cinq

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In den Abendstunden nach den Vorführungen ist die Oper meist gespenstisch leer und ausgestorben, kühl und verloren wie eine Ruine.

Langsam gehe ich durch die verwobenen Gänge, Korridore und Flure, vorbei an den großen Treppen und vergoldeten Sälen, in deren Schatten ich hier und da ein Pärchen entdecke, Mädchen die leise kichern, mit blassen aber doch glitzernden Augen und Lippenstift, der auf ihren Wangen verschmiert ist, wie zäher Wein im Waschbecken.

Wo fangen diese Dinge an? Wo hören sie auf?

Ich möchte fort, möchte zusammen mit Gaïa im Hinterhofdreck sitzen und die Sterne mit bewundernden Augen schmecken, die zweifellos längst am Himmel über Paris erstrahlt sind.

Ich schüttelte sacht den Kopf, schäle die zähen, sehnsuchtsvollen Gefühle aus meiner Brust. Ich habe gerade keinen Platz dafür.

Zwischen den Nischen und Treppenpodesten entdecke ich eine Gruppe Tänzerinnen, die scheinbar der Menge entflohen, leise herzliche Gespräche führen.

Vorsichtig geselle ich mich zu ihnen und ein Lächeln überfällt meine nach unten geknickten Lippen als ich eines der Mädchen erkenne.

»Amelié«, spreche ich sie an und sie mustert mich neugierig mit ihren pflaumendunklen Augen, »Hast du Rousel heute Abend gesehen?«

Der freundliche Ausdruck in ihren Augen wird blasser, als sie die Stirn in Falten legt und erwidert: »Ich bin nicht sicher, wann, aber er ist hier vorbeigekommen, ging in Richtung Westflügel davon«

Dankbar nicke ich »Merci, Amelié«

Vorsichtig laufe ich weiter durch das Zwielicht der Operngänge. Je weiter ich mich vom Grand Foyer und dem Auditorium entferne, desto dunkler wird es.

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Ich spüre seine Präsenz, noch bevor ich um die Ecke biege. Es ist der Hauch seines Parfums, vielleicht, die Art von Duft, die alle wohlhabenden alten Männer tragen, die Art, wie es sich mit dem Geruch seiner polierten Schuhe vermischt.

Ich atme tief ein. »Rousel«, presse ich dann seinen Namen aus meiner Kehle hervor. Er ist nur wie ein Flüstern, das von meinen Lippen perlt und dennoch erreicht meine Stimme ihn.

Er lehnt an der Wand eines Korridors. Sein Gesicht sieht im Dämmerlicht jünger aus, als versteckten sich seine Falten in den dicken Schichten der Dunkelheit.

»Colette!«, sagt er fröhlich, als er mich entdeckt, »Ma petite danseuse

Er nimmt einen seiner Arme und legt ihn um meine zierliche Gestalt. Sein Geruch schlägt mir in die Nase. Er ist viel größer als ich.

»Ich dachte eigentlich nicht, dass wir uns heute Abend noch sehen«, seine ätzende Stimme berauscht mein Gehirn und seine faltigen Fingerspitzen streichen über meine.

»Mon cher Rousel«, erwidere ich und drücke mich ein wenig fester zwischen die Falten seiner Kleidung, zwischen die Hohlräume seines Brustkorbs, »Wie schön, dass wir es doch tun«

Mein Herz zittert bei diesen Worten, meine Kehle brennt, doch ich bin daran gewöhnt. Schlechte Lügen haben ein Zuhause zwischen meinen Knochen gefunden.

petits ratsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt