„Wo wollen sie denn noch zu so einer späten Zeit hin?"
„Mhm?" Suga hatte zwar die Frage des Taxifahrers verstanden, doch wusste er selbst noch keine Antwort auf die Frage. Er blickte aus dem Fenster und ließ den Blick über die im Mondschein glitzernde Oberfläche des Sees schleifen. Es war so unfassbar ruhig. Nur die dicken Regentropfen, die gegen die Autoscheiben prasselten, hatte er bis zu der Frage des Taxifahrers wahrgenommen.
„Fahren Sie bitte einfach erstmal Richtung Meer, bis ich was anderes sage."
„Wie sie wollen...". Es wurde wieder still im Taxi, aber Suga spürte, dass der Taxifahrer noch gerne weitergebohrt hätte. Jeder wäre neugierig gewesen, wenn die Abholadresse das Einzige war, was man von seinem Fahrgast hatte. Nicht mal den Namen, geschweige denn ein klares Ziel hatte er ihm genannt – nur eine ungefähre Richtung. Richtung Meer. Er mochte das Meer, früher war er oft mit seinen Hyungs am Meer gewesen. Seid sie so erfolgreich geworden sind und jede freie Minute dazu genutzt hatten, an ihrer Musik zu arbeiten, waren sie nie wieder da gewesen. Eigentlich hatten sie sich versprochen, dass, egal was passieren würde, sie jedes Jahr am 31 März zusammen ans Meer fahren würden. Die letzten drei Jahren waren sie jedoch nie wieder da gewesen. Die Zeit war ihnen zu kostbar und jeder hatte sich auf seine Arbeit konzentriert. Er selbst miteingeschlossen.
Suga seufzte, er wollte eigentlich gar nicht an seine Hyungs denken. Sofort überkam ihn das schlechte Gewissen als er darüber nachdachte, dass sie sich sicher unglaubliche Sorgen um ihn machten. Fuck. Nicht wieder diese Schuldgefühle. Suga schüttelte seinen Kopf und versuchte sich auf das prasselnde Geräusch des Regens und den dröhnenden Automotor zu konzentrieren.„Wollen sie vielleicht ein wenig Musik hören? Ich habe wirklich gute CDs, die gefallen ihnen be...."
„NEIN! Ich meine... bitte... bitte lassen sie die Musik im Moment noch aus." Suga tat sein harter Tonfall sofort leid. Er wollte den Taxifahrer nicht gleich so anfahren, aber er hatte das Gefühl, dass jegliche Musik ihn in einen Negativstrudel reißen würde, aus dem er mit eigener Kraft nur sehr schwer herauskommen könnte. Gerade wenn er versuchte, nicht jede Sekunde daran zu denken, was sein Verschwinden für Konsequenzen für seine Hyungs, die Agentur, einfach für alle haben könnte. Was tat er ihnen nur an. Wie konnte er einfach so verschwinden. Er konnte die aufkommenden Tränen nicht mehr zurückhalten, die ihm jetzt immer schneller die Wangen herunterliefen.
Der Taxifahrer schaute in den Rückspiegel und sah dort diesen jungen Mann, der in sich gekauert auf der Rückbank saß und leise vor sich her weinte. Er kam nicht drumherum sich zu fragen, was für ein Mensch dieser wohl ist. Selten hatte er so einen geheimnisvollen Fahrgast gehabt, der nicht mal einen Plan zu haben schien, wohin es eigentlich gehen sollte. Auch die Abholadresse gab ihm keine weiteren Informationen, denn er hatte ihn an einer verlassenen Bushaltestelle abgeholt. Nur ein kleiner grüner Koffer und ein Rucksack hatte dieser dabeigehabt, sonst nichts. Seinen Namen wusste er auch nicht, den hatte er nie erwähnt – aber das machen auch nicht alle. Manche anderen Fahrer*innen hätten sicher Angst gehabt, einen in schwarz gekleideten Mann, der nicht mal seine Kappe im Auto abnahm und keine einzigen Informationen teilte, mitzunehmen, aber er war da anders. Solche Menschen faszinierten ihn und die Tatsache, dass der Mann nun dasaß und weinte, ließ ihn ganz und gar nicht bedrohlich wirken. Eher wollte er ihn irgendwie trösten, aber er wusste einfach nicht was er sagen konnte, um dem jungen Mann ein Stück seiner Traurigkeit zu nehmen. Er seufzte und fuhr sich durch seine schon langsam grau werdenden Haare. Wenigstens ein wenig Musik hätte ihn doch sicher auf andere Gedanken gebracht, aber die hatte er ja bereits abgelehnt. Ihnen stand definitiv noch eine lange Nacht bevor.
Während sie so dahinfuhren und die Nacht sich langsam schon zu Ende neigte, versiegelten Sugas Tränen und er fiel in einen unruhigen Schlaf. Als er seine Augen langsam wieder öffnete, hatte der Regen bereits aufgehört und sogar die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch die aufbrechende Wolkendecke. Wie lange sie wohl schon gefahren sind.
„Ich habe ihnen einen Kaffee mitgebracht", meldete sich der Taxifahrer zu Wort.
„Ich musste kurz tanken und dachte ein Schluck tut ihnen sicher gut. Sie sehen nicht gerade wie in bester Verfassung aus, wenn ich das so sagen darf". Er lächelte.
„Vielen Dank, dass wäre doch nicht nötig gewesen." Suga nahm den Kaffee dankend entgegen und nahm einen Schluck. Der Kaffee war echt lecker, was ihn irgendwie überraschte, da er unter einem Tankstellen-Kaffee einen weitaus faderen Geschmack erwartet hätte. Ihm entging auch nicht der freudige Gesichtsausdruck auf dem Gesicht des Taxifahrers, als dieser ihn kurz beim Trinken beobachtet hatte. Er musste also echt bemitleidenswert aussehen, wenn schon eine fremde Person ihm was Gutes tun wollte.
„Ich bin übrigens Gi-tae. Ich denke, wir sind jetzt lange genug zusammen unterwegs, dass es mal an der Zeit ist, sich vorzustellen, oder meinen sie nicht?" Der Taxifahrer schaute den jungen Mann erwartungsvoll an, dieser erwiderte jedoch nicht gleich etwas darauf und es schien als würde er sich zwei Mal überlegen, was er sagen sollte, bevor er dann doch das Wort ergriff: „Freut mich sie kennenzulernen, Gi-tae. Ich bin Sug..." Er brach mitten im Satz ab, schluckte kurz und brach den Blickkontakt zu Gi-tae kurzzeitig ab, bis er den Satz nochmal von vorne anfing: „Mein Name ist Yoongi und bitte sag 'du' zu mir."
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Melodie des Schicksals
FanfictionAlles war doch so perfekt gewesen. Also wie konnte es nur dazu kommen? Wieso stande er jetzt hier? Wieso stande er mit einem kleinen, gepackten Koffer mitten in der Nacht in ihrem Hausflur und schrieb diese paar Worte auf das im Flur hängende Whiteb...