Kapitel 1

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Ich schloss meine Augen und da war er wieder. Doch dieses Mal konnte ich sein Gesicht erkennen. Er schien etwa in meinem Alter zu sein und war mindestens einen Kopf größer, als ich. Seine pechschwarzen Haare fielen hm in kleinen Locken auf die Stirn und seine eisblauen Augen schauten mich direkt an. Sein Blick strahlte etwas vertrautes aber dennoch geheimnisvolles aus, was mich gleichzeitig faszinierte aber auch erschaudern ließ. Trotzdem spürte ich noch etwas anderes. Ich kannte ihn. Diesen Blick. Diese Augen. Und auch alles andere an ihm weckte in mir das Gefühl, ihm schonmal begegnet zu sein. Aber wo? Ich meine an jemanden wie ihn hätte ich doch erinnert oder?

Doch so schnell er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden und alles, was ich sah war wieder schwarz. Also öffnete ich meine Augen langsam wieder.

Ich saß immer noch auf meinem Bett. "Junas kleine Insel" hatten meine Eltern sie immer genannt, weil, immer, wenn ich traurig war oder mit meinen Eltern über etwas wichtiges reden musste, mein Bett immer mein erster Rückzugsort gewesen war. Hier fühlte ich mich sicher. Deshalb war dies im Moment auch der einzige Ort, an dem ich sein wollte. Junas kleine Insel. Alleine bei dem Gedanken daran musste ich lächeln.

Doch kaum hatte ich mich wieder beruhigt und war gerade dabei, aufzustehen, um mir ein Glas Wasser zu holen, kamen sie wieder. Die starken Kopfschmerzen und der Schwindel. Ruckartig schwankte ich und fiel zurück auf mein Bett. Das waren die Symptome, die mich in den vergangenen Wochen vor meinen Visionen gewarnt hatten. Aber zweimal so kurz nacheinander? Das war neu. 

Gewaltsam wurden meine Augen zugerissen. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, doch es war zwecklos.

Das Einzige, was ich wahrnahm, waren Stimmen. Viele Stimmen. Und ich war mir sicher, dass ich keine einzige davon zuvor schonmal gehört habe. Aber es waren auch nicht meine Gedanken, die da zu mir sprachen. Ich fühlte mich, als wäre ich auf einem von Mums Familienfesten, welche sie unbedingt jedes Jahr abhalten musste, wo alle Verwandten, die ich nur einmal im Jahr sah, mir immer gleichzeitig ihre Erlebnisse seit unserem letzten Treffen berichteten, während sie immer lauter zu werden schienen, um alle anderen zu übertönen, was meistens darin ausatete, dass niemand mehr überhaupt noch etwas verstand. Nur, dass ich mich nicht auf einer Familienfeier befand und, dass diese Leute, denen diese Stimmen gehörten, nicht mit mir verwandt waren. Auch war ich mir sicher, dass es hier nicht um irgendwelche belanglosen Themen ging. Nein, diese Stimmen hatten mir etwas wichtiges zu sagen. Ich musste ihnen nur zuhören. Aber es war schwerer, als gedacht, sich in diesem Durcheinander von Stimmen auf eine einzige zu konzentrieren.Ich versuchte für einen Moment alles auszublenden und richtete meine Konzentration auf die erste Stimme, die ich wahrnahm. Es war eine hohe, kindliche Stimme, wie sie nur ein Mädchen haben konnte. "Du musst es schaffen. Finde ihn", rief sie mir zu, wobei ihre Stimme gegen Ende immer leiser wurde. "Wen? Wen soll ich finden und was muss ich schaffen?", wollte ich ihr noch nachrufen doch da waren alle Stimmen wieder verklungen und meine Augen öffneten sich automatisch wieder.Ich brauchte einen Moment, um mich an das Licht in meinem Zimmer zu gewöhnen und mir klarzumachen, dass ich mich wieder in der Realität befand. Keine Stimmen mehr, nichts. Abgesehen von den vielen Fragen, die mir nun aufkamen, und vor allem was oder besser gesagt, wen ich finden soll, war alles wieder normal. Die plötzliche Ruhe in meinem Zimmer machte mich verrückt. Denn nun waren es meine Gedanken, die in unüberhörbarer Lautstärke durch meinen Kopf jagten. Und ich konnte nichts tun, um sie aufzuhalten.Also beschloss ich, irgendwo hinzugehen, wo meine Gedanken vielleicht ein wenig leiser werden würden und ich mich auf das wichtigste konzentrieren konnte.Der Park war der erste Ort, der mir in den Sinn kam. Die vielen Leute, das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, das Gezwitscher der jungen Vögel, die darauf warteten, gefüttert zu werden und das Plätschern des Wassers im Springbrunnen waren perfekt geeignet, um mich wenigstens kurzzeitig abzulenken.

Juna- Between lies and truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt