Kapitel 4 - Flugstunde

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Harry ging nach dem Essen mit Louis wieder in sein Zimmer. Er setzte sich mit ihm auf das Bett und nahm das Buch in die Hand. Lust zu lesen hatte er eigentlich nicht, aber er wollte Louis nicht verlieren und es war wohl wirklich besser so. Es sollte ihm gut gehen bei Harry.

Also begann er zunächst auf der ersten Seite:
Junge, namenlos, 5 Jahre, Waise, kleine und leichte Statur; sehr folgsam ; Beginn Therapie nach zwei Tagen Eingewöhnung.

Therapieplan
- Erste 30 Tage je 5 Spritzen
- Danach erste Operation - zunächst mit Abständen von 40 Tagen 8 Operationen angesetzt
- Nach Operation drei Tage Regeneration
30 Tage je 5 Spritzen

- Experiment reagiert ängstlich auf Spritzen.
- Körper zeigt Stresszeichen...

Harry blätterte um. Das war ja gruselig.

- Kann wandeln!
Tag 420 Therapie! Experiment hat Wandlung geschafft.
Merke: Braucht Wärme. Höchstens zwei Stunden ungewärmt. Mag am liebsten Körperwärme. Mag nicht allein sein. Das muss trainiert werden! Soll nicht anhänglich sein.
Braucht täglich ein Bad von wenigstens einer halben Stunde in sehr warmen Wasser (wenigstens 42 Grad)
Frisst am Besten Thunfisch oder Hähnchen. Bevorzugt als Brei. Pro Tag nicht weniger als vier Malzeiten.

Harry blätterte zur zuletzt beschriebenen Seite und las:

Kann nicht von sich aus fliegen. Täglich an langer Leine trainieren!
Schwimmen kann das Experiment von sich aus. Es bedarf kein Training.
Muss dringend stärker werden und sich körperlich ertüchtigen. Sonst Fehler. Drache soll schützen. Nicht hübsch anzuschauen sein!
Haut verändert sich mit. Nach Häutung der Schuppen extrem empfindlich. Immer zu weich. Sollte auch in menschlicher Form schuppig sein. Wie eine Rüstung. Zweiten Aufbautherapieplan aufbauen. Fehler korrigieren. Insgesamt: Experiment zu schutzbedürftig, um Schutz zu bieten.

Harry blickte auf das Wesen in seinem Schoß. Es hatte die Augen wieder geschlossen und seinen Schwanz vorher wieder um Harry gelegt, es hatte wohl wirklich Angst vorm allein sein. Anders konnte Harry sich das nicht erklären. Er war nicht nett gewesen zu seinem Louis. Jetzt verstand er zumindest, dass das Körbchen wirklich zu kalt war.

Louis mochte also Körperwärme. Aber wie stellte der sich das denn bitte vor? Sollte Harry ihn den ganzen Tag lang durch die Gegend tragen? Nein, das würde es nicht geben. Dafür war Louis zu unhandlich. Auch musste eine Lösung für die Nächte gefunden werden. Vielleicht auch eine heiße Pfanne, auf die er Louis' Kissen drapieren lassen würde? Aber dann müsste das mehrfach in der Nacht erneuert werden. Ständig würde irgendwer rein kommen wegen des Prozederes.

Harry ging mit Louis nochmal zur Küche und beauftragte den Koch Louis diese Pampe vier Mal am Tag zuzubereiten. Aus besten Zutaten. Wie sollte Louis sonst ein großer starker Drache werden? Sein Haustier sollte keinen Abfall zu Fressen bekommen. Das Fressen sollte entweder im Speisesaal serviert werden, wenn Harry ebenfalls aß oder gebracht werden.

Erleichtert ging Harry hinaus. Nun würde Louis zumindest nicht mehr verhungern.
Bei den Ställen ließ er sich ein langes Seil bringen und trat mit Louis in den weitläufigen Schloßgarten.

Louis befand sich die ganze Zeit in seiner Halb- und Halbform und guckte mit großen Augen durch die Gegend. Was hatte Harry wohl vor? Louis hatte keine Ahnung vom Gärtnern, aber er glaubte nicht, dass so ein langes Seil da sinnvoll war.

"So. In deiner Anleitung stand, dass du täglich fliegen üben sollst."
"Oh...", Machte Louis unglücklich.
"Gibts ein Problem?"
"Ich mag Höhe nicht besonders, Sir."
"Nicht?! Du bist doch auch flugfähig."
"Ähm... Ja. Das sagte man mir. Aber das heißt nicht, dass ich es gern mag..."
"Na los. Wandel dich."
Louis seufzte.
"Jetzt.", Knurrte Harry.
Louis guckte leidend, aber wandelte sich dann. Brav ließ er sich das Seil um den Bauch knoten. Aufmerksam betrachtete er Harry.

"Los. Worauf wartest du?", Fragte Harry verwirrt.
Louis legte den Kopf schief und machte ein Geräusch, das klang wie eine Ente, auf die man drauf trat.

Genervt öffnete Harry die Anleitung und sah unter dem Punkt "Fliegen" genauer nach.
-Experiment traut sich nicht allein abzuheben.
- In die Luft schmeißen-

Okay dachte Harry, schnappte sich Louis und wollte ihn hoch in die Luft werfen. Aber es war, als würde er an ihm festkleben. Louis hielt sich wirklich einfach an ihm fest. Ohne ihm dabei auch nur eine Schramme zuzufügen.
Schnaufend öffnete Harry das Buch wieder und las wieder:
-klappt nicht
Ach was! Okay, er sollte vielleicht erst ein bisschen weiter lesen.
-Experiment will nicht allein sein
-läuft hinterher und fliegt dann ein bisschen

Viel mehr stand da nicht. Okay. Harry hatte eigentlich gehofft nur herum stehen zu müssen. Aber gut. Ertüchtigte er sich eben auch etwas.
Louis schien zu wissen, was er nun wusste, denn er klammerte sich plötzlich an seinem Bein fest.

"Nein. Louis. Du bist ein Drache. Kein Katzenbaby. Los.", Forderte Harry und zog sich Louis vom Bein, setzte ihn auf seinen Drachenpo und rannte los.

Louis hasste das. Er hatte Angst allein. Er wollte nicht allein sein. Schon gar nicht draußen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Harry, der wie ein Idiot durch den Garten lief, hinterher zu laufen. Dummerweise schlackerten seine Flügel dabei automatisch und Louis hob ab. Ohne, dass er das wollte oder steuern konnte.

Harry drehte sich erleichtert um. Louis hing am langen Seil. Und flatterte in der Luft herum. Aber es wirkte sehr unkoordiniert. Er flog ja auch nicht wirklich, sondern Harry ließ ihn steigen.

"Er sieht nicht glücklich aus.", Bemerkte Gemmas Stimme hinter Harry.
"Ach was? Willst du wieder Vater auf mich hetzen, damit er ihn mir abnimmt?", Fragte Harry und rettete Louis knapp davor, gegen einen Baum zu fliegen, indem er ruckartig am Seil zog.

"Das war nicht böse gemeint. Aber es soll ihm doch gut gehen, oder?", Fragte Gemma. Ein schlechtes Gewissen hatte sie definitiv nicht.

"Ja. Und das tuts gerade nicht.", Sprach Harry und holte Louis mit Hilfe des Seils langsam näher. Die letzten zwei Meter ließ sich der Drache einfach fallen und krallte sich zitternd an Harry fest. So hoch war er noch nie... In der Luft herum getrudelt. Fliegen war das nicht.

Harry rief sich einen Bediensteten herbei: "Bring mir jemanden, der sich mit Jungdrachen auskennt. Sofort.", Sprach er streng.

"Was hast du vor?", Fragte Gemma, nachdem der Diener schnell davon gestürmt war.

"Wer sagt denn das kleine Drachen sofort fliegen? Der Verrückte, der ihn geschaffen hat, war irre. Vielleicht hatte der ja auch keine Ahnung und das ist völlig normal.", Murmelte Harry und knotete das Seil von Louis ab.
Louis wandelte sich wieder zu halb und halb. Das war seine bevorzugte Form.

Harry erstarrte. Um Louis' Bauch war die Haut komplett wund.
"Oh verdammt.", Sprach Harry erschrocken.
"Es tut mir Leid, Sir. Es sieht immer so aus...." Wimmerte Louis beschämt. Er wusste, dass der Meister sehr unzufrieden mit seiner Haut gewesen war und selbst seine Schuppen schützten ihn nicht wirklich.

"Tut mir Leid Louis. Du kannst jetzt baden.", Sprach Harry und strich Louis durch die Haare. Der krallte sich nach wie vor zittrig an Harry fest. Aber er begann ein schnurrartiges Geräusch zu machen, als der das Bad erwähnte.

Gemma sah ihrem Bruder nach. Na, das sah doch schon viel besser aus.

Drachenherz (Larry) LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt