er dich nicht erreichen konnte, also kam Frau Tietze von Drüben kurz her um nach uns zu sehen.", schildert mir meine ältere Tochter. „Sie hat uns leckeren Eintopf vorbeigebracht und mir danach noch eine heiße Schoki gemacht.", freut sich meine Jüngere. Wenigstens bei ihr scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Doch ich spüre den enttäuschten Blick meiner Älteren auf mir. Und am meisten enttäuscht von mir bin ich selbst.
Ich sehe zum ersten Mal seit Alice's Anruf auf mein Handy und sehe, dass mich mein Mann des Öfteren versucht hatte, zu kontaktieren.
Ich versuche, die Tränen zu unterdrücken und den Abend meiner Töchter etwas zu retten, indem ich ihnen noch einen kleinen Nachtisch zaubere und sie sich danach noch einen Film raussuchen dürfen.

Ich beschließe, erstmal meine Familie wieder als Priorität zu setzen. Alles Andere wird Nebensache. Auch Alice. Dafür hatte ich gerade wirklich keinen Kopf. Zumindest werde ich es versuchen.

Eyes don't lie!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt