Kapitel 2

5 0 0
                                    

"Was", flüsterte ich so energisch, dass es wahrscheinlich die ganze Klasse hörte, doch Frau Karpfen verlas immer noch die Namen.
Das konnte nicht wahr sein. Ich und Liron? Nebeneinander? Für mindestens eine halbe Stunde?

Ganz leicht drehte ich den Kopf nach links.

Dort saß er. Zwei Plätze entfernt und blickte leicht irritiert nach vorne.
Ich spürte ein Ziehen in meiner Brust.

Natürlich freut er sich nicht! Ich tadelte mich für meinen naiven Gedanken, er würde vielleicht gerne neben mir sitzen.

Mit einem Ruck, drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne.
Ich konnte es einfach nicht ertragen, ihn zu sehen. Seine blonden, glatten Haare, die kristallklaren, blauen Augen, in denen man schnell verloren ging und sein Mund. Er schien zum Lächeln geschaffen.

Helen hatte mich Anfangs immer gefragt, was ich den an Liron so mochte. Sie fand seine Nase zu markant, und er hatte Segelohren.

Aber der Grund, wieso ich ihn so anhimmelte (und es auch immer noch tuhe) ist nicht sein Aussehen, obwohl ich daran auch nichts auszusetzten hab, sondern sein Charakter. Er ist klug und bringt die Leute um sich rum zum Lachen.
Generell scheint er sich mit jedem zu verstehen.

Doch seit ich wusste, dass er auf Sophie stand, litt ich an der "Krankheit".

Plötzlich spürte ich Helens Blick und ich drehte mich zu ihr. Sie sah mich mitfühlend an.
"Das wird schon", murmelte sie mir zu und klopfte mir aufmunternd auf den Rücken.

Endlich war unsere Lehrerin fertig.
Wir nahmen unsere Rucksäcke und folgten ihr durch das Gebäude auf den Hof. Es regnete immer noch.
Also quetschten wir uns, so gut es ging, unter das Haltestellenhäuschen.

Da ich keine Lust hatte mir drängelnd einen Platz im trockenen zu ergattern, blieb ich im Regen stehen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

Ein kleiner Teil von mir freute sich, dass ich neben Liron sitzen sollte, aber ich wusste ja, das er mich eh nicht genauso gerne mochte, wie ich ihn.
Und ich merkte, wie ich mich ein wenig nach Helens Glück sehnte. Wieso war diese Welt nur so oberflächlich. Mit meiner zwar schlanken, aber nicht sehr kurvenreichen Gestalt und meinem durchschnittlichen Gesicht, machte ich auf niemanden einen besonderen Eindruck. Ich war besten Falls  mittelmäßig. Doch ich wollte nicht neidisch auf meine beste Freundin sein.

Durch das Plätschern der Regentropfen, konnte ich den Motor des Busses hören, der kurz darauf vor uns anhielt. Er sah aus, wie unser Schulbus. Vielleicht war es sogar der selbe.

Ich wusste ja nicht, was Frau Karpfen so ihrer Freizeit machte, aber, dass sie so viel Langeweile hatte, dass sie einen kompletten Sitzplan für den Bus erstellt hat, hätte ich nicht gedacht.

Einen nach dem Anderen, rief sie uns auf und wir mussten uns in den Bus setzen.
Wenigsten durften nach dem Besuch direkt von dort nach hause, dachte ich.

"Clara", schnitt Frau Karpfens Stimme mir ins Ohr.
Ich ging auf den Bus zu. Hinter mir spürte ich eine Bewegung.
Nicht umdrehen, nicht umdrehen!

Ich drehte mich um.
Liron. Er stand vor mir. Einen halben Kopf größer als ich und sah mich kurz an.
In einem Moment trafen sich unsere Blicke.

Mein Herz schien völlig auszurasten. Wie wild pochte es, als die Zeit stehen blieb.
Es gab nur noch seine Augen. Tief und schimmernd wie der Ozean.
Das Wasser war angenehm kühl. Es trug mich hinauf zu den Wolken und immer höher. Ich konnte fliegen.
Ein Vogel.

Dann war es vorbei. Ich schnellte wieder herum und stieg in den Bus.

Hatte er gemerkt wie ich ihn angesehen hatte?

Ich spürte wie mir total warm wurde.
Verdammt! Jetzt wird mein Gesicht rot!

Ohne zu merken, dass ich weiter lief, trugen mich meine Füße zu den nächst besten Plätzen.
Immer noch  etwas verdattert, ließ ich mich nieder und starrte gerade aus.

Ich traute mich nicht, ihn anzusehen, als er sich neben mich setzte, doch aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er sein Handy gezückt hatte.
Er wirkte ziemlich entspannt.
Gut.

Während unsere restlichen Mitschüler ihren Plätzen zugeteilt wurden, beruhigte ich mich langsam.

Nach ein paar Minuten, knurrte der Motor unter uns los, ein Ruck ging durch den Bus und ich zog mein Handy und meine Kopfhörer  aus der Tasche. 
Ohne darauf zu achten, drückte ich auf irgend ein Lied.
Ich musste mich einfach ablenken.

Du könntest ihn einfach ansprechen, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
Nein!
Meine Augen zuckten zu ihm herüber.
Er hatte seinen Kopf an den Sitz gelehnt, die Augen halb geöffnet.

"Was ist", fragte er plötzlich und sah zu mir herunter.
Es klang nicht vorwurfsvoll oder skeptisch. Einfach neugierig.

"Äh, nichts. Ich ... dachte, du würdest schlafen.“

Liron lächelte leicht und legte seinen Kopf zur Seite. "Was hörst du?“, fragte er, ohne weiter auf meine dumme Antwort einzugehen.
Schnell werfe ich einen Blick auf meinen Bildschirm.
"Tailor Swift", antwortete ich.
"Echt? Du hörst Tailor Swift?", erstaunt sah er mich an.

"Ja. Hast du 'n Problem damit?"
Ich schaffte es, einen einigermaßen trotzigen Gesichtsausdruck zu machen.

"Nein, ich meinte nur... Ach. Egal."
Er wendete sich wieder seinem Handy zu.

In mir fuhr alles Achterbahn.
Dieses kleine Gespräch, dass nicht mal ne Minute ging, hatte mein Herz tanzen lassen.
Und die Schmetterlinge, in meinem Bauch, schlugen Purzelbäume.

Die restliche Zeit über, verbrachten wir beide für uns. Ich beobachtete die Häuser und Straßen, die an uns vorbei glitten.
Langsam schien ich ins Traumland zu gleiten, wurde jedoch kurz darauf durch einen Ruck geweckt.

Der Bus hielt vor einem imposanten Gebäude.
Ein Krankenhaus, schoss es mir durch den Kopf. Groß. Weiß. Ein hoher Block mittig, links und rechts etwas niedrigere Anbauten.
Eine silbrige, riesige Uhr hing über dem Eingangstor.

Hinter den glattwändigen Bauten, waren gläserne Kuppeln zu erkennen.
Sie reflektierten das Sonnenlicht.

Das muss doch brutal heiß da drinnen sein! Außer vielleicht für die tropischen Vögel?

Einer nach dem anderen, erhoben wir uns, als die Bustüren aufschwangen.
Ich achtete darauf, Liron weder in die Augen zu sehen, noch, ihn ausversehen zu streifen.

Es hatte fast aufgehört zu regnen. Nur ganz leicht nieselte es und es fühlte sich gut an, die winzigen, feuchten Tropfen auf der Haut zu spüren. Sie weckten meine Sinne.

Nachdem Frau Karpfen uns durch gezählt hatte (als wäre einfach im Bus jemand verloren gegangen) gingen wir auf das Gebäude zu. Als wir schon fast die Türen erreicht haben, öffnen sie sich und ein Mann kommt erscheint aus der Dunkelheit dahinter.

Er hat eine starke Figur, und unnatürlich weiße Haut.
Das Sonnenlicht, welches zwischen ein paar grauen Wolken hervor bricht, scheint ihn zu durchleuchten.
Wie zwei schwarze Löcher, wirkten seine kalten Augen. Sie waren von der selben Farbe, wie sein Haar, dass ihm in Strähnen ins Gesicht hingen.

Sein Mund umspielte ein Lächeln, dass so freudlos, so hart war, dass mir das erste Mal etwas mulmig wurde.

Hätte ich doch bloß auf meinen Instinkt gehört und einfach weg gelaufen! Dann wäre das alles nicht passiert...

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 05, 2022 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

FeatherskinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt