Ich starrte vor mir in die Leere. In meinen Gedanken steckte mir mein Vater die letzte Haarnadel in die Haare, um meine wilden schwarzen Locken zu bändigen. Dann ließ er von mir ab und sagte leise 'tada'.
Ich betrachtete mich im Spiegel, mit dem schwarzen Kleid und den kleinen dunklen Ballerinas sah ich aus wie eine Puppe. Meine Haut wirkte durch das ganze Schwarz so unfassbar blass, das man meinen könnte, ich wäre einem Schaufenster entsprungen. Der Dutt und der schwarze Haarreif trugen nicht gerade dazu bei, nicht wie ein kleines Püppchen auszusehen.
Aber Papa meinte ich müsste an diesem Tag ordentlich sein, damit wir sie gerecht verabschieden konnten. Warum ich damals aber aussehen musste wie eine Puppe wusste ich nicht.
Ich vermisse sie. Sie fehlt mir. Ich wollte nicht dort hin gehen. Ich wollte sie nicht verabschieden.
Ich starrte mich im Spiegel an. Mein Blick voller Trauer und der von meinem Vater voller Bedauern.
Ich wollte das alles doch gar nicht. Ich wollte nicht wahr haben, dass sie weg war und nie wieder kommen würde. Es tat weh. Es schmerzte so sehr. Ich konnte immernoch ihren Duft riechen und ihr Lächeln sehen.Der Gedanke an den Tag der Beerdigung und alle Details waren noch deutlich zu erkennen.
Der Gedanke daran, dass sie mir immer Kekse mit warmer Milch gemacht hatte als ich krank war, ließ mein Herz sich noch weiter zusammen ziehen.
Das letzte Picknick mit ihr kam mir in den Kopf. Es war ein wunderschöner Sommertag. Sie nahm einen Korb und packte all unser Essen hinein. Dann schloss sie ihn, hob ihren Blick und lächelte uns verschmitzt in unsere verwunderten Gesichter an.
Dann nahm sie Papa und mich an die Hand und sagte, dass wir heute draußen, auf dem großen Sonnenblumenfeld zu Abend essen würden. Sie zog uns nach draußen, sie ließ uns kaum noch Zeit um Schuhe anzuziehen, so schnell wollte sie raus.
Ich weiß noch genau, wie sie damals lachend vor meinem Vater weggerannt war und er ihr hinterher, beide waren dann lachend auf dem Gras vor den Sonnenblumen umgefallen. Es war einer der schönsten Abende meines Lebens. Wir hatten so viel gelacht. Vor allem als mein Vater ihr Joghurt auf die Nasenspitze und die Glatze geschmiert hatte. Es sah so lustig aus damals.
Ich muss Lächeln. Es ist eine schöne Erinnerung.
Dennoch läuft mir dabei eine weitere, salzige Träne die Wange hinunter. Damals war ich zwölf. Ich wünschte ich könnte sie noch einmal umarmen. Ihren Duft einatmen, von dem ich nicht mehr weiß wie er war.Eigentlich sollte ich meinem Vater beim Packen helfen, doch stattdessen stehe ich vor dem Grab meiner Mutter, um es noch einmal zu betrachten.
Die schnörkeligen Buchstaben die ihren Namen ergeben stehen auf einem matten grauen Stein.
Ich kenne bereits jeden Schwung der Buchstaben auswendig, und trotzdem betrachte ich sie noch einmal viel zu genau. Das selbe mache ich mit dem kleinen Stern und dem Kreuz, auch die Daten die dahinter stehen werden von meinem Auge noch einmal deutlich in Betracht genommen.Die Kerze die auf dem Stein steht ist schon lange erloschen. Der Wachs ist so zerschmolzen, dass sie nur noch wie ein jämmerlicher Haufen Elend aussieht. Es macht mich traurig, dass mein Vater nicht einmal hier gewesen ist, um sie auszutauschen.
Ich stehe wie versteinert da. Bewege mich nicht, um die Eindrücke des Friedhofs noch einmal genau spüren zu können und mir jedes kleine Detail einzuprägen.
Es liegen viele bunte Blätter von den Bäumen herum, die der Wind ab und zu lustig tanzen lässt.
Die Kopfhörer auf meinen Ohren spielen leise traurige Klänge ab und die Sonnenblume in meiner Hand scheint mich anzustrahlen, genau wie die Sonne selbst.Ich schließe die Augen. Lausche der Musik. Spüre den kühlen Herbstwind auf meinem Gesicht und in meine Jacke wehen. Spüre die unebene Oberfläche des Sonnenblumenstiels und eines ihrer Blätter über meine Hand streichen.
Ich öffne die Augen wieder, sehe den Großen Lindenbaum vor mir stehen und atme einmal tief durch.
Ich lege die Blume vorsichtig auf das Grab meiner Mutter, streiche einmal über den grauen Grabstein und gehe los. Ich drehe mich noch einmal zu dem Grab um und laufe dann, den kleinen Friedhof entlang zum Ausgang.
Der Friedhof ist nicht besonders groß und die Wege nicht gepflegt, aber er ist dennoch perfekt so wie er ist. Im Moment sind die Wege voll mit bunten Blättern von den Bäumen und der Holzzaun um das Gelände ist morsch und dunkel verfärbt.
Auf fast jedem Grab ist eine Kerze vorhanden und es stehen viele schöne Wildblumen auf den grünen Wiesen.
In all den 5 Jahren, in denen ich fast jeden Tag nach der Schule hier war, hat sich nicht viel geändert.
Es sind Gräber dazu gekommen und verschwunden.
Die Blumen kamen und gingen und der Zaun ist ein wenig dunkler und kaputter geworden.Ich öffne das große Holztor und trete heraus. Für einen kurzen Moment bleibe ich stehen. Dann mache ich mich auf den Weg zu unserem alten Haus.

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All these things
RomanceAlli ist ein normales oder auch nicht normales Highschool-Mädchen, das absolut nichts mit Liebe oder Jungs zu tun haben möchte, aber als sie mit ihrem Vater in eine neue Stadt zieht, verändert sich ihr Leben komplett. Der Junge aus dem Jahrgang höh...