Irgendetwas stimmt hier nicht

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06:00 Uhr am Montagmorgen, Zeit aufzustehen. Völlig müde und noch ganz verschlafen gehe ich ins Bad. Das Licht ist grell, als ich es einschalte.

Als ich mich frisch gemacht habe, gehe ich in mein Zimmer. "Man was soll ich bloß anziehen ?", frage ich mich während ich vor meinem riesigen Kleiderschrank, der bis oben hin gefüllt ist, stehe. Ich habe aber auch gar nichts zum Anziehen. Das Telefon klingelt. Komisch, wer ruft denn so früh morgens hier an ? Und schon höre ich, wie meine Mama ran geht.

Nach einigen Minuten des Überlegens, entscheide ich mich schließlich für eine lange Jeans und ein weißes Top. Es ist zwar heute nachmittag warm, heute morgen hingegen zieht es noch ganz schön.
Ich nehme meine Tasche und gehe die Treppe hinunter.

Es überrascht mich, dass meine Mama mich nicht mit dem üblichen "Guten Morgen mein Schatz" begrüßt, sondern am Küchentisch sitzt und an ihrem Handy rumtippt. Irgendwas ist anders an diesem Tag. Irgendetwas fühlt sich nicht so an, wie sonst. Irgendetwas stimmt hier nicht. Meine Müslischale und der bunte Löffel wurden auch noch nicht raus gestellt. Was ist denn los mit ihr heute ? Ist irgendwer gestorben ? Naja dann nehme ich mir meine Sachen halt selber.

Als ich alles zusammen habe, setze ich mich an den Tisch und fange an zu essen. Ich glaube Mama hat noch gar nicht bemerkt, dass ich da bin. Noch keinen Blick hatte sie mir zugeworfen. Ständig tippt sie auf ihrem Smartphone rum.

Plötzlich bricht sie in Tränen aus.

Scheiße ! Was soll ich machen ?

"Mama ? Was ist los?", frage ich dann und nehme ihre Hand. Sie schreckt auf. "Ich hab gar nicht gemerkt, dass du da bist.", antwortet sie und nimmt sich ein Taschentuch. "Was ist denn los?", frage ich wiederholt. Mit zitternder Stimme sagt sie: "Ich habe gerade einen Anruf aus dem Altenheim bekommen. Die Oma ist letzte Nacht gestorben."

Bam ! Und dann brach meine Welt zusammen. In diesem Moment zog meine ganze Kindheit an mir vorbei. Alles, was meine Oma und ich je gemacht haben, sah ich an Bildern vor mir vorbei rauschen. Ich sah auch Ereignisse, an die ich mich nicht errinere. Das erste Mal bei ihr auf dem Arm, der erste Spaziergang. Die ganzen Geburtstagsfeiern. Sie sieht so jung und so fit aus ! Eine tolle Frau. Und da! Wir backen Plätzchen, gehen im Park spazieren, sind bei Regen im Zoo. All das haben wir gemacht und es kam mir vor, als würden die Bilder, die mit einem Affentempo an mir vorbei rasen, von einem großen Staubsauger eingesaugt und verschluckt werden.

Und jetzt sehe ich sie vor mir. Sie sitzt in ihrem Schaukelstuhl. Sie schaut ziemlich zerbrechlich aus. Ihre Beine sind mit einer blauen Decke bedeckt. Ihre sehnigen, faltigen Hände verschränkt und auf die Knie gelegt. Ihr Kopf ist leicht schräg, ihr Gesicht ist blass, ihr Blick ist leer. Mit letzter Kraft sagt sie: "Ich liebe dich mein Engel. Sei nicht traurig, ich gehe jetzt zu Opa."
Dann schloss sich vor ihr eine Tür und das Bild verschwand.
Opa hat ganz schön lange auf sie gewartet. Er starb einen Tag nach meiner Geburt. Ich kann mich gar nicht an ihn errinern, aber von Erzählungen weiß ich, dass er bei keinem seiner Enkelkinder so gestrahlt hat, als bei mir.

Meine Mama redet mit mir. Ich verstehe aber nur leise Laute. Meine Hände fangen an zu schwitzen, mein Atem wird tiefer, mein Herzschlag schneller. Ich kann nicht mehr. Ich muss hier raus! Ohne zu überlegen renne ich los. Einfach nach draussen. Doch ich komme nicht weit. Meine Füße sind schwer, ich falle hin. Auf den dreckigen Asphaltboden.
Dann wache ich auf. Es war alles nur ein Traum...

Irgendetwas stimmt hier nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt