2. Der unendliche Wald

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,,𝓢𝓸𝓶𝓮𝓽𝓲𝓶𝓮𝓼 𝔂𝓸𝓾 𝓼𝓱𝓸𝓾𝓵𝓭
𝓯𝓲𝓷𝓭 𝓪𝓷 𝓮𝓷𝓭
𝓯𝓸𝓻 𝓫𝓮𝓽𝓽𝓮𝓻 𝓽𝓱𝓲𝓷𝓰𝓼 𝓽𝓸 𝓫𝓮𝓰𝓲𝓷"

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Es war jetzt tiefste Nacht, und das Schloss und dessen Umgebung schlief.
Ein leiser Wind fuhr durch die Baumwipfel und ließ die Blätter rauschen.
Waldgrillen sangen in der Ferne, ab und zu war eine Krähe zu hören. Dennoch war es ruhig. Wie in jeder Nacht war der Himmel klar und von Sternen erleuchtet, der Vollmond schien hell auf die Natur unter ihm und tauchte sie in ein silbriges Licht.
Das Mädchen saß, den Kopf auf die Hände gestützt, am Fenster und blickte in die Dunkelheit des Waldes.
Nachts war sie ruhiger als am Tag und wollte meist allein sein, niemand sollte ihren Frieden stören. Alle irritierenden Gedanken und Probleme verschwanden, sie fühlte sich stärker, gleichzeitig aber auch schwächer. Erst bei Sonnenaufgang würde es wiederkommen, dieses unerklärliche Verlangen nach etwas, dass sie noch nicht kannte. Es gab etwas, das sie unbedingt besitzen wollte, nur wusste sie nicht genau, was es war. Sie wollte Wissen, dieses Ziel lag ihr bereits klar vor Augen. Aber Wissen allein reichte ihr nicht. Irgendetwas fehlte.

Das Königspaar hatte sich bereits seit einigen Stunden zur Nachtruhe begeben. Jeden Tag um die selbe Zeit, ohne Ausnahme.
Das Mädchen hingegen schlief nur selten. Sie ging gern im großen Schlossgarten spazieren, oder erkundete die vielen Räume des Schlosses, die sich immer wieder zu verändern schienen. Oft passierte es jedoch auch, dass sie kurz die Augen schloss und an den Morgen dachte, und sobald sie sie wieder öffnete, war die Nacht bereits vergangen. Natürlich könnte sie einfach eingeschlafen sein, aber dennoch war es so als wären nur einige Sekunden vergangen.

Sie fühlte sich jetzt genug ausgeruht. Der Aufenthalt im Schloss ermüdete sie, genauso wie dessen Bewohner. Hier herrschte weder Zeit noch Abwechslung. Aber es war nicht abzustreiten, dass das Schloss ein kleines Paradies war. Wie eine eigene kleine Welt ohne Welt ohne Gefahren und Angst.
Sie dachte an den morgigen Tag. Würde sie es wirklich schaffen, diesen doch so wunderschönen Ort hinter sich zu lassen? Sich von ihren Eltern zu verabschieden? Sie machte sich Sorgen, möglicherweise nicht mehr den Weg zurückzufinden. War sie überhaupt genug vorbereitet? Umso länger sie überlegte, umso unsicherer wurde sie. Wenn sie diesen Ort wirklich verlassen wollte, durfte sie nicht mehr länger nachdenken. Sie musste sie zu einer Zeit aufbrechen, in der sie allein war, frei und unabgelenkt von anderen Menschen. Und diese Zeit war genau jetzt. Sie konnte nicht mehr warten, sie musste jetzt gehen.
'Es wird Zeit aufzubrechen', entschied das Mädchen also. Sie konnte nicht mehr bis zum Morgen warten, irgendetwas sagte ihr, dass das Schloss dann versuchen würde sie festzuhalten, dass der Abschied ihr schwerer fallen würde.
Schwungvoll stieg sie auf das Fenstersims, die Grasfläche des Schlossgartens befand sich etwa zehn Meter unter ihr. Sie wollte es vermeiden den Haupteingang des Schlosses zu nehmen, die Wahrscheinlichkeit war hoch dass sie von einem Diener oder einer Wache gesehen wurde. Außerdem hatte sie das Gefühl dass der angelegte Hauptweg, welcher in den Wald führte, der falsche Weg war.
Sie blickte nach unten auf das silbern schimmernde Gras. 'Das sollte machbar sein', dachte sie sich. Höhe machte ihr keine Angst. Im Gegenteil, sie löste ein Gefühl von freudiger Aufregung in ihr aus. Ihr Herz schlug schneller und ihre Fingerspitzen kribbelten.
Sie trat einen Schritt nach vorn, auf die Außenseite des Fensters und stieß sich dann selbstbewusst ab.

Sicher und unverletzt stand sie fest mit beiden Füßen im Gras, ohne jegliche Schmerzen. Sie war froh dass sie ohne Unsicherheit vom Fenstersims abgesprungen war, sonst wäre es vielleicht anders ausgegangen.
Auch ihre Kleidung hatte sie geändert. Statt ihrer altertümlichen Schlafkleidung trug sie jetzt ein helles Top, einen Minirock und weiße, moderne Alltagsschuhe . Sie konnte von Beginn an spüren, dass die langen, schweren Kleider nicht zu ihr passten. Aber im Schloss war diese Garderobe alltäglich, niemals hätte das Königspaar ihre jetzige Kleidung verarbeiten können.
Das Mädchen fühlte sich frei und wunderschön. All ihre vorherigen Sorgen und Ängste waren verschwunden. Sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte, dass die Ketten des Schlosses endgültig überwunden waren. Sie war jetzt eine Andere.

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