Kapitel 3

2 0 0
                                    


Das nächste, was ich wieder komplett wahrnahm war, dass ich in einem Bett aufwachte. Einem Bett, welches sicher nicht mein eigenes war. Die Matratze war viel zu hart und das Kissen viel kleiner, als meins. Ich blinzelte und mit der Zeit konnte ich immer mehr erkennen. Der grüne PVC-Boden, die gelben Tapeten und die weiße Decke, wo hin und wieder kleine runde Lampen eingebaut waren. Ein weiteres, unbelegtes Bett gegenüber von mir und ein riesiges Fenster, mit langen, schneeweißen Vorhängen am linken Ende des Raumes. Außerdem sah ich rechts, am anderen Ende zwei graue Türen, die aus dem Raum führten. Aber da war noch etwas anderes. Es roch nach... Desinfektionsmittel?

 Schlagartig wurde mir alles klar. Der Unfall und die aufschreienden Menschen um mich herum. Ich musste mich in einem Krankenhaus befinden. Erst jetzt fiel mir der Infussionsständer neben mir und der darin befestigte Beutel auf, aus dem langsam eine durchsichtige Flüssigkeit tropfte und über einen langen Schlauch bis hin zu dem Zugang an meinem Handrücken floss.Nur wenige Minuten später öffnete sich eine der beiden Türen und eine Frau, mit langen, schwarzen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz hochgebunden waren, betrat den Raum. Meine Mutter. 

Allein bei ihrem Anblick fühlte ich mich schon um einiges besser. "Juna, mein Kind, was machst du denn? Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?" Besorgt blickte sie mich an. "Jetzt lass ihr doch erst einmal noch ein bisschen Ruhe, sie kann uns später noch alles erzählen", es war die Stimme meines Vaters und noch während er dies sagte, betrat auch er das Zimmer. 

Nachdem ich ihnen alles ihn Ruhe erzählt hatte, oder sagen wir fast alles, meine Vision hatte ich weggelassen und den Unfall stattdessen auf meine Unachtsamkeit geschoben, musste ich ihnen noch mindesten hundertmal versichern, dass es mir wirklich den Umständen entsprechend gut ging und sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Gerade, als sie das Zimmer wieder verlassen wollten, fiel mir das Blatt aus meiner Vision wieder ein. "Wartet, könnt ihr mir doch noch etwas mitbringen?", rief ich ihnen nach. "Natürlich, was möchtest du denn?" "Die Chroniken der Nachtelfen und alles, was du über sie wissen musst" "Das ist doch ein Kinderbuch, bist du dir sicher? Ich weiß noch, wie oft du mich immer gefragt hattest, ob wir es zusammen lesen könnten", erwähnte mein Vater. "Ja, wir sollen uns für die Schule ein Kinderbuch von uns aussuchen und beschreiben, wovon es handelt. Deshalb würde ich es gerne noch einmal lesen", log ich. "Aber Juna, du bist doch im Krankenhaus. Möchtest du dich nicht lieber ein bisschen ausruhen?", mischte meine Mutter sich ein. "Nein, schon in Ordnung. Ich habe hier ja eh nichts anderes zu tun." "Na gut, wenn du möchtest, bringen wir es dir mit." 

Später am Tag kamen meine Eltern wieder und brachten mir ein paar Klamotten, eine Tasche voller Sachen, wie Zahnbürste, Zahncreme und Haarbürste, das Buch, worum ich sie gebeten hatte und auch noch andere Bücher vorbei, mit dem Kommentar, damit es mir im Krankenhaus nicht zu langweilig werden würde. Direkt danach verschwanden sie auch wieder, da sie zum einen endlich davon überzeugt waren, dass es mir gut ging und sie zum anderen wieder zur Arbeit mussten. Sie beiden hatten nämlich vor kurzem erst ein eigenes Architektenbüro eröffnet und ihre Angestellten brauchten hin und wieder noch die Hilfe von den beiden.Das kam mir im Moment auch ganz gelegen, da ich so genug Zeit hatte, um mich um das Rätsel meines Kinderbuches zu kümmern ohne gestört zu werden. 

Vorsichtig stand ich auf, umklammerte den Infussionsständer, schob ihn neben mir her und wankte zu dem kleinen Tisch, welcher sich vor dem Fenster befand. Dort hatten meine Eltern das Buch hingelegt, bevor sie das Zimmer verlassen hatten.

Ich strich über den Einband. Er fühlte sich alt und abgenutzt an aber für sein Alter war er noch in einem relativ guten Zustand. Vorne war eine Nachhelfe vor einem dunkelblauen Hintergrund abgebildet. Bei den Kreaturen handelte es sich um riesige Elfen. Ihr Körper war durchsichtig wie Glas und man konnte ihn nur noch an den äußeren Konturen erkennen. Außerdem bildeten sich laut dem Buch immer, wenn sie mit ihren Flügeln schlugen, winzige goldene Sterne, die zu Boden fielen. Das und ihre schwarzen Flügel hatte ihnen letztendlich ihren Namen gegeben.Aber welche Seite und welches Kapitel war es noch einmal? War es Kapitel 3, Seite 123 oder doch Seite 211?So, als würde jemand anderes mich steuern, ging ich automatisch zu meiner Jacke und wühlte in der Tasche nach etwas. Aber was suchte ich eigentlich? Ich wusste es nicht, bis ich es schließlich in der Hand hielt. 

Ein zerknittertes Blatt Papier, welches nur mit wenigen Worten beschrieben war. Es war das Blatt, welches dieser Teenager mir in meiner Vision gegeben hatte. Aber wie konnte das sein? Ich meine, meine Visionen passierten nur in meinem Kopf und niemand außer mir konnte sie sehen. Wie zur Hölle war dieses Blatt also in meine Jackentasche gekommen? 

Ich konnte es mir nicht erklären.Aber diese Erklärung musste jetzt warten. Alles, was zählte war, dass ich jetzt wenigstens wieder wusste, welches Kapitel und vor allem welche Seite gemeint war.Es dauerte einen Moment, bis ich die richtige Seite gefunden und die ersten beiden Sätze gelesen hatte. „Und das war das erste Mal, dass ich ihn vor mir stehen sah: Meinen Bruder. Und wenn ich eines wusste dann, dass er meine Hilfe brauchte", las ich mir vor.

Juna- Between lies and truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt