Kapitel 62

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5 Jahre zuvor

„Ich kann es nicht!", schreie ich und spüre die warmen Tränen, die über meine Wangen hinuntergleiten. Ich schmecke den salzigen Geschmack in meinem Mund, den mir so bekannten Geschmack in letzter Zeit. Meine Hände zittern und ich würde am liebsten meine Klamotten von mir wegreißen.

„Alaya, was kannst du nicht? Was ist denn los?", fragt meine Mutter und schaut mich besorgt an.

„Sie werden mich alle blöd anschauen", antworte ich verzweifelt. Alle werden mich anschauen. Angeekelt. Angewidert. Als wäre ich ein Monster.

Meine Mutter hebt verzweifelt die Augenbrauen. Ich merke, wie ihr allmählich klar wird, wieso ich nicht mit möchte. Der verzweifelte Blick verändert sich in einen traurigen Blick.
„Du musst dich nicht schämen Alaya, du bist wunderschön"
Nein Mutter. Ich bin nicht wunderschön. Ich war vielleicht wunderschön, aber jetzt nicht mehr. Alles hat sich geändert, nur wegen einem kurzem Augenblick. Ein Augenblick, der alles verändert hat. Ein Augenblick, der mich verändert hat. Äußerlich und innerlich.
Ich schüttle meinen Kopf und wische die Tränen mit meiner Handfläche aus dem Gewicht, denn Finger alleine reichen dafür nicht aus.

„Mama, du weißt nicht, wie es sich anfühlt. Bitte akzeptiere es, bitte Mama! Ich kann nicht mitkommen", flüstere ich und spüre ein Stechen in meiner Brust, als ich in die glänzenden Augen meiner Mutter schaue. Die wunderschönen Augen, die doch voller Schmerz sind. Meine Mutter leidet mit mir, ich sehe es ihr an und das verletzt mich noch mehr. Die Trauer, die ich spüre, spürt sie auch. Ich kann es ihr auch nicht verübeln, denn sie war an dem Tag da und musste mit eigenen Augen zusehen. Meine Mutter musste zusehen, wie ihre eigene Tochter vor ihren Augen in Gefahr ist, unter Schmerzen leidet, schreit, weint und ständig „Mama! Mama!" schreit. Aber sie konnte mir nicht helfen, es war ein kurzer Augenblick, ein Augenblick, wo sie mich alleine gelassen hat und deswegen mir nicht helfen konnte. Es war vor genau 7 Monaten. Meine Mutter und ich entschlossen uns dazu wie jeden Samstag in die Stadt zu fahren und etwas einzukaufen. Die Shoppingtage waren meist sehr anstrengend, aber trotzdem freute ich mich jedesmal aufs Neue unser Lieblingscafé zu besuchen. Ein Karamell Macchiato für mich und ein einfacher schwarzer Kaffee mit einem Schuss Milch und ein Würfel Zucker. Es war sozusagen ein Ritual geworden jeden Samstag dieses Café zu besuchen und gemütlich zu sitzen und uns über unsere Ausbeuten auszutauschen. Es war so ein Mutter-Tochter-Ding, während mein Vater und mein Bruder zu Hause mal die Ruhe von uns hatten. Es war immer perfekt, zu schön um wahr zu sein. Doch dieser Tag sollte anders sein, alles veränderte sich.

„Es tut mir so leid Schatz! Es ist alles nur meine Schuld!", flüstert meine Mutter und die ersten Tränen fallen aus ihren kastanienbraunen Augen. Sie fühlt sich schuldig und gibt sich die Schuld für den schrecklichsten Tag meines Lebens.

„Mama es ist nicht deine Schuld! Es ging alles so schnell damals, aber dich trifft auf keinen Fall die Schuld!"
Ich nehme meine Mutter in die Arme und höre sie an meinem Ohr schluchzen. Ihr Körper zittert und sofort wird das Stechen in meiner Brust schmerzhafter. Sie soll sich nicht so fühlen, nicht wegen mir. Meine Mutter ist fabelhaft, stark und immer für mich da. Ich löse mich leicht von meiner Mutter und halte sie an den Schultern fest.

„Du hast mich nach dem Unfall sofort ins Krankenhaus gefahren, die Ärzte konnten mich versorgen und das Schlimmsten verhindern. Wärst du nicht da gewesen Mama, ich würde viel schlimmer aussehen und die Verletzungen wären noch viel bösartiger. Bitte Mama! Gib nicht dir die Schuld!"
Der Blick meiner Mutter wird weicher und ihre glänzenden Augen trocknen Sekunde für Sekunde. Wenn ich meine Mutter anschauen, werden meine eigenen Probleme unwichtiger. Ja, ich habe Narben an meinen Beinen, aber es hätte schlimmer sein können. Die restlichen Narben an meinem Körper sind so gut wie verblasst und das zeigt mir, wie unwichtig die Sorge um mein Äußeres ist. Ich bin gesund und ich habe meine Familie. Mehr kann man doch gar nicht verantworten, wenn man ehrlich sein will?

„Heißt das, dass du mitkommen möchtest?", fragt meine Mutter nach einer Weile. Möchte ich mitkommen? Möchte ich mich im Bikini am Strand präsentieren? Meine Narben präsentieren? Nein, aber meiner Mutter zu Lieben tue ich es, denn sie hat eine starke Tochter erzogen, die sich nie verstecken und schämen sollte.
Ich nicke und das Strahlen auf dem Gesicht meiner Mutter wird breiter.

Hätte ich nur gewusst, dass die Entscheidung, mit an den Strand zu gehen, mein Selbstwertgefühl noch mehr zerstören wird, als es schon ist.

Heute

Es sind nun mehrere Tage vergangen. Banks und ich haben uns täglich getroffen, jede freie Sekunde miteinander verbracht und mein Leben könnte nicht besser laufen. Ich fühle mich wohl bei Banks und er lässt mich all meine Sorgen vergessen. Er nimmt mich in den Arm, berührt immer wieder meine kalte Haut mit seinen warmen Händen und er küsst mich. Er küsst mich so oft, dass ich aufgehört habe mitzuzählen. Ich sage etwas, Banks küsst mich. Ich schweige, Banks küsst mich. Seine Küsse fühlen sich anders an, als zuvor. Bevor mir Banks gesagt hat, dass er Gefühle für mich hat, waren die Küsse voller Lust und Qual. Doch jetzt spüre ich in jeden seiner Küsse seine Gefühle für mich.

Banks hat Verständnis dafür, dass ich für mein Abitur lernen muss. Trotzdem durchlöchert er mich jedes Mal mit Blicken, wenn wir zusammen in der Bibliothek sitzen und ich lerne. Natürlich fällt es mir dann schwer, mich für die Epochen zu konzentrieren, denn ich liebe es wenn er mich so anschaut. Genau wie jetzt. All die Jahre wurde ich schief angeschaut, wenn ich im Sommer kurze Hosen trug, aber Banks ist nicht so. Er schaut mich an, wie ein Künstler sein Gemälde anschaut. Ihm gefällt was er sieht und das würde ich auch gerne. Ich möchte mich im Spiegel anschauen und zufrieden sein.

„Kleine, worüber denkst du nach?", fragt mich Banks und schaut mich mit dem -Es-Stimmt-Etwas-Nicht- Blick an. Ich schüttle meinen Kopf und lächle leicht.

„Ich kann mich einfach nicht konzentrieren, das ist alles", antworte ich und ich merke, dass Banks die Antwort nicht gefällt. Banks setzt sich neben dem Stuhl neben mir und schüttelt seinen Kopf.

„Brauchst du eine Pause?", fragt er mich und stützt seinen Kopf auf seinen Arm, der auf dem Tisch positioniert ist. Sein Blick ist wieder so intensiv, aber trotzdem schimmert Niedlichkeit hindurch. Er macht sich tatsächlich Gedanken um mich. Ich schüttle nur meinen Kopf, denn ich muss wirklich weiterlernen, es sind nur noch wenige Wochen.

„Alaya, wir sind hier seit keine Ahnung wie vielen Stunden...Drei? Das ist genug und du sollst dich nicht überanstrengen, vor allem nicht wenn du noch deine Tage hast", redet mit Banks ernst zu. Ich muss mir ein kleines Schmunzeln verkneifen. Er ist so süß.

„Was ist?", fragt er mich perplex.

„Meine Tage sind schon lange vorbei", gestehe ich und warte auf seine Reaktion. Banks spannt seinen Kiefer an, um sich sein Lächeln zu verkneifen.

„Wie lange schon?"

„Seit 3 Tagen ungefähr, wieso?"

Banks intensiver Blick kommt wieder zurück und ich merke sofort worauf er hinaus möchte und die Übelkeit kommt wieder zurück. Ist es wirklich so? Möchte Banks darauf hinaus oder möchte ich ihn nur wieder? Möchte ich seine Berührungen an meinem Körper spüren? 

Be my foreverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt