Wenn das herauskommt

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"Wenn das herauskommt, haben wir ein Problem!", scherzte Sara, als sie ihren Laborkittel zuknöpfte. Theo stand mit dem Rücken zu ihr und die Partikel der Uniform wuchsen über seinen beneidenswert dunklen Körper. Er war groß, muskulös und ungestüm. Genau das Richtige, um sie von ihrer nicht sonderlich spannenden Arbeit in der Hypothermieabteilung abzulenken. Dort hatte sie mehr mit der unterkühlten Sorte Mensch zu tun, die sich vor Hunderten von Jahren, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, hatte einfrieren lassen. Ob das, was diese Menschen im Hier und Jetzt erwartete, ihren Vorstellungen entsprach? Nicht Saras Problem.

Theo drehte den Kopf über seine Schulter und hob fragend die Augenbrauen. Dann wanderte sein Blick weiter zu den Scherben und Papierhaufen neben dem Schreibtisch. Diese Sachen hatten vor einigen Minuten noch auf dem Schreibtisch gelegen, waren dort zu diesem Zeitpunkt aber vollkommen fehl am Platz.

"Tut mir furchtbar leid." Er grinste breit und zuckte mit den Schultern. "Meinst du, das bekommt irgendjemand mit?"

Wahrscheinlich nicht. Dieser Abschnitt ihrer Etage war vor zwei Monaten stillgelegt und die Wissenschaftler zu einem anderen, wichtigeren Projekt abgezogen worden. Sara schüttelte den Kopf und grinste ebenfalls. Wenn es nach ihr ging, würden sie noch viele Labore auf diese Weise verwüsten.

Sein Lächeln gefror, er kniff die Augen zusammen und starrte das Chaos jetzt ernst an, ein wenig alarmiert sogar. "Süße, das Papier bewegt sich. Hinter mich, sofort!"

Sara konnte mit Gefahren zwar selbst gut umgehen, bei ihrer Arbeit wusste sie schließlich nie genau, wer oder was aus den Kältekammern herauskletterte, aber sie tat ihm den Gefallen. Sollte er ruhig das Gefühl haben, ihr Beschützer zu sein.

Aus der Sicherheit seines breiten Rückens spähte sie zu der Stelle, auf die er jetzt seine Waffe richtete. Ein dicker Stapel Papiere rutschte langsam und raschelnd in das Innere des Haufens, dann verschwand es mit einem Ruck. Feuchte Schmatzlaute drangen aus dem Haufen hervor, gekrönt von einem zufriedenen Rülpser und dem Glucksen eines ... Babys?

Sara schob sich an ihrem Freund vorbei und drückte beschwichtigend seine Waffe nach unten. "Das hört sich nicht so an, als müsstest du dein Können unter Beweis stellen."

Theo ließ die Pistole in seinem Holster verschwinden und gemeinsam kletterten sie auf das fröhliche quiekende Chaos zu. Als sie nur noch einen Schritt davon entfernt waren, flog ihnen eine Ladung Schreibtischutensilien entgegen. Jetzt war Sara über den Schutz ihres Lovers erfreut, an dessen Brust Ordner, Klemmbretter und antike Bleistifte abprallten und zu Boden fielen. Theos Hand wanderte unwillkürlich wieder zu seiner Waffe. Vollkommen verständlich nach so einer lebensgefährlichen Attacke.

Nun war der Blick frei auf die Quelle des Angriffs. Ein Kleinkind saß dort und schob sich, ohne Pause oder sie zu beachten, Teile der ehemaligen Schreibtischdekoration in den Mund. Aus dem sie nicht wieder auftauchten. Sara widerstand dem natürlichen Drang, all diese gefährlichen, verschluckbaren Teile wieder herauszufischen zu wollen.

Sie musste zugeben, dass dies nicht die einzige Merkwürdigkeit war. Seine Haut hatte einen blassen Blauton, als ob es an Unterkühlung leiden würde, hier drinnen war es aber ziemlich warm. Es konnte natürlich sein, dass sie sich täuschte und die empfundene Wärme nur Folge ihrer Mittagspausenersatzbeschäftigung war.

Von einem Instinkt getrieben, kniete sie sich neben das Kind und streckte ihre Hand aus. Theo zog sie gerade noch rechtzeitig zurück, bevor der Mund des Kleinen knackend an der Stelle zuschnappte, an der sie sich gerade noch ihre Finger befunden hatten. Es öffnete den Mund, grinste und offenbarte eine Reihe spitzer, weißer Zähne.

Sara rieb sich die Hand. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass so ein kleines Wesen wirklich so viel Kraft in seinem Kiefer haben sollte, aber wenn sie den dezimierten Haufen ansah, in dem es saß, kamen ihr Zweifel.

Geschichten aus dem LaborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt